Schwule dürfen Sex haben
Indisches Gericht annulliert altes Verbot
Neu Delhi „Ich kann gar nicht aufhören zu lächeln”, freut sich die 44-jährige Ritu Dalmia. Indiens bekannte Fernsehköchin hatte sich ihren Wecker extra auf 5.30 Uhr gestellt, um das mit Spannung erwartete Urteil des Obersten Gerichts in Indien zur Legalisierung der Homosexualität nicht zu verpassen. „Ich war nie eine Aktivistin. Ich wollte, dass mich die Öffentlichkeit für das kennt, was ich mache, und nicht dafür, mit wem ich schlafe”, sagt Dalmia, die zusammen mit vier weiteren Indern das Oberste Gericht angerufen hatte, um den umstrittenen Paragrafen 377 zu kippen.
Am Donnerstag waren sich die fünf Richter in Neu Delhi einig: Der Staat habe nicht das Recht, in das Privatleben der Bürger einzugreifen, urteilten sie. Damit ist in Indien Homosexualität nicht länger strafbar. „Homosexuelle haben das Recht auf ein Leben in Würde”, sagte Richter Rohinton Nariman. Und Richterin Indu Malhotra meinte, die Mitglieder der homosexuellen Gemeinschaft hätten von der Geschichte eine Entschuldigung verdient, nachdem ihnen ihre Rechte so lange Zeit vorenthalten wurden. „Wir haben heute grundlegende Menschenrechte zugesprochen bekommen”, sagte eine Aktivistin. „Wir sind endlich keine Kriminellen mehr”, erklärte ein anderer.
Der bahnbrechenden Entscheidung waren Jahre der Unsicherheit für die homosexuelle und transsexuelle Gemeinschaft Indiens vorangegangen. In einem Urteilsspruch von 2009 hatte das Oberste Gericht zwar einen Teil des Paragrafen 377 gekippt und damit die Homosexualität legalisiert. Einvernehmlicher Sex zwischen zwei Erwachsenen könne kein Straftatbestand sein, argumentierten die Richter. Doch 2013 wurde dieses Urteil revidiert und der umstrittene, 158 Jahre alte Passus des Strafgesetzbuches wiederhergestellt. Inder, die sich seit 2009 offen zu ihrer sexuellen Orientierung bekannt hatten, wurden auf einen Schlag wieder Kriminelle. Das aus britischer Kolonialzeit stammende Gesetz besagte, dass Geschlechtsverkehr, der „gegen die natürliche Ordnung“verstößt, im Extremfall mit lebenslänglicher Haft bestraft werden kann. Verurteilt wurden nur wenige, doch Homosexuelle waren damit erpressbar. Die Entscheidung des Obersten Gerichtes ist nun endgültig und kann nicht mehr revidiert werden.
Das Urteil ist auch deswegen historisch, weil in der streng konservativen indischen Gesellschaft Homosexualität, ebenso wie vorehelicher Geschlechtsverkehr, weiterhin oft ein Tabu sind. In den vergangenen Jahren hat die schwul-lesbische Szene jedoch versucht, die Mauer des Schweigens mit Demonstrationen in den Metropolen des Landes zu brechen. Dennoch gibt es nur sehr wenige Inderinnen und Inder, die sich offen zu ihrer Homosexualität bekennen.