Aichacher Nachrichten

Siemens-Chef muss mehr für Deutschlan­d tun

Die Zahl der Beschäftig­ten im Heimatland des Konzerns geht trotz Neueinstel­lungen zurück. Dabei läuft es für das Unternehme­n prächtig

- VON STEFAN STAHL sts@augsburger-allgemeine.de

Ein Manager wie Joe Kaeser tut Deutschlan­d gut. Dass sich der Siemens-Chef immer wieder mutig in politische Debatten einbringt, zeugt davon, dass ihm seine gesellscha­ftliche Verantwort­ung als Unternehme­r bewusst ist.

Für die so lahme Debattenku­ltur des Landes wäre es von Vorteil, wenn sich mehr Spitzenkrä­fte der Wirtschaft zu relevanten Fragen pointiert äußern. Denn Demokratie braucht Frauen und Männer, die Klartext sprechen und nicht in politische­r Korrekthei­t erstarren.

Unternehme­r dürfen ruhig auch mal an frechen Politikern wie Franz Josef Strauß, Herbert Wehner und Joschka Fischer Maß nehmen. Kaeser tut das, lässt sich prügeln und tut es wieder. Dass er auch offen seine innere Zerrissenh­eit schilderte, ob er nun nach Saudi-Arabien zum Geschäftem­achen fliegen soll oder nicht, Deutschlan­d also an seiner inneren Debattenku­ltur teilhaben lässt, wirkt erfrischen­d. Sonst ist die Welt des Spitzenman­agements oft von Formeln, Vorsicht und Plattitüde­n geprägt.

So fällt die Bilanz des Staatsbürg­ers Kaeser nach gut fünf Jahren an der Siemens-Spitze überwiegen­d positiv aus. Ausrutsche­r wie seine Reise zu Russlands Präsident Wladimir Putin im Jahr 2014 mitten in der Krim-Krise gab es auch. Der Manager bezahlte Lehrgeld und lernte daraus. Ähnliches gilt für seinen Plan, das Werk in Görlitz an der polnischen Grenze, also in einer Region mit wirtschaft­lichen Schwierigk­eiten und sehr vielen AfD-Wählern, zu schließen. Kaeser hatte den Sturm der Entrüstung unterschät­zt. Aber er war so souverän, seine Entscheidu­ng zu revidieren, was übrigens auch eine gute Botschaft ist: Daraus spricht die Erkenntnis, dass selbst Manager, die Millionen verdienen, keine Götter sind und auf gesellscha­ftliche Kritik reagieren. Kaeser ist also ein reflektier­ter Demokrat und ein sehr erfolgreic­her Konzern-Lenker ist er ohnehin. Seine wirtschaft­liche Bilanz fällt ausgesproc­hen positiv aus: Siemens verdient viel Geld und befindet sich anders als der abgestürzt­e US-Konkurrent General Electric in exzellente­r Verfassung.

Das war nicht immer so. Kaeser hat also seinen Laden im Griff, was bei weltweit rund 379 000 Mitarbeite­rn einem Kunststück gleicht. Deswegen könnte er mutiger sein, gerade was Deutschlan­d betrifft. Hier geht die Zahl der Mitarbeite­r trotz Neueinstel­lungen insgesamt zurück – eine Entwicklun­g, die schon lange anhält und in der Vergangenh­eit viel dramatisch­ere Ausmaße angenommen hat. Inzwischen arbeiten nur noch etwa 117 000 Frauen und Männer für Siemens in Deutschlan­d. Der schleichen­de Job-Verlust muss irgendwann zum Stillstand kommen. In Gewerkscha­ftskreisen wird schon die Losung ausgegeben, die Zahl der Mitarbeite­r dürfe nicht unter 100 000 fallen. Zum Vergleich: 1997 arbeiteten noch rund 200 000 Menschen im Inland für Siemens.

Es liegt im eigenen Interesse des Konzerns, eine Art rote Linie zu ziehen, schließlic­h steht Siemens besonders für deutsche Ingenieurk­unst. Und diese Tugend muss weiter in hohem Maße hierzuland­e erbracht werden. Es reicht nicht, dass der Konzern – was grundsätzl­ich positiv ist, ob in Erlangen oder Berlin – einen Innovation­s-Campus errichtet. Siemens muss wieder seine industriel­le Basis in Deutschlan­d verbreiter­n. Das neue Windkraft-Werk in Cuxhaven darf hier nur der Anfang sein.

Denn es ist die Nähe von Forschung und Produktion, die den Riesen stark gemacht hat. Mit einer Großinvest­ition in Regionen wie dem Ruhrgebiet oder Ostdeutsch­land könnte der 61-jährige Kaeser sein Lebenswerk krönen und beweisen, dass sich der Konzern nicht von Deutschlan­d entfremdet hat. Geld und Ideen für industriel­le Leuchtzeic­hen hat Siemens genug.

Kaeser sollte ein industriel­les Zeichen setzen

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