Er war im Pentagon, als das Flugzeug kam
Jedes Jahr am 11. September erinnert sich Gisela Mayo an ihre Angst. An diesem Datum fürchtete die Augsburgerin einst um das Leben ihres Mannes. Denn der hatte am 11. 9. 2001 seinen zweiten Arbeitstag im Pentagon in Washington
Der 11. September 2001 ist ein Datum, das man nicht vergisst. Die meisten können sich erinnern, was sie gerade gemacht haben, als Terroristen zunächst zwei Flugzeuge in die New Yorker Twin Towers steuerten. Henry Mayo weiß noch ganz genau, wo er sich aufhielt. Schließlich hatte er gerade seinen zweiten Arbeitstag im Pentagon, als auch dort ein Flugzeug einschlug.
Dass er ausgerechnet im Hauptsitz des US-amerikanischen Verteidigungsministeriums nicht sicher sein könnte, daran hatte der gebürtige Amerikaner Henry Mayo keinen einzigen Gedanken verschwendet. Warum auch. Doch an dem Tag im September 2001 kam alles anders. Aber dazu gleich mehr. Henry Mayo war früher als Computerspezialist in ganz Deutschland für die US-Army unterwegs. So auch in Augsburg, wo er im Offiziersclub im Jahr 1968 seine große Liebe Gisela, eine gebürtige Augsburgerin, kennenlernte. Er wurde fest in Augsburg stationiert. Seit knapp 30 Jahren sind der heute 71-Jährige und die 63-Jährige inzwischen verheiratet. Während ihrer Ehe mussten sich die beiden allerdings mal vorübergehend trennen. Henry Mayos Aufenthalt in Deutschland wurde nicht mehr verlängert, er musste zurück nach Amerika, erhielt einen Job beim Pentagon.
„Ich blieb in Augsburg. Ich musste mich um meine Mutter kümmern und hatte eine Tochter aus erster Ehe“, erzählt Gisela Mayo. Beide wussten aber, dass seine Arbeit als Computerspezialist im Pentagon lediglich auf drei Jahre bis zur Rente begrenzt war. Das machte die Tren- leichter. „Es war ein trauriger Tag, als mein Mann abfliegen musste“, erinnert sich die Augsburgerin. Sie ahnte nicht, wie sehr sie sich um ihren Mann bald sorgen sollte.
An seinem ersten Arbeitstag im Pentagon, am 10. September 2001 also, stand Henry Mayo zunächst etwas hilflos im Pentagon. Sein Büro befand sich im zweiten Untergeschoss der riesigen Anlage, die zu den größten Gebäuden der Welt zählt. Über 20000 Menschen sollen darin arbeiten. Sein Chef war nicht da. Die Kollegen wussten nicht, dass sie einen neuen Computerspezialisten an ihre Seite bekommen. Henry Mayo hatte keinen Bürotisch, keinung nen Stuhl. Auch am nächsten Morgen wurde er noch nicht eingearbeitet. „Im Büro lief nebenbei der Fernseher“, berichtet er. „Auf einmal sahen wir, wie das erste Flugzeug in das World Trade Center prallte. Dann das zweite. Ich sagte, das ist ein Angriff. Meine Kollegen schauten mich an, als käme ich vom Mars.“Wenig später, es war zirka 9.40 Uhr, spürten er und die Mitarbeiter im Keller des Pentagons eine Erschütterung. Mehr nicht. „Es war wie ein leichtes Erdbeben.“
Dass Terroristen gerade ein weiteres Flugzeug in das Pentagon gesteuert hatten, wussten sie nicht. Sie bekamen auch nicht mit, welches Drama sich über der Erde abspielte. „20 Minuten später kam ein Hausmeister und sagte, das Gebäude brennt.“Mehr Infos habe es zunächst nicht gegeben. Erst eine gute Stunde später erfuhren Mayo und seine Kollegen von dem Anschlag. Sie bekamen die Anweisung, das Pentagon auf der anderen Seite zu verlassen. Als Mayo an die frische Luft heraustrat, sah er eine große schwarze Rauchwolke über dem Pentagon in den Himmel aufsteigen. Menschen weinten. Das Flugzeug hatte eine Bresche durch die Westseite geschlagen, das explodierte Flugbenzin einen Großbrand ausgelöst. 189 Menschen starben. Wie betäubt ging Henry Mayo zu seinem nahe gelegenen Hotel, wo er anfangs gewohnt hatte.
„Ich versuchte meine Frau zu erreichen. Es klappte nicht.“Die befand sich in allergrößter Sorge. Gisela Mayo hatte an dem Tag in ihrem Büro in der Regierung von Schwaben leise das Radio im Hintergrund laufen. Als die Nachrichten von den Twin Towers kamen, stellte sie es lauter. „Auf einmal hieß es, jetzt sei ein weiteres Flugzeug ins Pentagon gestürzt.“Die Augsburgerin erreichte ihren Mann nicht. Sie instruierte ihre Tochter, sie soll bei der Oma in Florida anrufen. „Aber die wusste auch nichts von Henry und weinte nur.“Gisela Mayo sagt, sie stand unter Schock. Mit schlotternden Knien fuhr sie nach Hause. Immer wieder rief sie ihren Mann an. Doch die Leitung war zusammengebrochen. Am späten Abend gab die Schwiegermutter aus Amerika Entwarnung. Henry Mayo war nichts passiert. Diese Stunden der Angst erlebt Gisela Mayo jedes Jahr aufs Neue, erzählt sie. „Der Tag hat so vielen Menschen Leid gebracht. Ich bin froh, dass es für meinen Mann gut ausging.“Und wie geht es Henry Mayo an diesem Datum?
„Ich denke nicht viel darüber nach. Am 10. September fliege ich in die alte Heimat zu meiner Mutter und Familie nach Florida“, sagt er nüchtern. Wenn seine Frau bald in Rente ist, will das Ehepaar dort öfter Zeit verbringen. „Im Bücherregal steht ein Stück Mauer vom Pentagon“, erzählt er. Emotional berühre ihn das Datum aber nicht. Henry Mayo, der als junger Mann zwei Jahre als Soldat im Vietnam-Krieg dabei war, hat vermutlich zu viele andere schreckliche Erfahrungen machen müssen. Doch darüber spricht er nicht.