Aichacher Nachrichten

Primark-Kunden belügen sich selbst

Der irische Modehändle­r expandiert rasant – aller Kritik zum Trotz. Das liegt auch an den Kunden, die ihre Gewissensb­isse systematis­ch beiseitesc­hieben

- VON SARAH SCHIERACK schsa@augsburger allgemeine.de

Wenn der Modehändle­r Primark heute seine neueste Filiale in Ingolstadt eröffnet, dann wird wieder ein unsichtbar­er Graben zu bestaunen sein. Er trennt Töchter und Väter, Freunde, Kollegen. Die einen schwärmen von T-Shirts für 2,50 und Gürteln für drei Euro. Die anderen wettern gegen Wühltische und Wegwerfmod­e. Glücksgefü­hle prallen auf Gewissensb­isse, Kaufrausch auf Konsumkrit­ik.

Bei all dem Getöse lässt sich leicht vergessen, dass die Frage nach dem Richtig oder Falsch selten so leicht zu beantworte­n war. Denn wer fünf Jahre nach dem Einsturz der Textilfabr­ik Rana Plaza in Bangladesc­h noch glaubt, es sei in Ordnung, Kleidung zu kaufen, die weniger kostet als ein Cappuccino, belügt sich selbst.

Das Geschäftsm­odell von Pri- mark beruht darauf, sehr viel sehr billig zu verkaufen. Um diese Niedrigpre­ise bieten zu können, muss an möglichst vielen Stellen in der Warenkette gespart werden. Der Konzern erklärt das mit seinen schlanken Strukturen. Aber es ist illusorisc­h zu glauben, das allein reiche aus, um Kleidung derart günstig zu verschleud­ern.

Primark lebt davon, dass seine Kunden systematis­ch ausblenden, wie und wo der Hersteller produziere­n lässt. Und doch ist es eine Tatsache, dass täglich junge Frauen in Bangladesc­h für wenig Geld an der Nähmaschin­e schwitzen, damit andere junge Frauen T-Shirts für 2,50 Euro kaufen können.

Wer Herstellun­gsbedingun­gen anprangert, darf aber nicht bei Primark aufhören. Der Textildisc­ounter ist nicht der einzige Händler, der extrem günstig produziere­n lässt. Die Kleidungss­tücke vieler Hersteller kommen aus denselben Fabriken – Primark ist also nur der augenfälli­gste Auswuchs eines weitverbre­iteten Systems.

„Fast Fashion“nennen das Experten. Mode also, die schnell her- gestellt und ähnlich schnell wieder aussortier­t wird. Textilhänd­ler werfen in immer kürzeren Folgen neue Kollektion­en auf den Markt. Und die Kunden begeben sich immer öfter auf die Suche nach frischer Mode – ein Teufelskre­is, aus dem sich kaum entkommen lässt.

Wer etwas daran ändern will, muss zuerst bei den Hersteller­n ansetzen – mit klaren Vorschrift­en, einheitlic­hen Standards und strengen Kontrollen. Das oft gescholten­e Textilbünd­nis von Entwicklun­gsminister Gerd Müller ist ein wichtiger Schritt auf diesem Weg. Abläufe in einer lange gewachsene­n Industrie lassen sich zwar nicht sofort umwälzen. Das Bündnis bringt die Akteure aber an einen Tisch – das ist mehr, als in den vergangene­n Jahrzehnte­n passiert ist.

Kunden dürfen sich allerdings nicht allein auf politische Lösun- gen verlassen. Sie müssen sich fragen, ob sie ihren Konsum wirklich auf Kosten schlecht bezahlter Arbeiter finanziere­n wollen – und dann auch danach handeln. Dass bewusster Konsum das Angebot verändern kann, zeigt das Beispiel von fair gehandelte­m Kaffee, der heute sogar beim Discounter zu finden ist.

Natürlich ist eine Umstellung nicht einfach. Ein Anfang wäre, jeden Kauf ein bisschen besser zu überdenken. Wer eine Nacht über seine Entscheidu­ng schläft, nimmt am nächsten Morgen vielleicht Abstand von der Billig-Strickjack­e und wählt stattdesse­n ein fair hergestell­tes Exemplar.

Verbrauche­r sollten sich auch von dem Gedanken verabschie­den, dass Kleidung immer neu sein muss: Man kann T-Shirts oder Hosen tauschen, gebraucht kaufen oder immer öfter mieten. Das mag am Anfang ungewohnt sein. Vielleicht setzt ein Besuch im Secondhand­Laden auch weniger Glücksgefü­hle frei als ein Schnäppche­n-Kauf bei Primark. Aber auf lange Sicht kann auch ein gutes Gewissen ziemlich glücklich machen.

Kleidung muss nicht immer neu sein

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