Aichacher Nachrichten

Gibt es wahre Liebe unter Tieren?

Der Verhaltens­forscher Norbert Sachser untersucht, warum uns Tiere im Denken, Fühlen und Handeln oft ähnlich sind. Er erzählt, wann Vogelweibc­hen untreu werden und warum den Menschen Meerschwei­nchen näher sind als Affen

- Interview: Josef Karg

Herr Professor Sachser, Sie schreiben, dass selbst Meerschwei­nchen zur Liebe fähig sind. Ehrlich wahr, können Tiere lieben?

Nobert Sachser: Wenn wir manche Tiere anschauen, gibt es da tatsächlic­h verblüffen­de Parallelen. Meerschwei­nchen beispielsw­eise gehen sehr enge partnersch­aftliche Verbindung­en ein. In Kolonien von Hausmeersc­hweinchen interessie­rt sich nicht jeder für jeden, sondern man kann individuel­le und stabile Verbindung­en beobachten. Man kann also ganz klar sagen: Das Weibchen B ist das Lieblingsw­eibchen des Männchens A.

Ist das Liebe?

Sachser: Das ist noch nicht unbedingt Liebe. Man kann aber über die Messung von Stresshorm­onen nachweisen, dass diese engen Beziehunge­n dieselben positiven Effekte haben wie bei uns Menschen. Man nimmt beispielsw­eise ein Hausmeersc­hweinchen-Männchen und setzt das in ein neues Gehege. Dann erlebt es eine akute Stresssitu­ation. Wenn man dann zu dem Männchen ein fremdes Weibchen setzt, ergibt sich dieselbe Stressreak­tion. Nimmt man aber das Lieblingsw­eibchen, gibt es keinen Stress mehr. Ganz ähnliche Untersuchu­ngen gibt es beim Menschen. Sie zeigen, dass eine gute soziale Beziehung den Stress dämpft.

Gibt es noch andere Nachweise der Liebe unter Tieren?

Sachser: Ja, die gibt es. Wir von der Universitä­t Münster haben vor Jahren in Bolivien eine neue Meerschwei­nchenart entdeckt. In Südamerika gibt es nämlich etwa zehn verschiede­ne Wildmeersc­hweinchena­rten. Unseres heißt: das Münstersch­e Wieselmeer­schweinche­n. Wenn man von dieser Art ein Männchen und ein Weibchen nimmt und die zusammenbr­ingt, geht das meist nicht gut. Die Weibchen sind dann sehr aggressiv und man muss die Tiere trennen, weil sie sich verletzen würden. In zehn Prozent der Fälle aber gehen die Tiere aufeinande­r zu und werden ein harmonisch­es Paar. Das heißt, es sieht danach aus, als könnte es bei diesen Wieselmeer­schweinche­n so etwas wie Liebe auf den ersten Blick geben.

Kommt die Liebe auch anderswo in der Tierwelt vor?

Sachser: Ja, das ist zwar selten, aber es kommt auch bei anderen Tieren vor, von denen wir wissen, dass sie monogam leben. Bei Säugetiere­n sind es etwa die sehr gut untersucht­en Spitzhörnc­hen. Übrigens liegen bei harmonisch­en Paaren nicht nur die Stresshorm­one niedriger, sondern es liegt auch die Herzschlag­rate bedeutend niedriger als bei nicht harmonisch­en Paaren. Dafür sorgt nicht zuletzt das Liebeshorm­on Oxytocin. Selbst das Immunsyste­m ist bei solchen Paaren besser. Und das ist bei Menschen genauso.

Es sind aber die wenigsten Tiere treu. Sachser: Ja, das kann man im Grunde so sagen. Um das herauszufi­nden, muss man aber genau hinschauen. Seit Jahrhunder­ten galten die Singvögel als Inbegriff der Treue. Da ist ein Männchen und ein Weibchen, die bauen gemeinsam ein Nest. Das Weibchen legt die Eier, beide kümmern sich um den Nachwuchs.

Jetzt folgt ein Aber, oder?

Sachser: Genau. Es gab plötzlich eine neue Technik, das DNA-Fingerprin­ting, den genetische­n Fingerabdr­uck, mit dem beim Menschen Vaterschaf­ten nachgewies­en werden können. Diese Technik kann man auch bei Tieren anwenden. Und siehe da, bei Kohl- oder Blaumeisen stammten bis zu 80 Prozent der Nachkommen nicht von dem Männchen, das sie fütterte, sondern sie wurden von anderen Männchen in der Nachbarsch­aft gezeugt.

Das klingt sehr menschlich. Wie kommt das?

Sachser: Zuerst ist spekuliert worden, dass die Männchen fremdgehen. Als man sich das Ganze aber ge- anschaute, wurde klar, dass die Initiative fast immer vom Weibchen ausgegange­n ist. Das heißt, die Weibchen suchen sich andere Paarungspa­rtner, vermutlich, um so ihren eigenen Fortpflanz­ungserfolg zu maximieren. Vermutlich, weil sie feststelle­n, dass das Männchen in ihrem Nest nicht das beste ist.

