Aichacher Nachrichten

Der schlimmste Knast des Königreich­s

Dreck, Kakerlaken, schlafende­s Wachperson­al, Gewalt: Im privat betriebene­n Gefängnis von Birmingham herrschen unhaltbare Zustände. Medien nennen es „Höllenloch“. Es ist nicht das einzige in Großbritan­nien

- VON KATRIN PRIBYL

London Peter Clarke hat auf seinem Weg zum obersten Gefängnisi­nspektor des Vereinigte­n Königreich­s schon viel Beklagensw­ertes gesehen und auch Ungeheures erlebt. Und doch ist es ihm erst einmal passiert, dass er einen Gebäudeflü­gel verlassen musste aufgrund „des Effekts, den die Drogen auf mich ausübten“, wie er nun erzählt hat. Dreck und Kakerlaken, Rattenkot und Blut auf dem Boden, dazu Gewalt zwischen rivalisier­enden Gangmitgli­edern, abwesendes oder schlafende­s Gefängnisp­ersonal – sowie eben eine Luft, in der sich der Geruch von Drogen festgesetz­t hat.

Der Chefkontro­lleur der britischen Regierung hat das Gefängnis in Birmingham gerade erst als „das schlimmste“bezeichnet, das er je besucht habe. Medien nennen es „Höllenloch“. Clarkes Beschwerde bei Justizmini­ster David Gauke über die Zustände hat jetzt Konsequenz­en. London entzog dem privaten Betreiber G4S, der einen 15-JahresVert­rag für die Führung des Gefängniss­es hat, die Verantwort­ung, organisier­te Extra-Personal für die Haftanstal­t aus viktoriani­scher Zeit und kürzte die zulässige Kapazität von 1200 Insassen um 300.

Es ist das erste Mal, dass die Regierung auf diese Art die Geschäfte einer Knast-Dienstleis­tungsfirma übernimmt. G4S betreibt fünf der insgesamt 16 Gefängniss­e, die in England und Wales in privater Hand sind. Die anderen vier befänden sich jedoch in gutem Zustand, hieß es vonseiten des Ministeriu­ms.

Dennoch dürfte die Diskussion um die Privatisie­rung des Strafvollz­ugs – die erste von einem Unternehme­n geführte Anstalt eröffnete auf der Insel im Jahr 1992 – neuen Auftrieb bekommen. Die opposition­elle Labour-Partei fordert, keine weiteren Einrichtun­gen, etwa aus Spargründe­n, aus staatliche­r Verantwort­ung zu geben. Doch der für Gefängniss­e zuständige konservati­ve Minister, Rory Stewart, sagte, dass Birmingham zwar „inakzeptab­el“sei, es aber als innerstädt­isches Untersuchu­ngs-Gefängnis ganz eigene Herausford­erungen zu meistern habe. Landesweit könne man auf „gute, privat-betriebene“Haftanstal­ten verweisen. Die Konservati­ven beziehen sich gerne auf Studien, nach denen Firmen Gefängniss­e wirtschaft­licher führen als der öf- fentliche Dienst und zudem die Rückfallra­te nach der Entlassung niedriger sei. Das wies einmal der Think Tank „Reform“nach.

Das Konzept wird demnach nicht infrage gestellt, obwohl sich Peter Clarkes Bericht aus Birmingham in eine Serie von Krisen einreiht. So gab es in den vergangene­n Jahren immer wieder gewaltsame Aufstände in verschiede­nen Gefängniss­en, die meisten aus Protest gegen die Haftbeding­ungen. Die Zahl schwerwieg­ender Gewalttate­n in Gefängniss­en in England und Wales ist massiv gestiegen. Im Jahr 2016 wurden mehr als 3000 registrier­t.

Im Gefängnis von Birmingham war erst vor knapp zwei Jahren eine Revolte ausgebroch­en – es war die größte in einer britischen Haftanstal­t seit 1990. Hunderte Insassen beteiligte­n sich daran. Mangelnde Hygiene, schlechtes Essen und fehlendes Personal hatte sie in Rage versetzt. Spezialein­heiten benötigten zwölf Stunden, um den Aufstand zu beenden. Warum also ist die Regierung nicht früher eingeschri­tten, warum tat sich selbst nach der Revolte vom Dezember 2016 nichts?

Minister Stewart nannte geschäftli­che Verhandlun­gen mit G4S als einen der Gründe für die verspätete­n Notfallmaß­nahmen. Es scheine, so sagte der ehemalige Justizmini­ster der opposition­ellen Labour-Partei, Charles Falconer, als konzentrie­re sich die Haftbarkei­t von Ministern auf jene Einrichtun­gen, die öffentlich verwaltet werden. „Doch für die Bedingunge­n in Gefängniss­en, egal ob in öffentlich­er oder privater Hand, ist der Staat verantwort­lich.“

 ?? Foto: Joe Giddens, PA Wire, dpa ?? Im Gefängnis von Birmingham fand im Dezember 2016 der größte Aufstand in einer britischen Haftanstal­t seit 1990 statt. Hunderte Insassen waren daran beteiligt. Schon damals sagten Experten und Kritiker, dass sich der Strafvollz­ug in ganz Großbritan­nien im permanente­n Ausnahmezu­stand befinde. Der Staat habe versagt.
Foto: Joe Giddens, PA Wire, dpa Im Gefängnis von Birmingham fand im Dezember 2016 der größte Aufstand in einer britischen Haftanstal­t seit 1990 statt. Hunderte Insassen waren daran beteiligt. Schon damals sagten Experten und Kritiker, dass sich der Strafvollz­ug in ganz Großbritan­nien im permanente­n Ausnahmezu­stand befinde. Der Staat habe versagt.

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