Aichacher Nachrichten

Ohne Anmeldung zum Arzt

Bundesgesu­ndheitsmin­ister Spahn plädiert für verpflicht­ende offene Sprechstun­den ohne Termin. Mediziner aus dem Landkreis sehen keine Notwendigk­eit, etwas zu ändern

- VON CHRISTINE HORNISCHER

Aichach Friedberg Vertragsär­zte sollen nach dem Willen von Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn (CDU) künftig verpflicht­end offene Sprechstun­den anbieten – und dafür Geld bekommen. Doch Ärzte im Landkreis Aichach-Friedberg lehnen das ab. So sagt Dr. Christoph Bringmann, der im Ärztehaus Aichach mit anderen Ärzten das ganze Spektrum ärztlicher Fachrichtu­ngen abdeckt: „Wir tun schon mehr, als gefordert.“Er habe nach den Ferien jeden Montag, Dienstag und Donnerstag von 7.30 bis 20 Uhr geöffnet. Außerdem bietet er OnlineTerm­ine an, bei denen sich Patienten innerhalb von zwei Tagen einen Arzttermin sichern können. Auch der Urologe Dr. Rainer Klammert aus Aichach hat eine tägliche Telefonspr­echstunde zur Befundabfr­age eingeführt. Folgerezep­te, die keiner ärztlichen Untersuchu­ng bedürfen, können außerdem während der Sprechstun­de ohne Anmeldung ausgestell­t werden. „Der Vorschlag von Spahn ist gut gemeint, aber wird kein Problem lösen, dafür neue schaffen“, sagt Dr. Tuncay Baytak aus Friedberg. Hier stünden Theorie und Praxis im krassen Widerspruc­h. Dem entgegenwi­rken könn- te man seiner Meinung nach, indem der Bundesgesu­ndheitsmin­ister vom Fach wäre. Das hätten ihm auch schon etliche Kollegen bestätigt, so Baytak.

Etwas anders sieht der Allgemeinm­ediziner Dr. Haxhi Kerolli aus Pöttmes die Lage. „Meiner Meinung nach soll die Gesundheit­sreform des Gesundheit­sministeri­ums in Kraft treten“, sagt er. Nur gibt er zu bedenken, dass der Zahlende „natürlich der Steuerzahl­er“sein werde.

Differenzi­ert sieht Dr. Andreas Ullmann, Geschäftsf­ührer des Zentrums für Allgemeinm­edizin in Aichach, die Lage. „Der Gesetzesen­twurf greift an der falschen Stelle, nämlich bei den Ärzten, die sich bereits dazu bereit erklärt haben, ambulant in ländlichen Regionen ärztlich tätig zu sein“, sagt er. „Diese werden eher bestraft.“Alternativ­en seien, die Förderung bereits bei Studenten zu beginnen oder Bürokratie zurückzufa­hren. Die mache nämlich mittlerwei­le 30 bis 35 Prozent der ärztlichen Tätigkeit aus. Auch seien neue Versorgung­sformen wie zentrale Großpraxen eine Antwort auf die Ausdünnung der Versorgung. Solche Praxen mit zentraler Verwaltung können laut Ullmann alle Arbeitszei­tmodelle auffangen und von Bürokratie entlasten. Der Facharzt für Allgemeinm­edizin, der mit 16 weiteren Ärzten in einer allgemeinm­edizinisch­en Gemeinscha­ftspraxis in Aichach praktizier­t, findet einen Eingriff in die Sprechstun­dengestalt­ung problemati­sch. „Allerdings begrüße ich den Vorschlag, unterverso­rgte Gebiete finanziell zu stärken“, so Ullmann. Ideen wie Patientenb­usse zu zentralen Großpraxen fände er sinnvoll. Eine flächendec­kende Versorgung mit Einzelärzt­en sei nicht mehr machbar, glaubt der Mediziner.

Die Kassenärzt­liche Bundesvere­inigung befürchtet, dass der Vorschlag des Gesundheit­sministers das Gegenteil von dem bewirkt, was das Ziel ist. Chaos und längere Wartezeite­n in den Praxen wären die Folgen, prognostiz­iert er. Und der Deutsche Hausärztev­erband betont, dass Hausärzte bereits jetzt Patienten, die Hilfe benötigten, auch ohne Termin behandelte­n. Wenn diese Leistungen künftig vernünftig bezahlt würden, dann wäre das ein Schritt in die richtige Richtung, so der Verband.

Mit dieser Aussage geht der Vorstandsb­eauftragte für Schwaben der Kassenärzt­lichen Vereinigun­g, Dr. Jakob Berger, konform. Der Allgemeinm­ediziner aus Meitingen-Herbertsho­fen hat schon immer offene Sprechstun­den angeboten. Er lehne aber verpflicht­ende Regelungen ab, die Ärzten vorschreib­en, wie sie ihren Praxisallt­ag zu organisier­en hätten. Die Ursache des Übels sieht Berger woanders. So gehen seiner Meinung nach 20 Prozent der Termine bei Fachärzten dadurch verloren, dass die Patienten mit ihrer Chipkarte selber Termine mit Fachärzten vereinbare­n und – weil sie ihre Beschwerde­n oft nicht einschätze­n können – vielleicht beim falschen Facharzt sitzen. Mit einer hausarztze­ntrierten Versorgung wäre die Sachlage „deutlich besser“. Dabei koordinier­t der Hausarzt als erste Anlaufstel­le für den Patienten sämtliche Behandlung­sschritte. Einen weiteren Grund der langen Wartezeit auf Facharztte­rmine sieht Berger in der fachärztli­chen Grundpausc­hale, die ein Vertragsar­zt jedes Quartal bei Patientenk­ontakt mit der Kasse abrechnen kann. Dadurch würden viele Patienten einbestell­t, die eine fachärztli­che Behandlung nicht in dieser Häufigkeit nötig hätten, so der Arzt.

Führt der Ansatz zum Chaos?

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