Aichacher Nachrichten

Wird Idlib zur Hölle?

Die Offensive der Assad-Truppen gegen die Rebellenho­chburg steht offenbar kurz bevor. Ankara fürchtet einen Ansturm von Flüchtling­en. Der ganzen Region droht ein Chaos

- VON SUSANNE GÜSTEN

Istanbul Die Warnungen sind ungewöhnli­ch scharf. Mitglieder des UN-Sicherheit­srats fürchten angesichts eines offensicht­lich bevorstehe­nden Angriffs syrischer Regierungs­truppen auf die letzte Rebellenho­chburg Idlib „katastroph­ale Konsequenz­en“. „Die Leben von 2,2 Millionen Menschen stehen auf dem Spiel“, sagte die französisc­he UN-Botschafte­rin. Die UN warnen vor bis zu 800 000 Flüchtling­en.

Gleichzeit­ig baut die Türkei ihre Position im Norden Syriens gegen die von den USA unterstütz­ten Kurden aus. Vor internatio­nalen Gesprächen über die Zukunft Syriens kommende Woche könnte der Einfluss Russlands auf die Türkei weiter wachsen. In Idlib werden zehntausen­de Rebellenkä­mpfer vermutet, von denen viele in den vergangene­n Monaten aus anderen Teilen Syriens in die nordwestli­che Provinz geflohen waren.

In Gesprächen mit Russland, der Schutzmach­t der syrischen Regierung, will die Türkei erreichen, dass die Offensive abgeblasen oder zumindest abgeschwäc­ht wird. Russland verlangt hingegen, dass die Türkei ihren Einfluss auf die Rebellen in Idlib nutzt, um die Entwaffnun­g und Auflösung einiger Gruppen zu erreichen. Die Gespräche der Türken mit radikalisl­amischen Milizen laufen derzeit, doch ist unklar, was mit den vielen Kämpfern – erklärten Todfeinden der syrischen Regierung – geschehen soll, wenn sie ihre Waffen abgeben.

Die Türkei schickte in den vergangene­n Tagen ihren Außenminis­ter, den Verteidigu­ngsministe­r und den Geheimdien­stchef zu Gesprächen nach Moskau. Außenamtsc­hef Mevlüt Cavusoglu nannte Russland einen „strategisc­hen Partner“der Türkei. Eine groß angelegte Offensive in Idlib wäre eine Katastroph­e, warnte er. Zugleich räumte er aber ein, dass etwas gegen die radikalisl­amischen Gruppen in der Gegend getan werden müsse. Moskau und Ankara verfolgen gegensätzl­iche Interessen in Idlib: Russland will die Provinz – die letzte von Rebellen gehaltene Gegend im Westen Syriens – möglichst rasch wieder unter die Kontrolle der syrischen Regie- rung bringen. Dagegen unterstütz­t die Türkei einige der dort verschanzt­en Rebellengr­uppen und fürchtet eine neue Flüchtling­swelle. Zudem unterhält die Türkei in Idlib zwölf Beobachtun­gsposten mit rund tausend Soldaten, die bei einem Angriff syrischer Truppen in Gefahr geraten könnten. Während Russland den syrischen Präsidente­n Baschar al-Assad stützt, strebt Ankara seit Jahren den Sturz des Staatschef­s an.

Dennoch sind beide Seiten entschloss­en, ihr Bündnis nicht an Idlib zerbrechen zu lassen. Russland braucht die Zusammenar­beit mit der Türkei, um den Krieg in Syrien bald zu beenden. Umgekehrt ist die Türkei bei ihren Militärakt­ionen in Syrien auf russisches Einvernehm­en angewiesen. Beide Länder streben zudem eine Rückkehr von Flüchtling­en nach Syrien an: Die Türkei will möglichst viele der drei Millionen Syrer im Land nach Hause schicken und Russland will sich als Friedensbr­inger profiliere­n. Gelegenhei­t zur Stärkung der türkisch-russischen Zusammenar­beit in Syrien

Radikalisl­amische Milizen als Todfeinde

Moskau: Rebellen planen Giftgasang­riff in Idlib

bietet ein Dreier-Gipfel von Türkei, Russland und Iran im iranischen Tabriz kommende Woche.

Während die türkisch-russische Kooperatio­n enger wird, bemüht sich Moskau nach Kräften, weitere Keile zwischen Ankara und Washington zu treiben. Celalettin Yavuz, Professor an der Ayvansaray­Uni in Istanbul, verwies im Gespräch mit unserer Zeitung auf jüngste russische Vorwürfe an den Westen: Laut Moskau könnten syrische Rebellen in Idlib mit britischer Unterstütz­ung Chemiewaff­en einsetzen und die Schuld der Regierung in Damaskus in die Schuhe schieben, um Luftangrif­fe der USA zu provoziere­n. Moskau versuche, die türkische Regierung von dieser Version zu überzeugen, sagte Yavuz. Das Vertrauen zwischen Türkei und USA sei so zerrüttet, dass Ankara an eine Provokatio­n der USA glauben werde, wenn es C-Waffeneins­ätze in Idlib geben sollte, so Yavuz. Auch neue türkische Truppenver­legungen über die Grenze nach Nord-Syrien hängen mit der türkisch-amerikanis­chen Krise zusammen, die wegen der Inhaftieru­ng eines US-Pastors in der Türkei eskaliert ist.

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Foto: G. Ourfalian, afp Unter den Blicken von Assad und Putin: Syrische und russische Truppen ziehen den Belagerung­sring um die Rebellenho­chburg Idlib immer enger.

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