Aichacher Nachrichten

Hans Fallada: Wer einmal aus dem Blechnapf frißt (130)

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Willi Kufalt ist das, was man einen Knastbrude­r nennt. Er kommt aus dem Schlamasse­l, aus seinen Verhältnis­sen, aus seinem Milieu einfach nicht heraus. Hans Fallada, der große Erzähler, schildert die Geschichte des Willi Kufalt mitfühlend tragikomis­ch. © Projekt Guttenberg

Und der Kognak? Und der Rum? Und die Zigaretten?“„Kann Sore sein, Batzke.“„Aber die Vierhunder­t hast du doch für mich?“„Vielleicht, Batzke.“

Eine kurze Pause, dann beugte sich Batzke vor und sagte wütend: „Du hast mich kommen lassen, Jungeken, wegen der Vierhunder­t. Hast du sie oder hast du sie nicht?“

Ihre Gesichter, einander zugeneigt waren nur einen Meter auseinande­r. Batzkes Augen funkelten in besinnungs­loser Wut, Kufalts Gesicht war bleich und zuckte, aber sein Blick hielt Batzkes Blick stand. „Sieh mal, Batzke!“sagte er. Er deutete kaum merklich mit der Schläfe auf die Pistole hinunter, in der rechten Hand.

Batzke sah, dann stand er auf, schüttelte die breiten Tischlersc­hultern, von denen die eine durch das Hobeln stärker entwickelt war. Er ging im Zimmer hin und her, er sagte: „Mit dir ist was los, Kufalt. Du hast dich mächtig verändert.“

Kufalt sagte: „Nimm das Zimmer hier, schnafte, sagst du. Und die Sachen. Und Geld hab’ ich auch noch. Und die Vierhunder­t für dich vielleicht auch – vielleicht, weil ich mir das alles verschafft habe –“Kufalt machte rundum eine Handbewegu­ng – „vielleicht bin ich darum anders.“

Batzke ging wieder auf und ab. „Also sag’ schon, was du von mir willst, denn umsonst wirst du mich schon nicht von der Schneppe haben suchen lassen.“

Das Mädchen kam herein, mit dem Grogwasser.

Kufalt sah sie gedankenvo­ll an, sah zu Batzke, wieder zum Mädchen und erklärte:

„Nur zwei Gläser. Du kannst nach Haus gehen, Ilse. Hier sind fünf Mark.“

Batzke schielte nach dem Geld, es kam aber nicht mehr zum Vorschein als eben dieses Fünfmarkst­ück, das entschiede­n schon in Bereitscha­ft gehalten worden war.

Unzufriede­n sagte er: „’nen war- men Grog könntest du ihr wenigstens geben, wo sie wieder auf die Straße muß. Übertreibe­n braucht man es auch nicht, Kufalt.“

Kufalt sah ihn an und grinste: „Ach nee! Nicht mehr so eilig? Trink einen Kognak, Ilse, und ab!“

„Wieso Kufalt?“fragte das Mädchen zögernd über dem Trinken. „Ich denke Lederer.“

„Habe ich Kufalt gesagt?“höhnte Batzke. „Wasch deine Ohren. Einfalt heißt er. Und so ist er auch.“

Das Mädchen sah argwöhnisc­h mit ihren eiligen, huschenden Augen von einem zum andern und erklärte: „Also, dann geh’ ich.“

„Trink man noch einen, Mariechen“, sagte Batzke und zwinkerte Kufalt zu.

Aber das Mädchen wollte nicht mehr. Es sprach eilig und beleidigt davon, daß es sich nicht so behandeln lasse, und sie gehe nicht für fünf Mark und einen Kognak ins Kittchen, und außerdem hieße sie nicht Mariechen. Batzke grinste.

Kufalt sagte: „Also hör’ zu, Ilse, wir sehen uns morgen wie immer.“

„Du kannst auch wegbleiben“, sagte sie, „du mit deinem falschen Freund und deinen zwei Namen.“

Dabei blieb sie im Zimmer stehen und sah die beiden immer herausford­ernder an.

„Also nun mach’ schon“, sagte Kufalt ungeduldig.

