Siemens-Chef muss mehr für Deutschland tun
Die Zahl der Beschäftigten im Heimatland des Konzerns geht trotz Neueinstellungen zurück. Dabei läuft es für das Unternehmen prächtig
Ein Manager wie Joe Kaeser tut Deutschland gut. Dass sich der Siemens-Chef immer wieder mutig in politische Debatten einbringt, zeugt davon, dass ihm seine gesellschaftliche Verantwortung als Unternehmer bewusst ist.
Für die so lahme Debattenkultur des Landes wäre es von Vorteil, wenn sich mehr Spitzenkräfte der Wirtschaft zu relevanten Fragen pointiert äußern. Denn Demokratie braucht Frauen und Männer, die Klartext sprechen und nicht in politischer Korrektheit erstarren.
Unternehmer dürfen ruhig auch mal an frechen Politikern wie Franz Josef Strauß, Herbert Wehner und Joschka Fischer Maß nehmen. Kaeser tut das, lässt sich prügeln und tut es wieder. Dass er auch offen seine innere Zerrissenheit schilderte, ob er nun nach Saudi-Arabien zum Geschäftemachen fliegen soll oder nicht, Deutschland also an seiner inneren Debattenkultur teilhaben lässt, wirkt erfrischend. Sonst ist die Welt des Spitzenmanagements oft von Formeln, Vorsicht und Plattitüden geprägt.
So fällt die Bilanz des Staatsbürgers Kaeser nach gut fünf Jahren an der Siemens-Spitze überwiegend positiv aus. Ausrutscher wie seine Reise zu Russlands Präsident Wladimir Putin im Jahr 2014 mitten in der Krim-Krise gab es auch. Der Manager bezahlte Lehrgeld und lernte daraus. Ähnliches gilt für seinen Plan, das Werk in Görlitz an der polnischen Grenze, also in einer Region mit wirtschaftlichen Schwierigkeiten und sehr vielen AfD-Wählern, zu schließen. Kaeser hatte den Sturm der Entrüstung unterschätzt. Aber er war so souverän, seine Entscheidung zu revidieren, was übrigens auch eine gute Botschaft ist: Daraus spricht die Erkenntnis, dass selbst Manager, die Millionen verdienen, keine Götter sind und auf gesellschaftliche Kritik reagieren. Kaeser ist also ein reflektierter Demokrat und ein sehr erfolgreicher Konzern-Lenker ist er ohnehin. Seine wirtschaftliche Bilanz fällt ausgesprochen positiv aus: Siemens verdient viel Geld und befindet sich anders als der abgestürzte US-Konkurrent General Electric in exzellenter Verfassung.
Das war nicht immer so. Kaeser hat also seinen Laden im Griff, was bei weltweit rund 379 000 Mitarbeitern einem Kunststück gleicht. Deswegen könnte er mutiger sein, gerade was Deutschland betrifft. Hier geht die Zahl der Mitarbeiter trotz Neueinstellungen insgesamt zurück – eine Entwicklung, die schon lange anhält und in der Vergangenheit viel dramatischere Ausmaße angenommen hat. Inzwischen arbeiten nur noch etwa 117 000 Frauen und Männer für Siemens in Deutschland. Der schleichende Job-Verlust muss irgendwann zum Stillstand kommen. In Gewerkschaftskreisen wird schon die Losung ausgegeben, die Zahl der Mitarbeiter dürfe nicht unter 100 000 fallen. Zum Vergleich: 1997 arbeiteten noch rund 200 000 Menschen im Inland für Siemens.
Es liegt im eigenen Interesse des Konzerns, eine Art rote Linie zu ziehen, schließlich steht Siemens besonders für deutsche Ingenieurkunst. Und diese Tugend muss weiter in hohem Maße hierzulande erbracht werden. Es reicht nicht, dass der Konzern – was grundsätzlich positiv ist, ob in Erlangen oder Berlin – einen Innovations-Campus errichtet. Siemens muss wieder seine industrielle Basis in Deutschland verbreitern. Das neue Windkraft-Werk in Cuxhaven darf hier nur der Anfang sein.
Denn es ist die Nähe von Forschung und Produktion, die den Riesen stark gemacht hat. Mit einer Großinvestition in Regionen wie dem Ruhrgebiet oder Ostdeutschland könnte der 61-jährige Kaeser sein Lebenswerk krönen und beweisen, dass sich der Konzern nicht von Deutschland entfremdet hat. Geld und Ideen für industrielle Leuchtzeichen hat Siemens genug.
Kaeser sollte ein industrielles Zeichen setzen