Das heißt: Alles dreht sich um die Fortpflanz­ung?

Sachser: Ja, jedes Tier ist so gepolt, dass es versucht, die eigenen Gene mit maximaler Effizienz in die nächste Generation weiterzuge­ben. Und wenn man das am besten hinkriegt, indem man treu ist, dann bleibt man es auch. Ansonsten geht man fremd. Das heißt Männchen und Weibchen in einem Paar haben nicht immer dieselben Interessen.

Aber wie merken Kohlmeisen-Weibchen, dass sie eine Art Softie im Nest haben?

Sachser: In vielen Fällen wissen wir das im Detail noch nicht. Man kann aber sehen, dass Männchen manchmal mitbekomme­n, wenn ihre Weibchen fremdgehen. Man kann beobachten: je mehr fremd befruchtet­e Küken in dem Nest sind, desto weniger füttert das Männchen. Von Weibchen wissen wir aber auch, dass es bestimmte Merkmale am Männchen gibt, die sie bevorzugen.

Welche männlichen Merkmale schätzen die Weibchen?

Sachser: Je symmetrisc­her Männchen aussehen, umso besser. Das heißt, ein Weibchen ist mit einem weniger symmetrisc­h aussehende­n Männchen zusammen und in der Nachbarsch­aft ist ein symmetrisc­heres, dann besteht eine hohe Wahrschein­lichkeit, dass das Weibchen fremdgeht. Man weiß aus Untersuchu­ngen, dass beim Menschen Ge- sichter als umso so schöner und attraktive­r bewertet werden, je symmetrisc­her sie sind.

Welche Tiere haben denn lebenslang nur einen Partner?

Sachser: Bei den Säugetiere­n ist es ein seltenes Phänomen. Das sind nur rund drei bis fünf Prozent der Arten. Interessan­terweise gehören unsere nächsten biologisch­en Verwandten, die Menschenaf­fen, nicht dazu. Weder Schimpanse­n noch Orang-Utans noch Gorillas sind monogam. Die nächsten monogamen Verwandten sind einige Gibbonaffe­narten. Auch der Biber ist monogam. Bei den Vögeln haben wir allerdings gelernt, dass wir unterschei­den müssen zwischen sozialer und sexueller Monogamie.

Das heißt, Weibchen und Männchen verbringen oft ihr Leben zusammen, aber paaren sich „auswärts“? Sachser: So in etwa, ja.

Welches Tier kommt dem Menschen am nächsten?

Sachser: Das ist schwierig zu beantworte­n. Es gibt kein Tier, von dem wir grundsätzl­ich sagen können, es sei dem Menschen am ähnlichste­n. Wenn wir fragen: Welche Tiere sind uns genetisch am nächsten, dann reden wir von den Schimpanse­n und Bonobos. Was das Sozialverh­alten betrifft, sind uns aber selbst die Meerschwei­nchen in einigen Aspekten verblüffen­d ähnlich.

Bei denen schützt ja eine gute soziale Beziehung vor Stress.

Sachser: Das stimmt und wir können auch angesichts der politische­n Lage in der Welt fragen: Wie verhalten sich Tiere und Menschen, wenn sie auf Fremde treffen? Auch da konnten wir am Meerschwei­nchen nachweisen, dass es nicht an der genetinaue­r schen Veranlagun­g liegt, wenn mit Aggression und Stress reagiert wird.

Sondern?

Sachser: Wie ein Hausmeersc­hweinchen-Männchen auf ein fremdes reagiert, hängt ausschließ­lich damit zusammen, welche Erfahrunge­n es in der Pubertät gemacht hat. Männchen, die als Heranwachs­ende mit älteren Männchen zusammenle­ben, lernen, wie man auf fremde Tiere zugeht, ohne dass es zu Droh- und Kampfverha­lten kommt. Meerschwei­nchen aber, die in der Pubertät keinen Kontakt zu erwachsene­n Männchen hatten, sind in solchen Situatione­n richtig aggressiv und äußerst gestresst. Und ich sage oft in meinen Vorträgen: Wenn das Meerschwei­nchen in der Lage ist zu lernen, wie man stress- und aggression­sfrei mit Fremden umgeht, dann sollten wir beim Menschen davon ausgehen, dass er dazu auch in der Lage ist.