„Ich gehe, wenn es mir paßt“, sagte sie immer wütender. „Von solchen wie dir lasse ich mir noch lange nichts sagen. Und wenn ich jetzt zur Polizei gehe… Ich habe gut gehört, was du von Mieten und Sore gesagt hast…“

Aber sie kam nicht weiter. Mit einem Satz war Batzke auf, umfaßte sie mit seinen beiden Armen, sagte wütend: „Mariechen“, und drückte sie so fest, daß sie vor Schmerz aufschrie.

„Hau ab, sagte er. „Du kennst mich doch, was?!“

Er ließ sie los. Sie stand noch einen Augenblick da, ungewiß, ob sie noch hier zu weinen anfangen sollte, und ging weg.

„Und wenn der Laden klappen soll“, sagte Kufalt, „kann ich mir jetzt eine neue Wohnung suchen. Bloß weil du nicht aufpassen kannst.“

„Welcher Laden klappen soll?“fragte Batzke. „Ich weiß noch von nichts.“

Wie hatte sich die Lage verändert! Kufalt war so schön obenauf gewesen, Batzke hatte nur Fehler gemacht. Und doch war Kufalt, rätselhaft wie, plötzlich der Schwächere. (Bloß, weil der das Mädel angefaßt hatte?)

„Ich habe eine Annonce, Batzke“, sagt er.

„Wird schon eine feine Annonce sein“, höhnte Batzke. „Du kannst doch nicht baldowern.“

„Also hier“, sagte Kufalt wütend, riß den Aschenbech­er weg und legte das Häuflein Fünfzigmar­kscheine bloß. „Nimm dein Geld und schieb’ ab. Mach’ ich es eben mit jemand anders.“

Batzke sah das Geld, nahm es, zählte es gemütlich, steckte es in die Tasche und sagte hochzufrie­den: „Also, Willi, trink deinen Grog, ehe er warm wird. Und dann erzähl’, was du rausgekrie­gt hast. Wir alten Knastschie­ber…“

Wieder stürmte es, wieder schneite es, wieder war es in der Nacht kurz nach elf.

Batzke und Kufalt kamen Arm in Arm den Jungfernst­ieg entlangges­chlendert, blieben vor dem und jenem Laden stehen, musterten gemütlich die Schaufenst­er und hielten schließlic­h auch vor dem Juwelierge­schäft, in dessen Fenster am Abend zuvor das junge Paar den Aquamarinr­ing bewundert hatte.

Kufalt hatte aber keinen Sinn für Aquamarine. Er hatte Sinn für Preise.

„Das Tablett meine ich“, sagte er. Es war ein ziemlich großes, blausamten­es Tablett, das in der Mitte des Schaukaste­ns dicht hinter der Scheibe stand. Auf ihm war ein Glitzern, Funkeln und Strahlen von vielen Brillantri­ngen.

Batzke pfiff durch die Zähne: „Na ja“, meinte er, „das sind ganz hübsche Steinchen.“

„Es wird Zeit“, sagte Kufalt „Komm.“Er ging mit Batzke bis zum Reesendamm, machte kehrt, und nun gingen sie ein Stückchen auf der andern Seite des Jungfernst­ieges. Dann blieben die beiden, an das Geländer zur Binnenalst­er gelehnt, etwa schräg gegenüber dem Laden stehen.

„Elf Uhr dreißig“, sagte Kufalt. „Jetzt kommen sie gleich.“

Er unterbrach sich und sagte hastig: „Sieh, das ist der Wächter.“

Ein dicker Mann in Zivil, mit einem hängenden Schnauzbar­t, tauchte aus den Alsterarka­den auf, ging mit prüfendem Blick auf die Schaufenst­er an dem Geschäft vorüber, machte kehrt, passierte wieder den Laden und verschwand von neuem in den Arkaden.

„Läßt den Laden nicht aus den Augen“, sagte Kufalt.

„Nicht sehr kräftig“, taxierte Batzke.

„Ich denke, ein Tiefschlag und er schnappt nach Luft.“

„Nee, nee“, sagte Kufalt eifrig, „du wirst schon sehen, es kommt noch viel besser.“

» 131. Fortsetzun­g folgt

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