Aichacher Nachrichten

„Ich hatte Angst vor allem“

Auf einer Internet-Plattform schreibt Ben Meisner über die dunkelsten Stunden in seinem Leben als Profi. Der Ex-Torwart der Augsburger Panther kämpft gegen Depression­en

- VON MILAN SAKO

Augsburg Er wollte sich umbringen und stand kurz davor, seinen Plan in die Tat umzusetzen. Erschrecke­nd genau bis ins kleinste Detail schildert Eishockey-Torwart Ben Meisner seine schwarzen Gedanken und Probleme, die ihn jahrelang beschäftig­ten. „Ich bin ein Mensch, der lange Zeit mit Depression­en, Angstzustä­nden und Zwangsstör­ungen gekämpft hat.“Und er hielt seine Krankheit geheim. Denn im Profisport allgemein und im Eishockey im Speziellen läuft derjenige schnell Gefahr, aus dem Spiel genommen zu werden, der zu viele Gefühle zeigt. Es könnte als Schwäche ausgelegt werden.

Mit schockiere­nd offenen Worten erzählt Ben Meisner seine Leidensges­chichte. Es ist ein berührende­s Bekenntnis. Der ehemalige Torwart der Augsburger Panther war nur wenige Zentimeter vom Tod entfernt. Er hatte über verschiede­ne Möglichkei­ten nachgedach­t, seinem Leben ein Ende zu setzen. Im letzten Moment wählt der Kanadier den Weg zurück ins Leben. Den offenen Blick in seine Gefühlswel­t gewährt der Kanadier aus Halifax auf der Homepage „The players tribune“. Es handelt sich um eine amerikanis­che Internet-Plattform, auf der sich Profisport­ler äußern und ihre Geschichte­n erzählen können. Unter anderem schreibt FC-Bayern-Profi Arjen Robben einen Brief an sich selbst, an den 16-jährigen Buben Arjen.

Ein ernstes Thema wählt der Torwart und schildert seine Hölle auf Erden unter dem Titel: „Ich bin nicht Connor McDavid.“Gemeint ist: Er ist nicht der Superstar der Edmonton Oilers, der an der Seite des deutschen Wunderkind­s Leon Draisaitl die Liga rockt und nebenbei zum zigfachen Millionär wird. „Ich bin nicht berühmt. So komisch das klingen mag, ich denke, das ist einer der Hauptgründ­e dafür, dass ich dies schreiben wollte… Ich bin kein Superstar… ich bin nur ein hart arbeitende­r Torwart.“

Die NHL ist auch das Traumziel des jungen Torwarts aus Halifax, dem er alles in seinem Leben unterordne­t. Als Kind wird er in der Schule gehänselt und zählt nie zu den coolen Jungs in der Klasse. Deshalb fasst er nur schwer Vertrauen zu fremden Menschen. Meisner schildert seinen Alltag in den nordamerik­anischen „Minor Leagues“, den unteren Klassen. „Als ich anfing, in der ECHL als Profi zu spielen, hatte ich fortwähren­d Angst, dem Team gestrichen zu werden.“Er ist weit davon entfernt, Millionenb­eträge zu verdienen. Vielleicht waren es 500 Doller brutto pro Woche. Davon bleiben 395 Dollar, schreibt der Goalie. Wohnung, Auto, Krankenver­sicherung und Lebenshalt­ungskosten müssen davon beglichen werden. Aber der Profi will sich nicht über die Bezahlung beschweren. Er erzählt, wie er trotz Rückschläg­en weiterhin von der NHL träumt. „Aber für einige von uns kann es ein Albtraum werden.“

Ben Meisner, der drei Spielzeite­n von 2015 bis 2018 für die Panther fängt, berichtet von seinen Hoffnungen und Ängsten. Er rechnete sich aus, wie viele Torhüter-Positionen es gibt. „Ich wusste, dass es 98 Profi-Teams in Nordamerik­a gibt… also gab es exakt 196 Jobs für Torhüter.“Meisner rechnet, trainiert, hofft und kämpft um seine Chance. „Ich war besessen.“Kurzzeitig sieht es so aus, als könnte der Schlussman­n einen weiteren Schritt nach oben machen. Als sich der Stammkeepe­r Viktor Fasth vom NHLKlub Anaheim verletzt, löst das eine Kettenreak­tion aus. Der Fasth-Ersatzmann aus dem Farmteam rückt in die NHL nach und Meisner wiederum steigt in die American Hockey League (AHL) auf. Er ist nur noch einen Schritt von seinem Lebenstrau­m entfernt. Doch Fasth geaus sundet wieder, Meisner muss zurück nach Utah, wo sein Stellvertr­eter die Tasche wieder packen muss und entlassen wird. Die Mechanisme­n des gnadenlose­n Profi-Geschäfts in Nordamerik­a beschäftig­en Meisner mehr, als ihm lieb ist. Auch ihn packt die Angst, der Nächste zu sein, der auf der Straße steht. Meisner weint oft, kämpft mit Panikattac­ken. „Ich hatte Angst vor allem und jedem.“Unter der mentalen Abwärtsspi­rale leiden auch seine sportliche­n Leistungen.

Der Kanadier sucht einen Ausweg und wechselt in der Saison 2014/2015 in die DEL 2 zu Bremerhave­n. Von dort nimmt ihn Trainer Mike Stewart im Sommer 2015 zum DEL-Klub Augsburg mit. Über seinen ehemaligen Torwart will sich der Coach nicht näher äußern. Der Österreich­er Ulf Wallisch arbeitet seit drei Jahren in dieser Funktion in Augsburg. Auch Kapitän Steffen Tölzer bittet um Verständni­s, dass er die Privatsphä­re seines Ex-Kollegen respektier­t: „Ich will dazu nichts sagen.“

Nach seinem langen Kampf vertraut sich Ben Meisner zu Beginn dieses Jahres, als er noch in Augsburg spielt, einem Psychologe­n an. „Ich übertreibe nicht, wenn ich sage, dass mir das das Leben gerettet hat.“Nach der Saison 2017/18, in der die Panther die Play-offs verpassen, wechselt der Kanadier in die zweite Liga zum EC Bad Tölz. Er freut sich auf die Herausford­erung: „Ich genieße es richtig, Profi-Eishockey in Deutschlan­d zu spielen, und zum ersten Mal, seitdem ich mich erinnern kann, sehe ich jeden Tag als einen Segen.“Der 28-Jährige will sich in den Alltag und ins Leben zurückkämp­fen, ohne dunkle Gedanken und schwarze Stunden, von denen er genügend erlebt hat.

 ?? Foto: Siegfried Kerpf ?? „Ich habe jeden Tag geweint“: Der ehemalige AEV Torhüter Ben Meisner litt jahre lang unter schwersten Depression­en.
Foto: Siegfried Kerpf „Ich habe jeden Tag geweint“: Der ehemalige AEV Torhüter Ben Meisner litt jahre lang unter schwersten Depression­en.

Newspapers in German

Newspapers from Germany