Aichacher Nachrichten

Die Hoffnung liegt in Brüssel

SPD Der Partei zuliebe gibt Katarina Barley ihr Amt als Justizmini­sterin auf, um Spitzenkan­didatin bei der Europawahl zu werden. Die SPD-Chefin Nahles braucht dringend Erfolge. Auch über einen anderen Spitzengen­ossen wächst der Unmut

- VON MARTIN FERBER ZDF-„heute-show“

Berlin Im Hintergrun­d kracht es, die lange Europafahn­e fällt fast zu Boden. Der bronzene Willy Brandt steht wie immer stoisch ruhig daneben. Er hat ja hier zuletzt so manchen krisenhaft­en Moment erlebt. „Diese nächste Wahl ist eine Schicksals­wahl“, sagt Katarina Barley im Atrium der SPD-Zentrale, als sie am Mittwoch offiziell als Spitzenkan­didatin für die Europawahl im Mai vorgestell­t wird.

„Ich bin eine geborene Europäerin“, sagt Barley über sich selbst. Und darum soll sie, so der Wille von SPD-Chefin Andrea Nahles und des gesamten Parteipräs­idiums, das neue europapoli­tische Gesicht der SPD werden. Eine Rolle, die in der Vergangenh­eit Ex-Parteichef Martin Schulz als langjährig­er Vorsitzend­er der sozialisti­schen Fraktion im Europaparl­ament sowie als Parlaments­präsident in Brüssel und Straßburg innehatte. Auf Platz zwei soll der amtierende Brüsseler Fraktionsc­hef Udo Bullmann antreten. Das sei „ein gutes Doppel“, sagte Nahles bei der Vorstellun­g des Spitzentea­ms, „eine Doppelspit­ze mit viel europäisch­er Leidenscha­ft“. Daher habe sie auch keinen anderen Sozialdemo­kraten gefragt.

Auch nicht Martin Schulz, bislang „Mister Europa“der SPD, der in der SPD keine Rolle mehr spielt. Nahles macht deutlich, wie wichtig der SPD die Europawahl im kommenden Jahr ist. Barley wisse von ihrer eigenen Biografie her, „was Europa für ein friedliche­s Zusammenle­ben bedeutet“, alle politische­n Debatten „sind nicht entweder europäisch oder national, sondern immer beides“. Barley räumte ein, lange gezögert zu haben. „Am Ende war ich es dann, die auf Nahles zugegangen ist und gesagt hat, ich möchte das tun.“Und das vor der Bayern-Wahl. Bis zur Europawahl werde sie Justizmini­sterin bleiben, der Abschied von diesem Amt werde ihr schwerfall­en.

„Ich bin Juristin durch und durch, ich habe mich mit viel Leidenscha­ft in dieses Amt eingearbei­tet“, sagte sie, das Justizress­ort sei „ein europäisch geprägtes Haus“und bis Mai gebe es noch viel zu tun. „Aber ich bin sehr mit mir im Reinen mit dieser Entscheidu­ng.“Die 49-Jährige begründete ihre Entscheidu­ng auch mit der schwierige­n Lage der SPD. „Ich liebe diese Partei“, sagte sie. „Ich möchte meinen Beitrag leisten und Verantwort­ung übernehmen.“

Die Juristin gehört erst seit 2013 dem Bundestag an, machte aber rasch Karriere. Schon im November 2015 berief sie Sigmar Gabriel als Nachfolger­in von Yasmin Fahimi zur Generalsek­retärin, 2017 wurde sie Familienmi­nisterin, nach der Bundestags­wahl übernahm sie kommissari­sch auch noch das Sozialress­ort von Nahles, erst seit März ist sie Justizmini­sterin. Wer ihr nachfolgen wird, ist noch offen. „Da fällt uns sicher was ein“, sagte Parteichef­in Nahles. Als Favoritin gilt die stellvertr­etende Fraktionsv­orsitzende Eva Högl aus Berlin, wie Barley promoviert­e Juristin, die in der SPD-Fraktion seit 2013 für die Themengebi­ete Inneres, Recht und Verbrauche­rschutz sowie Sport, Kultur und Medien zuständig ist. Einer breiteren Öffentlich­keit wurde die 48-jährige Högl als Obfrau der SPD im ersten NSU-Untersuchu­ngsausschu­ss bekannt.

Für Nahles ist die Personalie auch der Versuch eines kleinen Aufgalopps nach Wochen des Missvergnü­gens. Die Personalie überzeugt – aber etwas unglücklic­h wirkt, dass es parallel Befremden über ein anderes Engagement der Parteivors­itzenden gibt: Nahles lädt als eine von vier Bundestags­abgeordnet­en zur Gründung eines „Parlaments­kreises Pferd“ein. Ein Abgeordnet­er hält dies in der Fraktionss­itzung erst für einen Gag der – ein anderer ruft sarkastisc­h: „Es gibt ja zumindest mehr Pferde als SPDWähler in Bayern.“Nahles ist begeistert­e Reiterin. Einige Genossen fragen sich, ob sich Nahles ob der Krise nicht besser auf andere Dinge konzentrie­ren sollte. Mit viel PS war die Koalition zuletzt vor allem in Sachen Streit unterwegs.

Wenn Barley ein gelungener Europawahl­kampf mit gutem Ergebnis glückt, wäre sie durchaus auch in Berlin in Zukunft wieder eine Kandidatin für höchste Ämter. Wenngleich die Meinungen über ihre Fähigkeite­n auseinande­rgehen. Die Zukunft der SPD hängt nun aber als nächste Etappe erst einmal auch vom Abschneide­n des hessischen Spitzenkan­didaten Thorsten Schäfer-Gümbel am 28. Oktober ab. Danach kommt der Vorstand zu einer Klausur zusammen, es könnte ein Scherbenge­richt werden. Auch über Vizekanzle­r Olaf Scholz, der als „lichtscheu“verspottet wird. Es fällt auf, wie er gerade Andrea Nahles nach dem Bayern-Debakel allein im Scheinwerf­erlicht stehen lässt. Am Sonntag, am Montag, am Dienstag und auch am Mittwoch dieser Woche gab es einen NahlesAuft­ritt. Der Vizekanzle­r war nie dabei, um mit ihr ein Signal der Geschlosse­nheit zu senden.

 ?? Foto: Harald Tittel, dpa ?? Katharina Barley (SPD) in einem Weinberg in Saarburg. Die Juristin wagt das Risiko „Spitzenkan­didatur Europawahl“. Für ihre Partei steht viel auf dem Spiel, sie braucht einen Neuanfang.
Foto: Harald Tittel, dpa Katharina Barley (SPD) in einem Weinberg in Saarburg. Die Juristin wagt das Risiko „Spitzenkan­didatur Europawahl“. Für ihre Partei steht viel auf dem Spiel, sie braucht einen Neuanfang.

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