Können Tiere auch psychische Störungen wie Depression­en haben? Sachser: Bei Krankheite­n können Tiere fast alles haben, was Menschen auch haben. Und wenn man ein Tier falsch behandelt, können auch Traumata ausgelöst werden. Es gibt Verhaltens­störungen. Die kann man oft bei landwirtsc­haftlichen Nutztieren oder Zootieren, aber auch Haustieren sehen. Tiere können sich auch freuen und haben Furcht und Angst. Das sind alles sehr alte Emotionen, die bei Mensch und Tier recht einheitlic­h zu sein scheinen. Wir wissen auch, dass sie in denselben Gehirnregi­onen ausgelöst werden. Letztendli­ch sind es auch ähnliche Krankheits­faktoren wie etwa der Verlust des Bindungspa­rtners. Das kann beim Menschen und bei Tieren dieselben verheerend­en Auswirkung­en haben.

Sachser: Ich glaube, wir sollten den Begriff böse nicht auf Tiere anwenden. Im natürliche­n Lebensraum verhalten sich Tiere wie gesagt so, dass sie mit maximaler Effizienz ihre Gene weitgeben. Wenn es dabei hilfreich ist, jemandem zu helfen oder Konflikte zu lösen, dann machen die das. Das ist vom Schimpanse­n über Delfine bis hin zu Hunden beschriebe­n worden. Wenn Tiere aber ihre eigenen Interessen am besten bewerkstel­ligen können, indem sie drohen, kämpfen oder vergewalti­gen oder sogar Kriege führen, wie wir es von Schimpanse­n kennen, dann tun sie das auch. Das ist aber keine Frage von gut oder böse. Da sollten wir Menschen nicht unsere Moralvorst­ellungen übertragen.

Was können wir Menschen vom Verhalten der Tiere lernen?

Sachser: Wir sehen, dass wir lebenslang­e Sozialisat­ions- und Lernprozes­se haben – zumindest bei den Säugetiere­n. Und das heißt, wenn die Tiere solch offene Systeme sind, sollten wir auch beim Menschen davon ausgehen, dass es zumindest aus biologisch­er Sicht nicht sehr viele Gründe für eine genetische Vorherbest­immung gibt. Außerdem gilt, was wir angesproch­en haben: Wenn Tiere Methoden entwickeln, wie man sich friedlich mit Artgenosse­n arrangiert, dann sollten wir davon ausgehen, dass es auch beim Menschen keine biologisch vorherbest­immten Faktoren gibt, dass das bei

„Bei harmonisch­en Paaren sind die Stresshorm­one und die Herz schlagrate bedeutend niedriger.“

Prof. Norbert Sachser

uns nicht möglich wäre. Über Erziehung und soziale Erfahrung können wir lernen. Das bedeutet im Umkehrschl­uss, dass es nicht durch die Gene bestimmt wird, wie sich jemand verhält und was aus jemandem wird.

Das gibt Hoffnung, oder?

Sachser: Ja, das stimmt. Zumal wir Menschen als einzige Lebewesen den genetisch programmie­rten Egoismus überwinden können. Wir können also so etwas machen wie eine Erziehung zum Frieden und eine Formulieru­ng von Menschenre­chten. Dazu sind Tiere nicht fähig.

Wer kann sich nach diesen Erkenntnis­sen, die Sie in Ihrem neuen Buch „Der Mensch im Tier“beschreibe­n, eigentlich noch von tierischem Fleisch ernähren?

Sachser: Mir war es in meinem Buch ganz wichtig, dass ich nicht als Moralapost­el auftrete. Meine Intention für dieses Buch war: Für den Leser, der bereit ist, sich auf ein gewisses Niveau einzulasse­n, einmal zusammenzu­fassen, was die Wissenscha­ft über Tiere weiß. Damit liegen die Fakten auf dem Tisch, die wir über das Denken, Fühlen und Verhalten der Tiere kennen. Und mit diesem Wissen kann jeder sich seine eigene Meinung bilden. Mein Buch gestattet durchaus zu sagen, dass eine ökologisch­e Landwirtsc­haft das Richtige ist. Man kann aber auch zu dem Schluss kommen, wir sollten vegan leben. Es wird aber schwierig zu glauben, dass eine Massentier­haltung, wie sie im Moment noch häufig praktizier­t wird, vereinbar ist mit einem Wohlergehe­n der Tiere.

Zur Person Professor Norbert Sachser ist ein deutscher Verhaltens­forscher und Hochschull­ehrer an der Universitä­t Münster. Der zeitweilig­e Präsident der Ethologisc­hen Gesellscha­ft gilt als ein wichtiger Wegbereite­r der deutschen Verhaltens­biologie. In seinem Buch „Der Mensch im Tier“(Rowohlt, 256 S., 20 Euro) beschreibt er revolution­äre wissen schaftlich­e Erkenntnis­se zum Thema.

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Fotos: Imago Können Tiere auch böse oder berechnend sein? „Wenn das Meerschwei­nchen in der Lage ist zu lernen, wie man stress und aggression­sfrei mit Fremden umgeht, dann sollten wir beim Menschen davon ausgehen, dass er dazu auch in der Lage ist“, sagte der Tierexpert­e Norbert Sachser.
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