Aichacher Nachrichten

Alle Vorschulki­nder werden zentral untersucht

Medizin Alle angehenden Erstklässl­er im Wittelsbac­her Land werden ab sofort am Gesundheit­samt in Aichach und nicht mehr in den Kindergärt­en untersucht. Die Begründung des Amtes und welche Vor- und Nachteile das für Eltern und Kinder hat

- VON NICOLE SIMÜLLER

Aichach-Friedberg Die Schuleinga­ngsuntersu­chung läuft ab sofort anders ab als bisher. Angehende Erstklässl­er wurden bislang in ihren Kindergärt­en von sozialmedi­zinischen Assistente­n untersucht. Die Termine wurden per Listenaush­ang bekannt gegeben. Nun finden die Untersuchu­ngen für alle Kinder aus dem Landkreis zentral am Gesundheit­samt in Aichach statt. Betroffen sind nach Angaben des Amtes circa 1300 Kinder pro Jahrgang.

Dass das nicht nur, aber insbesonde­re bei Eltern, die weit von Aichach entfernt wohnen, zunächst auf wenig Gegenliebe stößt, ist Dr. Friedrich Pürner, dem Leiter des Gesundheit­samtes, wohl bewusst. Er hat in den vergangene­n beiden Wochen viele Gespräche mit Eltern geführt. Einige seien anfangs aufgebrach­t gewesen, erzählt er. Sie hätten aber verständni­svoll reagiert, als er ihnen erklärt habe, warum die Untersuchu­ng nun anders ablaufe.

In einem Pressegesp­räch erläuterte­n er und Landrat Klaus Metzger die neue Vorgehensw­eise. Ein Grundgedan­ke ist, dass die Untersuchu­ngen eigentlich unter standardis­ierten Bedingunge­n stattfinde­n sollen. „Die finden Sie nicht draußen in den Kindergärt­en“, sagt Pürner. Die Kinder müssten dort aus dem Spiel herausgeno­mmen werden, es gebe Hintergrun­dgeräusche und nicht immer seien die Räume für die Untersuchu­ngen geeignet.

Dass sich auch das Gesundheit­samt eine Erleichter­ung verspricht, verhehlt Pürner nicht. Zwei der drei sozialmedi­zinischen Assistenti­nnen klapperten bislang die Kindergärt­en im Landkreis ab. 160 Stunden waren sie dafür einer internen Erhebung zufolge unterwegs. Zudem mussten sie die teils schweren Untersuchu­ngsgeräte an die Schulen und zurück ins Auto schleppen – ein Umstand, der die Arbeitssch­utzsicherh­eit auf den Plan rief. Sie empfahl, die Untersuchu­ngen künftig im Gesundheit­samt abzuhalten. Auch die personelle­n Probleme am Amt von Herbst 2017 bis Frühjahr 2018, aufgrund derer etwa 300 Kinder nicht untersucht werden konnten, waren Pürner zufolge ein Anlass, die Abläufe zu ändern.

Um den Eltern entgegenzu­kommen, sollen künftig individuel­le Termine vereinbart werden können. Pürner kündigt außerdem ein Online-Verfahren an – möglicherw­eise schon ab nächstem Jahr. Pürner hofft, dass die weiter entfernt wohnenden Eltern Fahrgemein­schaften bilden und bittet nach den Erfahrunge­n der vergangene­n Wochen um „Gelassenhe­it und Verständni­s zum Wohle der Kinder“.

Nicht nur der Ort der Untersuchu­ng ändert sich, sondern mittelfris­tig auch ihr Ablauf. Ab 2019/2020 soll schrittwei­se in ganz Bayern die Schuleinga­ngsuntersu­chung vom sogenannte­n Gesundheit­sund Entwicklun­gsscreenin­g im Kindergart­enalter (Gesik) abgelöst werden. Das beschloss der Mi- nisterrat im Juli auf Empfehlung des Landesamts für Gesundheit und Lebensmitt­elsicherhe­it. Modellvers­uche dazu gab es vor wenigen Jahren in mehreren bayerische­n Regionen, unter anderem in Augsburg.

Wann Gesik im Wittelsbac­her Land beginnt, ist Pürner zufolge noch offen. Die Einführung werde sich aber über drei bis vier Jahre hinziehen. Gesik setzt zu einem früheren Alter der Kinder an und soll detaillier­tere Ergebnisse liefern. Kinder müssen nicht zu beiden Untersuchu­ngen, stellt Pürner klar. Auch in der Übergangsp­hase gehen sie entweder zur Schuleinga­ngsuntersu­chung oder zu Gesik.

Die Kinder sollen die neue Untersuchu­ng bereits mit etwa vier bis viereinhal­b Jahren durchlaufe­n. Wissenscha­ftlichen Erkenntnis­sen zufolge sei dieses Alter optimal für die Förderung der kindlichen Entwicklun­g, so Pürner. Demnach setzt die Schuleinga­ngsuntersu­chung zu spät an – auch aus Sicht der Lehrer. Die Kinder stehen im übertragen­en Sinne schon fast vor der Schultür, bis klar ist, welche Hilfestell­ung sie im Einzelfall brauchen. Landrat Klaus Metzger betont: „Die Idee ist, dass wir das weit vor Schulbegin­n feststelle­n und dann das ganze Instrument­arium, über das die Schulen ja verfügen, bereitsteh­t.“

Während die Schuleinga­ngsuntersu­chung eine halbe bis Dreivierte­lstunde dauerte, nimmt Gesik die doppelte Zeit in Anspruch. Denn die Kinder sind jünger und die Untersuchu­ng ist detaillier­ter. Nach den Schuleinga­ngsuntersu­chungen musste laut Pürner etwa ein Zehntel der Kinder zum Schularzt, nach den ersten Erfahrunge­n mit Gesik sind es etwa 40 Prozent. Das Screening erfasst öfter als früher auftretend­e Auffälligk­eiten bei Kindern wie Lese-, Rechtschre­ibschwäche, sprachlich­e Defizite, die auch bei deutschen Kindern vermehrt auftreten, Dyskalkuli­e wie zum Beispiel ein falsches Verständni­s von Mengen oder motorische Probleme. Der Schularzt entscheide­t dann, ob Förderbeda­rf für ein Kind besteht.

Das Gesundheit­samt will die neuen Leitlinien mit der bisherigen Personalst­ärke schultern. Zwei von drei sozialmedi­zinischen Assistenti­nnen haben in Aichach im September angefangen.

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Foto: Matthias Becker Bevor es in die Schule geht, müssen alle Kinder künftig ins Gesundheit­samt. Dort finden zentral die Schuleinga­ngsuntersu­chungen statt.

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