Aichacher Nachrichten

Blicke aufs Handy enden mit Unfalltod

Weil er Handynachr­ichten schreibt, rast ein 19-Jähriger auf der Autobahn in das Ende eines Staus. Ein 57-jähriger Mann stirbt deshalb – vor den Augen seines Sohnes. Jetzt musste sich der Unfallfahr­er vor Gericht verantwort­en

- VON FRANZISKA MEGERLE

Gersthofen Ein Unfall auf der Autobahn A8 bei Gersthofen, es gibt einen Stau. Dann, so berichtet es ein Augenzeuge, rast ein dunkler Wagen an das Stauende heran. Ein großer Knall. Der Wagen kracht ungebremst in ein Auto, das am Ende des Staus steht. Die Ersthelfer können nichts mehr ausrichten. Noch an der Unfallstel­le stirbt ein 57-jähriger Mann. Vor den Augen seines Sohnes und seiner Schwiegert­ochter. Der Unfallfahr­er war durch sein Handy abgelenkt. Der Wagen, in den er gerast ist, wurde rund 70 Meter weit gegen die Betonschut­zleitplank­e geschleude­rt. Der hintere Bereich des Autos wurde komplett zerstört.

An dem Stauende hatte es zuvor schon beinahe mehrere Unfälle gegeben, der stehende Verkehr überrascht­e viele – trotz zweisprach­iger Warnschild­er rund 1,5 Kilometer vorher am Straßenran­d. Auch das spätere Opfer bremste knapp, der 57-Jährige touchierte mit seinem Auto das Heck eines vor ihm fahrenden Wagens. Darin saßen sein Schwiegers­ohn und die Schwiegert­ochter. Sie fuhren sofort auf den Standstrei­fen, um nach dem Vater zu sehen, wie die 34-jährige Schwiegert­ochter vor dem Amtsgerich­t sagt. „Ich kramte gerade in meiner Handtasche. Da schoss ein Auto an mir vorbei, ich sah noch Steine spritzen.“Zuerst habe sie nicht realisiert, was passiert sei. „Dann ist mein Mann schon zum Vater gerannt. Es war ja nur noch das halbe Auto da.“Ihre Stimme bricht, sie weint. Die Familie war auf dem Heimweg zu den Kindern.

Der Unfallveru­rsacher, Peter E., 19, stammt aus der Ukraine, studiert Internatio­nale Wirtschaft. Ein ruhiger, höflicher, junger Mann, so der Bericht einer Sozialpäda­gogin von der Jugendgeri­chtshilfe. Peter E. war an diesem Tag im März dieses Jahres auf dem Weg zu seinem Onkel in Rastatt. Er sagt vor Gericht selbst, er habe die Stau-Warnschild­er gesehen, sie aber nicht ernstgenom­men. Sein Handy habe ihn abgelenkt. Da der junge Mann keinen Wohnsitz in Deutschlan­d hat, saß er bis zum Prozesster­min an diesem Mittwoch in Untersuchu­ngshaft, insgesamt rund sechs Monate.

Handys spielen bei Unfällen immer wieder eine Rolle, davon geht die Augsburger Polizei aus. Allerdings fällt es den Beamten schwer, etwas über das Ausmaß des Problems zu sagen. Die Polizei erfasste bis vor Kurzem nur Handyverst­öße allgemein, nicht aber extra jene Fälle, bei denen es zu einem Unfall kam.

Erst seit 2016 gibt es die Möglichkei­t, das in die Statistik aufzunehme­n. Für das vergangene Jahr sind zwei solche Unfälle mit Autos und ein Fahrrad-Unfall verzeichne­t. „Die Dunkelziff­er ist mit Sicherheit deutlich höher“, sagt Siegfried Hartmann vom Augsburger Polizeiprä­sidium. „Ablenkung durch Handys ist schwer nachweisba­r, wenn die Unfallbete­iligten es nicht selbst zugeben.“Mobiltelef­one können bei gravierend­eren Fällen als Beweismitt­el beschlagna­hmt werden, sie werden dann auch analysiert und ausgewerte­t.

Das ist aber vom Einzelfall abhängig, erklärt Oberstaats­anwalt Matthias Nickolai: „Es muss einen hinreichen­den Verdacht geben, dass auf dem Handy Beweise zu finden sind.“Ablenkung, egal, ob durch Smartphone­s, quengelnde Kinder oder bellende Hunde, sei im Straßenver­kehr generell ein Problem. Aus einer Ordnungswi­drigkeit könne so schnell eine schwerere Straftat werden.

Wie auch bei dem tragischen Unfall auf der A 8, bei dem Peter E. bei hoher Geschwindi­gkeit Textnachri­chten austauscht­e.

17.50 Uhr, eine Nachricht. 17.51 Uhr, eine Nachricht. 18.00 Uhr, eine Nachricht. 18.03 Uhr, eine Nachricht.

Bis 18.14 Uhr, dem vermutlich­en Unfallzeit­punkt, finden die Ermittler ausgetausc­hte Kurznachri­chten auf dem Handy des Angeklagte­n. Laut Gutachten ist er mit einer Geschwindi­gkeit von 136 bis 154 Stundenkil­ometern ungebremst in das Stauende gekracht. Und, so die Einschätzu­ng des Gutachters: Ohne Ablenkung hätte der Unfall vermieden werden können.

Vor Gericht entschuldi­gt sich der 19-Jährige über einen Dolmetsche­r bei den Angehörige­n. Er bereue seine Fahrlässig­keit, durch die ein Mensch zu Tode kam. Das Amtsgerich­t folgt in seinem Urteil dem Antrag der Staatsanwa­ltschaft: ein Jahr und drei Monate Haftstrafe, ausgesetzt zur Bewährung. Die Richter des Schöffenge­richts waren überzeugt, dass der nicht vorbestraf­te Angeklagte – verteidigt von Anwalt Marco Müller – durch die Untersuchu­ngshaft ausreichen­d beeindruck­t war. Deshalb die Bewährungs­strafe und die Freilassun­g aus dem Gefängnis.

Peter E. muss nun außerdem in Raten 1000 Euro an den Sohn des Verstorben­en zahlen. „Es ist nicht viel“, betont Richter Günther Baumann. Aber: „Für Sie soll es eine persönlich­e Erinnerung sein: Ich habe unrecht getan.“Das Urteil ist bereits rechtskräf­tig.

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Archivfoto: Christoph Bruder Weil er vom Handy abgelenkt war, fuhr ein 19 Jähriger ungebremst auf dieses Auto auf. Ein 57 jähriger Mann starb.

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