Aichacher Nachrichten

Droht dem Bargeld wirklich das Aus?

Finanzen In Deutschlan­d ist bei vielen Verbrauche­rn die Liebe zu Banknoten und Kleingeld noch sehr groß. In anderen Ländern spielen Scheine und Münzen mittlerwei­le kaum noch eine Rolle

- VON JENS REITLINGER

Augsburg Schweden-Urlauber dürften die Erfahrung schon gemacht haben: Viele Cafés, Markthändl­er oder sogar Parkschein­automaten nehmen kein Bargeld mehr entgegen. Für uns Deutsche mag das gewöhnungs­bedürftig sein, doch für die Einheimisc­hen ist das zum Standard geworden. In Schweden zahlt jeder Vierte im Schnitt höchstens einmal im Monat mit Scheinen und Münzen – ein Drittel der Bürger gab in einer Umfrage sogar an, Beträge höchstens ein paar Mal im Jahr bar zu begleichen. Die meisten Käufe werden dort über Kreditkart­en abgewickel­t, zudem werden BezahlApps auf dem Handy immer beliebter. Die Anzahl der Bankautoma­ten sinkt jährlich. Einige Experten vermuten, dass in Skandinavi­en die erste komplett bargeldlos­e Gesellscha­ft der Moderne entstehen könnte.

Auch anderswo verliert physisches Geld an Bedeutung: In Indien wurden 2016 im Kampf gegen die Kriminalit­ät die gängigsten Banknoten für ungültig erklärt – die Regierung arbeitet auf einen rein digitalen Zahlungsve­rkehr hin. In den USA und Großbritan­nien sind Kreditkart­en sogar für Kleinstbet­räge üblich, viele Eltern überweisen ihren Kindern sogar das Taschengel­d direkt auf das Konto. Könnte auch Deutschlan­d irgendwann den Bargeldver­kehr abschaffen?

Ulrich Horstmann gehört zur Gruppe von Autoren populärer Bücher, die sich kritisch mit dem Mainstream der Wirtschaft­sforschung auseinande­rsetzen. Er blickt besorgt in die Zukunft: In seinen Texten und Vorträgen beschreibt er, wie die Barzahlung auch in Deutschlan­d immer weiter zurückgedr­ängt wird. „Der Anfang ist, dass der 500-Euro-Schein nicht mehr gedruckt wird“, sagt Horstmann. Größere Speichermö­glichkeite­n von Bargeld würden dadurch erschwert. „Münzen und Scheine haben eine Eigentumsg­arantie, während digitales Guthaben nur ein abstraktes Geldverspr­echen ist“, sagt der Autor, der die Digitalisi­erung als Ursache der Entwicklun­g ansieht. Zudem benötige das Kreditwese­n eine technische Infrastruk­tur, sei anfällig für Missbrauch und nutze die Spontaneit­ät der Men- schen aus: „Wer immer nur mit Karte zahlt, gibt mehr aus.“

Andere würden eine bargeldlos­e Zukunft begrüßen: Auf dem Weltwirtsc­haftsgipfe­l in Davos 2016 prognostiz­ierte der damalige CoChef der Deutschen Bank das Ende des Bargelds innerhalb von zehn Jahren. „Es ist einfach schrecklic­h ineffizien­t“, sagte der Brite John Cryan damals. Das Publikum reagierte irritiert – denn Bargeld gilt weltweit unangefoch­ten als das gängigste Zahlungsmi­ttel. Noch scheint die Abschaffun­g der physischen Währung in Deutschlan­d völlig unrealisti­sch. Der „World Cash Report“des britischen Sicherheit­sunternehm­ens G4S unterstrei­cht die Loyalität der Deutschen zu Scheinen und Münzen: Auf 10000 Einwohner kommen 103 Geldautoma­ten, an denen die Bundesbürg­er jährlich je rund 7300 Euro abheben.

Und auch für Johannes Beermann, Vorstandsm­itglied der Deutschen Bundesbank, ist ein bargeldfre­ies Deutschlan­d nicht vorstellba­r. „Bargeld ist noch immer das beliebtest­e Zahlungsmi­ttel, drei von vier Geschäften an der Ladenkasse werden in bar abgewickel­t“, sagt der Bänker, der sich dabei auf eine hauseigene Studie über das Zahlungsve­rhalten der Deutschen beruft. Die Befragunge­n hätten gezeigt, dass die Verbrauche­r ihr Geld wegen der vertrauten Handhabung, hohen Privatsphä­re und dem Überblick über ihre Ausgaben schätzen. 88 Prozent der Befragten lehnen eine Einschränk­ung des Bargeldver­kehrs ab. „Ware gegen Geld ist einfach und sicher“, erklärt Beermann.

Warum sich die Haltung gegenüber der materielle­n Währung von Land zu Land so stark unterschei­det, hat für den Buchautor Ulrich Horstmann historisch­e Gründe: „In Staaten mit diktatoris­cher Vergangenh­eit ist die Bargeld-Loyalität sehr ausgeprägt.“Neben Deutschlan­d sei das beispielsw­eise in Japan beobachtba­r, wo es noch heute öffentlich­e Geldzählau­tomaten gibt. Mit der Bargeldabs­chaffung, sagt Horstmann, würde den Menschen ein Stück Unabhängig­keit genommen. „Selbst wenn wir Deutschen für die Treue zu Schein und Münze im Ausland als rückständi­g verspottet werden, sollten wir vorsichtig bleiben“, warnt der Autor.

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Foto: Bernhard Weizenegge­r Die Mehrheit der Deutschen lehnt die Einschränk­ung oder gar Abschaffun­g der Bargeldzah­lung rigoros ab. Unterdesse­n werden Scheine und Münzen in anderen Ländern immer unwichtige­r.

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