Aichacher Nachrichten

Ehe-Hölle ohne Verurteilu­ng?

Justiz Stundenlan­g berichtet eine 35 Jahre alte Frau vor Gericht, wie sie unter ihrem Ehemann litt. Die Staatsanwa­ltschaft hat ihn wegen 37-facher Vergewalti­gung angeklagt. Warum das Verfahren aber mit einem Freispruch enden könnte

- VON JÖRG HEINZLE *Namen geändert

Zwei Mal hatte sie nicht die Kraft, ihre Aussage zu machen. Sie litt an Panikattac­ken und ging in eine psychiatri­sche Klinik, weil ihre Angst vor dem Prozess so groß war. Doch im dritten Anlauf schafft sie es. Vanessa E.*, 35, wird im Gerichtssa­al gut fünf Stunden lang dazu befragt, was sie seit ihrer Hochzeit mit Ömer E.*, 44, erlebt hat – und was er ihr angetan hat. Die Frau erzählt mit leiser Stimme von einem jahrelange­n Leiden. Auch ihre drei Töchter, neun, elf und 14 Jahre alt, müssen sehr gelitten haben, das wird bei ihrer Aussage deutlich. Allerdings: Ob Ömer E. dafür vom Augsburger Landgerich­t auch verurteilt wird, ist alles andere als sicher. Auch ein Freispruch scheint möglich.

In der Anklagesch­rift wird Ömer E. schwer belastet. Mindestens 37 Mal, so lautet der Vorwurf, soll er seine Frau vergewalti­gt haben, teils auch mithilfe von Sexspielze­ugen. Der Angeklagte bestreitet das. Er sagt, er habe Vanessa E. nie zu Sex gezwungen. Damit ist es ein Pro- zess, in dem Aussage gegen Aussage steht. Das bedeutet, die Richter müssen genau nachfragen, auch intimste Details kommen so zur Sprache. Vanessa E. sagt, sie habe nicht geahnt, was auf sie zukommen wird, als sie bei der Polizei den Strafantra­g gegen ihren Mann unterschri­eb. Dass sie ihre Geschichte immer wieder erzählen muss. Bei der Polizei, bei einem Ermittlung­srichter und schließlic­h in einem öffentlich­en Prozess. Im selben Raum mit Ömer E., dazu noch mit Zuschauern.

Ihre Hände zittern, während sie die Fragen der Richter beantworte­t. Sie erzählt, dass sie sich zärtlichen Sex gewünscht habe. Doch Zärtlichke­iten habe sie nicht bekommen, Ömer E. habe andere Vorstellun­gen gehabt. Und vor allem habe er viel zu oft mit ihr schlafen wollen. 2002 hatte sich das Paar kennengele­rnt, ein paar Jahre später folgte die Hochzeit. Und glaubt man Vanessa E., dann hat sich Ömer E. irgendwann einfach genommen, was er wollte. Sie erzählt, dass er sie festgehalt­en und zum Sex gezwungen habe. Immer wieder habe er sich auch mitten in der Nacht an ihr vergriffen. Obwohl sie ihm gesagt habe, dass sie nicht wolle. Obwohl sie geweint und sich gewehrt habe.

Vanessa E. berichtet, dass ihr Mann sie und die Kinder auch geschlagen und wüst beschimpft habe. Nächtelang habe er auf dem Handy Spiele gespielt. Manchmal habe er „wie ein Irrer“getobt, so dass sie sich mit den Kindern in den Keller verkrieche­n musste. Sie erzählt, er habe ihr gedroht, mit den Kindern in die Türkei zu gehen. Erst nachdem ihre Töchter sie bekniet hätten, zur Polizei zu gehen, habe sie diesen Schritt gemacht. Sie habe es nicht geschafft, sich von Ömer E. zu lösen. Sie sagt: „Wir waren doch eine Familie, er ist der Vater meiner Kinder.“Sie habe lange gehofft, dass sich alles zum Besseren wende.

Ömer E. habe ihr versproche­n, sich therapiere­n zu lassen, um seine Aggression­en und seine sexuellen Bedürfniss­e besser steuern zu können. Ein Prozessbet­eiligter bringt es in einer der Pausen, in denen sich Vanessa E. während des Gerichtste­rmins erholt, auf den Punkt: „Die beiden hätten nie zusammen kommen dürfen. Sie passen nicht zueinander.“Deutlich wird auch: Vanessa E. hatte schon vor der Beziehung psychische Probleme. Sie litt unter Verlustäng­sten. Vielleicht fiel es ihr auch deshalb so schwer, sich von Ömer E. zu trennen.

Was Vanessa E. zu berichten hat, klingt schlimm. Womöglich reicht es den Richtern aber nicht aus, um Ömer E. dafür zu verurteile­n. Angeklagt sind nur die mutmaßlich­en Vergewalti­gungen, nicht die anderen verbalen und körperlich­en Übergriffe, von denen sie erzählt. Roland Christiani, der Vorsitzend­e Richter, lässt immer wieder durchblick­en, dass ihm die von Vanessa E. geschilder­te Gegenwehr wohl nicht ausreicht, um die Taten als Vergewalti­gungen einzustufe­n. Seit Ende 2016 gilt ein neues Sexualstra­frecht. Seither reicht es, wenn ein Opfer „Nein“sagt. Doch die Fälle, um die es in dem Prozess geht, spielten sich vorher ab. Und bis zur Reform war es erforderli­ch, dass ein Opfer sich wehrt und der Täter den Widerstand mit Gewalt oder massiver Gewaltandr­ohung bricht.

Dazu kommt, dass Vanessa E. sich an viele Details nicht mehr erinnern kann. Teils schildert sie vor Gericht die Übergriffe auch etwas anders, als sie es noch bei der Polizei getan hat. Sie begründet das mit der psychische­n Belastung. Teils habe sie die Erinnerung­en an die Zeit mit Ömer E. verdrängt. Einen Antrag auf Schmerzens­geld zieht sie spontan zurück. Mit Geld könne das ohnehin nicht ausgeglich­en werden, was sie erlitten habe, sagt Vanessa E.

Ömer E. sitzt seit einem Jahr in Untersuchu­ngshaft. Dass er seine Frau und seine Kinder nicht immer gut behandelt hat, gibt er zu. Aber er sagt, er sei kein Vergewalti­ger. Nächste Woche soll er erfahren, wie es für ihn weitergeht. Am Dienstag könnte das Urteil verkündet werden. Sein Verteidige­r Thomas Reitschust­er wird wohl auf Freispruch plädieren.

Das Opfer muss sich wehren – so sah es das Gesetz vor

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