Alle Vorschulkinder werden zentral untersucht
Medizin Alle angehenden Erstklässler im Wittelsbacher Land werden ab sofort am Gesundheitsamt in Aichach und nicht mehr in den Kindergärten untersucht. Die Begründung des Amtes und welche Vor- und Nachteile das für Eltern und Kinder hat
Aichach-Friedberg Die Schuleingangsuntersuchung läuft ab sofort anders ab als bisher. Angehende Erstklässler wurden bislang in ihren Kindergärten von sozialmedizinischen Assistenten untersucht. Die Termine wurden per Listenaushang bekannt gegeben. Nun finden die Untersuchungen für alle Kinder aus dem Landkreis zentral am Gesundheitsamt in Aichach statt. Betroffen sind nach Angaben des Amtes circa 1300 Kinder pro Jahrgang.
Dass das nicht nur, aber insbesondere bei Eltern, die weit von Aichach entfernt wohnen, zunächst auf wenig Gegenliebe stößt, ist Dr. Friedrich Pürner, dem Leiter des Gesundheitsamtes, wohl bewusst. Er hat in den vergangenen beiden Wochen viele Gespräche mit Eltern geführt. Einige seien anfangs aufgebracht gewesen, erzählt er. Sie hätten aber verständnisvoll reagiert, als er ihnen erklärt habe, warum die Untersuchung nun anders ablaufe.
In einem Pressegespräch erläuterten er und Landrat Klaus Metzger die neue Vorgehensweise. Ein Grundgedanke ist, dass die Untersuchungen eigentlich unter standardisierten Bedingungen stattfinden sollen. „Die finden Sie nicht draußen in den Kindergärten“, sagt Pürner. Die Kinder müssten dort aus dem Spiel herausgenommen werden, es gebe Hintergrundgeräusche und nicht immer seien die Räume für die Untersuchungen geeignet.
Dass sich auch das Gesundheitsamt eine Erleichterung verspricht, verhehlt Pürner nicht. Zwei der drei sozialmedizinischen Assistentinnen klapperten bislang die Kindergärten im Landkreis ab. 160 Stunden waren sie dafür einer internen Erhebung zufolge unterwegs. Zudem mussten sie die teils schweren Untersuchungsgeräte an die Schulen und zurück ins Auto schleppen – ein Umstand, der die Arbeitsschutzsicherheit auf den Plan rief. Sie empfahl, die Untersuchungen künftig im Gesundheitsamt abzuhalten. Auch die personellen Probleme am Amt von Herbst 2017 bis Frühjahr 2018, aufgrund derer etwa 300 Kinder nicht untersucht werden konnten, waren Pürner zufolge ein Anlass, die Abläufe zu ändern.
Um den Eltern entgegenzukommen, sollen künftig individuelle Termine vereinbart werden können. Pürner kündigt außerdem ein Online-Verfahren an – möglicherweise schon ab nächstem Jahr. Pürner hofft, dass die weiter entfernt wohnenden Eltern Fahrgemeinschaften bilden und bittet nach den Erfahrungen der vergangenen Wochen um „Gelassenheit und Verständnis zum Wohle der Kinder“.
Nicht nur der Ort der Untersuchung ändert sich, sondern mittelfristig auch ihr Ablauf. Ab 2019/2020 soll schrittweise in ganz Bayern die Schuleingangsuntersuchung vom sogenannten Gesundheitsund Entwicklungsscreening im Kindergartenalter (Gesik) abgelöst werden. Das beschloss der Mi- nisterrat im Juli auf Empfehlung des Landesamts für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit. Modellversuche dazu gab es vor wenigen Jahren in mehreren bayerischen Regionen, unter anderem in Augsburg.
Wann Gesik im Wittelsbacher Land beginnt, ist Pürner zufolge noch offen. Die Einführung werde sich aber über drei bis vier Jahre hinziehen. Gesik setzt zu einem früheren Alter der Kinder an und soll detailliertere Ergebnisse liefern. Kinder müssen nicht zu beiden Untersuchungen, stellt Pürner klar. Auch in der Übergangsphase gehen sie entweder zur Schuleingangsuntersuchung oder zu Gesik.
Die Kinder sollen die neue Untersuchung bereits mit etwa vier bis viereinhalb Jahren durchlaufen. Wissenschaftlichen Erkenntnissen zufolge sei dieses Alter optimal für die Förderung der kindlichen Entwicklung, so Pürner. Demnach setzt die Schuleingangsuntersuchung zu spät an – auch aus Sicht der Lehrer. Die Kinder stehen im übertragenen Sinne schon fast vor der Schultür, bis klar ist, welche Hilfestellung sie im Einzelfall brauchen. Landrat Klaus Metzger betont: „Die Idee ist, dass wir das weit vor Schulbeginn feststellen und dann das ganze Instrumentarium, über das die Schulen ja verfügen, bereitsteht.“
Während die Schuleingangsuntersuchung eine halbe bis Dreiviertelstunde dauerte, nimmt Gesik die doppelte Zeit in Anspruch. Denn die Kinder sind jünger und die Untersuchung ist detaillierter. Nach den Schuleingangsuntersuchungen musste laut Pürner etwa ein Zehntel der Kinder zum Schularzt, nach den ersten Erfahrungen mit Gesik sind es etwa 40 Prozent. Das Screening erfasst öfter als früher auftretende Auffälligkeiten bei Kindern wie Lese-, Rechtschreibschwäche, sprachliche Defizite, die auch bei deutschen Kindern vermehrt auftreten, Dyskalkulie wie zum Beispiel ein falsches Verständnis von Mengen oder motorische Probleme. Der Schularzt entscheidet dann, ob Förderbedarf für ein Kind besteht.
Das Gesundheitsamt will die neuen Leitlinien mit der bisherigen Personalstärke schultern. Zwei von drei sozialmedizinischen Assistentinnen haben in Aichach im September angefangen.