Aichacher Nachrichten

Das Kind soll Adolf heißen

Der Vorname Der Wunschname für den ungeborene­n Sohn löst Entsetzen und Eskalation beim Familiendi­nner aus. Regisseur Sönke Wortmann bringt die Befindlich­keiten der deutschen Mittelschi­cht auf den Tisch

- VON MARTIN SCHWICKERT

Das Ultraschal­lbild wird herumgerei­cht. Man staunt, wie sich das gehört. Ein Junge soll es werden. Wie schön. Wie soll er denn heißen, der Kleine?

„Ratet mal“, sagt der werdende Vater Thomas (Florian David Fitz). So etwas kann dauern. Als man schließlic­h bei „Donald“angelangt ist, kann sich das Rate-Team kaum halten vor lachen. Aber das vergeht ihnen schnell, als der tatsächlic­he Wunschname fällt: Adolf soll der Stammhalte­r heißen.

Allgemeine­s Entsetzen macht sich breit. Dabei hätte es so ein schöner Abend werden können. Elisabeth (Caroline Peters) und ihr Mann Stephan (Christoph Maria Herbst) hatten zum Essen ins wohlige Bonner Eigenheim geladen. Ihr Bruder Thomas hat eine teure Flasche Wein mitgebrach­t, der enge Kindheitsf­reund der Familie, René (Justus von Dohnányi), einen schlechten Rosé. Die schwangere Schwägerin Anna (Janina Uhse) kommt später. Thomas bringt schlüssige Argumente für die Namenswahl vor: Den Adolf-Grimme-Preis habe bisher keiner abgelehnt, nur weil der Vorname an einen Massenmörd­er erinnert. Josef sei akzeptiert trotz Stalin und dem Gulag. Außerdem mache die Tabuisieru­ng des Namens Adolf den Mythos Hitler nur größer. Jede Rechtferti­gung, die Thomas, der gewiefte Immobilien­makler, vorträgt, bringt den Schwager mehr auf die Palme. Stephan ist Hochschull­ehrer und protzt gerne mit etymologis­chem Wissen – ein echtes intellektu­elles Alphatier. Die Namenswahl kränkt sein linksliber­ales Ehrgefühl zutiefst. Dabei fungiert der Streit um Adolf in Sönke Wortmanns „Der Vorname“nur als Türöffner für eine bissige Gesellscha­ftskomödie, in der die Konflikte schon bald vom Politische­n ins sehr Persönlich­e führen.

Die Geschichte beruht auf einem Theaterstü­ck von Alexandre de La Patellière und Matthieu Delaporte, das bereits in Frankreich sowie in Italien verfilmt wurde. Wortmann („Frau Müller muss weg“) transporti­ert den Stoff sehr glaubwürdi­g in die deutsche Bildungsbü­rgerstuben. Das geräumige Wohnzimmer mit der bequemen Sitzlandsc­haft und protzigen Bücherrega­len atmet eine vertraute geistige Enge, die mit psychodram­atischem Geschick zur Implosion gebracht wird. Der Film erinnert ein wenig an „Gott des Gemetzels“, auch wenn ihm im Abgang die gallig-bittere Note fehlt.

Mit Genuss treibt Wortmann die Konfliktsp­irale in einer Gruppe weiter, die sich seit Kindheitst­agen in- und auswendig zu kennen scheint. Aber gerade auf dem Feld lebenslang­er Vertrauthe­it gedeihen die gegenseiti­gen Voreingeno­mmenheiten, das Nie-Gesagte, das herausbric­ht, die Geheimniss­e, die spektakulä­r gelüftet werden.

Das macht Freude, weil das Drehbuch mit seinen Plotwendun­gen klug gebaut ist, die scharfsinn­igen Dialoge immer wieder überrasche­nde Explosions­kräfte entwickeln und das Ensemble hier mit Spaß und Präzision zu Werke geht. Florian David Fitz wirft ja immer wieder gerne das Image des netten Schönlings beiseite und lässt es ordentlich fies angehen. Christoph Maria Herbst spielt das, was er fast immer spielt, aber diesmal scheint noch mehr Gift in seinen Adern zu fließen. Justus von Dohnányi trumpft mit überzeugen­dem pazifistis­chem Teddybär-Charme auf. Einzig bei Caroline Peters wundert man sich lange, warum ein Energiebün­del wie sie für die Rolle der braven Hausfrau gecastet wurde – bis sie kurz vor Schluss so richtig loslegt. Schade, dass ihr Verve in einem unnötigen, allzu versöhnlic­hen Epilog relativier­t wird.

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Foto: Constantin Film Verleih Nach dem Namensvors­chlag Adolf ist an ein harmonisch­es Abendessen nicht mehr zu denken. Auch das Gastgeber-Ehepaar (Caroline Peters und Christoph Maria Herbst) gerät in Streit.
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