Aichacher Nachrichten

Das ungleiche Brüder Paar

Herbert und Helfried Müller coachten in den 90er Jahren die Hochzoller Handballer­innen. Wie das die Basis für ihre Karriere als Profi-Trainer legte und warum sie sich als Frauenvers­teher sehen (Serie/Teil 16)

- Interview: Andrea Bogenreuth­er

1988 bis 1999 trainierte­n Sie mit Ihrem Bruder Helfried die Handballer­innen der DJK Augsburg-Hochzoll und führten die Mannschaft in die zweite Liga. Warum haben Sie Augsburg dann verlassen und sind nach Nürnberg gewechselt?

Herbert Müller: Eigentlich bin ich aus berufliche­n Gründen nach Nürnberg gegangen. Ich wurde mit einer Dozentenst­elle am Institut für Informatik dorthin gelockt. Die Nürnberger Handballer­innen spielten damals nur in der fünften Liga. Also sportlich war das kein Anreiz für mich. Aber die berufliche Möglichkei­t für mich, am Institut zu arbeiten, verbunden mit der Chance, den Handball dort nach oben zu bringen, hat den Ausschlag gegeben. Der Hauptspons­or der Nürnberger­innen wollte sie unbedingt nach oben bringen. Koste es, was es wolle.

Ihr Bruder ist anfangs noch in Augsburg geblieben und hat bis zur Insolvenz 2003 die Hochzoller ZweitligaH­andballeri­nnen trainiert. Wie haben Sie das damals empfunden?

Müller: Mir hat das enorm leidgetan. Denn es gab da ja noch ein Spiel zwischen unseren Mannschaft­en, das ich mit dem 1. FC Nürnberg haushoch gewonnen habe. Ich bin da zu sehr Trainer, um etwas herzuschen­ken. Aber das tat schon weh. Trotzdem war es unfassbar, dass Helli in Augsburg mit der Truppe und den geringen finanziell­en Mitteln damals noch um den Aufstieg in die erste Liga gespielt hat.

Warum hat Ihr Bruder durchgehal­ten?

Müller: Weil in Hochzoll ein toller Zusammenha­lt herrschte. Es gab Spielerinn­en wie Zsuzsa Kleitsch, die voranmarsc­hiert sind. Als Trainer haben wir in der Zeit dort viel gelernt. Etwa die richtige Achse mit Torhüter, Mittelspie­lerin und Kreisläufe­rin zu haben und dann alles andere drum herum aufbauen.

Das haben Sie aus Augsburg mitgenomme­n?

Müller: Ja, in Zsuzsa Kleitsch hatten wir in Hochzoll eine Spielerin, die der verlängert­e Arm von uns Trainern war und die alles leitete. Das habe ich dann in Nürnberg so gemacht und jetzt in Erfurt ebenso. Das hat sich wie ein roter Faden durchgezog­en und war immer der Schlüssel zum Erfolg.

War es für Sie ungewohnt, in Nürnberg anfangs ohne Ihren Bruder Helfried als Trainer zu arbeiten?

Müller: Es war für mich komplett neu, zumal ich eigentlich nie geplant hatte, aus Augsburg wegzugehen. Wie man an Helli und mir sieht, sind wir sehr familienve­rbunden. Wir wollten nicht weg von den Eltern, die heute immer noch in Augsburg leben. Deshalb war es für mich ein großer Schritt. Eine Wende in meinem Leben. Damals hat auch mein Weg in Richtung Profi-Handball begonnen, den ich eigentlich nie geplant hatte. In Augsburg wäre das finanziell nicht möglich gewesen. Doch in Nürnberg hat alles eine unfassbare Eigendynam­ik bekommen. Das kann man nicht planen, das war wie in einem Traum. Sie fuhren mit den Nürnberger­innen von 1999 bis 2008 beispiello­se Erfolge ein …

Müller: Ja, das kann man so sagen. Wir sind von der fünften Liga bis in die Bundesliga durchmarsc­hiert. Bis in die zweite Liga sogar nur mit Siegen. Wir hatten damals einen Hauptspons­or, der uns für 50 Siege in Folge eine Reise nach New York versproche­n hat. Ich glaube, wir haben dann 74 Mal hintereina­nder gewonnen – und sind auch wirklich nach New York geflogen. Und das alles mit Spielerinn­en, die wir von ganz unten nach oben gezogen haben. Erst nach dem Aufstieg in die erste Liga haben wir den großen Umbruch gemacht und acht neue Spielerinn­en geholt. Dann sind wir im ersten Jahr Bundesliga auch gleich deutscher Pokalsiege­r geworden und im zweiten Jahr haben wir das Double geholt. Insgesamt waren wir dreimal deutscher Meister.

Und Sie haben schnellste­ns Ihren Bruder zu sich nach Nürnberg geholt? Müller: Er hat mir nicht nur sehr gefehlt, sondern ich habe es auch nicht geschafft, einen anderen Co-Trainer zu integriere­n. Ich konnte einfach nichts abgeben. Meine Co-Trainer haben es immer nur zwei Wochen mit mir ausgehalte­n. Helli und ich sind so eingespiel­t, dass wir wissen, wie wir uns das Training aufteilen. Wenn er sich um die Deckung kümmert, brauche ich gar nicht hinschauen. Und wenn ich schimpfe, geht er nachher zu den Spielerinn­en hin und streichelt. Darüber müssen wir gar nicht reden, das klappt einfach so.

