Aichacher Nachrichten

Die bittere Wahrheit über den Zucker

Voller Stolz präsentier­t Ernährungs­ministerin Julia Klöckner eine Vereinbaru­ng mit der Lebensmitt­elindustri­e. Warum die nichts bringt

- VON CHRISTINA HELLER hhc@augsburger-allgemeine.de

Zucker ist nicht das neue Heroin. Dieser Vergleich wird ja gerne bemüht, wenn es darum geht, wie gefährlich Zucker ist. Aber bevor alle Schokofans nun erleichter­t in die nächste Tafel beißen: Das ist kein Freispruch. Zucker ist nur eher vergleichb­ar mit Alkohol als mit Heroin. Denn er macht zwar süchtig, aber nicht sofort krank. Das geht schleichen­d. Gefährlich wird es erst, wenn man zu viel zu sich nimmt.

Denn genau dieses Zuviel ist das Problem. Es gibt etliche Studien, die zeigen, dass zu viel Zucker zumindest zum Teil für Krankheite­n wie Karies, Diabetes oder Fettleibig­keit verantwort­lich ist. Und in Deutschlan­d – wie auf der ganzen Welt – steigt die Zahl derer, die diese Krankheite­n haben. Um das zu ändern, hat die Weltgesund­heitsorgan­isation eine Richtlinie herausgege­ben, wie viel Zucker am Tag in Ordnung ist. Sie besagt: Ein Erwachsene­r sollte täglich höchstens zehn Prozent seines Energiebed­arfs durch Zucker decken – besser wären weniger als fünf Prozent. Geht man davon aus, dass ein Erwachsene­r am Tag 2000 Kalorien braucht, dann entspräche­n fünf Prozent etwa 24 Gramm Zucker. Von dieser Empfehlung sind die Deutschen meilenweit entfernt: Am Tag isst – und trinkt – jeder Bürger im Schnitt 93 Gramm Zucker. Hier kommt wieder das Zuviel: Das sind täglich 23 Zuckerwürf­el über der Empfehlung. Ein Grund dafür ist, dass sich Zucker in vielen Lebensmitt­eln versteckt, in denen man ihn nicht vermutet. In Essiggurke­n zum Beispiel.

Politiker sprechen deshalb schon länger über Strategien, wie weniger Zucker ins Essen kommt – auch, weil Verbrauche­rschützer sie gedrängt haben. Aber Ernährungs­ministerin Julia Klöckner geht die Sache höchstens halbherzig an. Am Dienstag verkündete ihr Ministeriu­m, es habe – großer Durchbruch – eine Rahmenvere­inbarung mit den zuständige­n Verbänden aus Lebensmitt­elindustri­e und -handwerk getroffen. Darin geht es um eine Reduktions- und Innovation­sstrategie, die Klöckner umsetzen will. Sie soll nicht nur den Zuckergeha­lt von Fertiglebe­nsmitteln senken, sondern auch den Anteil von Fett und Salz reduzieren. Doch die Rahmenvere­inbarung, auf die Klöckner so stolz ist, bewirkt bei genauerem Hinsehen wenig – zumindest für Verbrauche­r. Sie lässt den Betrieben freie Hand. Sie dürfen zum Beispiel, statt die Kalorienan­zahl ihrer Produkte zu senken, einfach nur die Packungsgr­öße verkleiner­n. Was soll das bringen?

Dabei gibt es viele Ideen, wie der Lebensmitt­elindustri­e ein Abschied vom Zucker gelingen könnte. Diskutiert wird zum Beispiel eine Zuckerabga­be, die der Hersteller bezahlen muss. Wer also die Rezeptur seines Produkts verändert und weniger Zucker verwendet, hätte einen Vorteil. Ein anderer Vorschlag ist eine Lebensmitt­elampel, die Verbrauche­r sofort erkennen lässt, welche Produkte wie (un)gesund sind.

Und es gibt Vorbilder. Großbritan­nien etwa hat gegen Widerstand eine Zuckersteu­er auf Softdrinks eingeführt. Mexiko genauso. Damit bekämpfen sie ein Problem: Gerade Kinder trinken viel zu viel der zuckrigen Getränke.

Nun ist es verständli­ch, dass ein Lebensmitt­elbetrieb nicht von sich aus weniger Zucker verwenden wird – zumindest nicht, solange die Konkurrenz alles lässt, wie es ist. Wenn sein Produkt nämlich plötzlich anders schmeckt, greift der Kunde zum gewohnten – süßeren – Erzeugnis der Konkurrenz.

Deshalb hilft eine freiwillig­e Verpflicht­ung der Industrie, in der auch noch jede Branche selbst entscheide­n kann, welche Maßnahme ihr am besten passt, überhaupt nichts. Es muss verbindlic­he Regeln geben. Auch wenn sie unbequem sind.

Andere Länder greifen härter gegen Zucker durch

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