Streiten Sie sich manchmal?

Müller: Ich glaube, das letzte Mal war in der sechsten Klasse, als ich Helli beim Rauchen erwischt habe. Es hat aber nichts genützt.

2004 wurden Sie zusätzlich Trainer der österreich­ischen Frauen-Nationalma­nnschaft, Ihr Bruder hat die österVon reichische­n Juniorinne­n übernommen und weilt mit diesen gerade bei der EM in Ungarn. Warum tun Sie sich diese Doppelbela­stung an?

Müller: Mich hat das internatio­nale Parkett gereizt. Das ist natürlich alles verdammt viel Arbeit. Aber man denkt ja in dem Alter noch, man hat unendlich Kraft.

2008 gaben Sie und Ihr Bruder dann ein kurzes, aber schmerzvol­les Intermezzo als Trainer bei CS Urban Brasov in Rumänien. Da lief es erstmals nicht wie gewünscht?

Müller: Das war der absolute Wahnsinn. Zwei rumänische Topklubs hatten um uns gebuhlt und sich hochgescha­ukelt. Wir haben uns, wie wir eben sind, für das schwächere Team entschiede­n, weil wir selbst etwas aufbauen wollten. Aber das hat sich als absolute Luftblase erwiesen. Wir haben ein einziges Monatsgeha­lt bekommen, waren aber 19 Monate dort. Helli und ich waren dann auch wirklich die Letzten, die den Laden zugesperrt haben.

In Erfurt, wo Sie beide seit 2010 arbeiten, kam der Erfolg zurück … Müller: Ja, wir waren mit dem Thüringer HC sieben Mal deutscher Meister, zweimal haben wir den Pokal und zweimal den Supercup gewonnen. In Bad Langensalz­a, dem Herz unseres Vereins, ist die ganze Stadt einfach nur handballve­rrückt.

Was ist Ihr Erfolgsgeh­eimnis als Trainer-Duo?

Müller: Ich denke, das ist unsere besondere Art. Wir machen bestimmte Dinge ein bisschen anders. Beispielsw­eise müssen sich die Spielerinn­en unser Vertrauen nicht erarbeiten. Sie bekommen von Anfang an hundert Prozent und dann verwalten sie das. Und sie tun gut daran, diese hundert Prozent zu bewahren, denn dann bleibt die Leine lang.

Sie haben bisher immer nur Frauenmann­schaften trainiert. Wie schaffen Sie es, mit diesen immer so erfolgreic­h zu sein?

Müller: Wir achten ganz extrem auf das Pyramiden-Modell. Wir haben Spielerinn­en, die ganz oben in dieser Pyramide stehen. Das ist auch mein erster Satz in jeder Besprechun­g: Vergesst gleich mal, dass alle Spielerinn­en gleich sind. Das ist vollkommen­er Schwachsin­n. Man braucht ganz klare Hierarchie­n und ganz klare Rollenvert­eilungen. Wenn man diese Rollen in einer Damenmanns­chaft klar definiert und anspricht, gehen sie mit dir durch dick und dünn. Weil Frauen viel leistungsf­ähiger, leidensfäh­iger und viel belastbare­r sind, als Männer es jemals sein werden. Das ist einfach so. Ich weiß das, denn ich habe lange genug Männer-Handball gespielt.

Und wenn Sie später einmal nicht mehr gemeinsam mit Ihrem Bruder als Coach arbeiten?

Müller: Dann führt Hellis Weg zu hundertpro­zentig nach Augsburg zurück, während ich derzeit noch nicht sagen kann, wohin es mich ziehen wird. Da wir in Deutschlan­d so gut wie alles gewonnen haben, könnte es sportlich höchstens noch irgendwann eine Station im Ausland sein – um vielleicht doch noch irgendwann die Champions League zu gewinnen.

 ?? Foto: Erich Jaut ?? Da waren sie noch das Trainerges­pann bei den Frauen der DJK Augsburg Hochzoll: Helfried (v. l.) und Herbert Müller. Danach trennten sich ihre Wege kurzzeitig, doch ab 2003 wechselte auch Helfried Müller nach Nürnberg. Seitdem gingen die Brüder ihren Weg als Profi Trainer nur noch zusammen.
Foto: Erich Jaut Da waren sie noch das Trainerges­pann bei den Frauen der DJK Augsburg Hochzoll: Helfried (v. l.) und Herbert Müller. Danach trennten sich ihre Wege kurzzeitig, doch ab 2003 wechselte auch Helfried Müller nach Nürnberg. Seitdem gingen die Brüder ihren Weg als Profi Trainer nur noch zusammen.
 ?? Foto: Bogenreuth­er ?? Seit 2010 sind Herbert Müller und sein Bruder in Erfurt und trainieren die Erstliga Frauen des Thüringer HC. Beim Gespräch fehlte Helfried Müller, weil er mit den ös terreichis­chen Juniorinne­n zur EM nach Polen abberufen wurde.
Foto: Bogenreuth­er Seit 2010 sind Herbert Müller und sein Bruder in Erfurt und trainieren die Erstliga Frauen des Thüringer HC. Beim Gespräch fehlte Helfried Müller, weil er mit den ös terreichis­chen Juniorinne­n zur EM nach Polen abberufen wurde.

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