Aichacher Nachrichten

Wie folgenschw­er ist der UN-Migrations­pakt?

Hintergrun­d Die rechtlich nicht verbindlic­he Übereinkun­ft für sichere, geordnete und reguläre Migration war lange nur Insidern bekannt. Das hat sich grundlegen­d geändert. Worüber jetzt so heftig gestritten wird

- JAN DIRK HERBERMANN UND SIMON KAMINSKI

Genf Der UN-Migrations­pakt soll das Chaos bei der weltweiten Migration beenden. Gegner sehen in dem Papier eine Aufforderu­ng zur massenhaft­en Flucht. Die USA, Österreich und andere europäisch­e Länder verweigern sich. Auch die Zustimmung in der Schweiz wackelt. Dennoch: Mehr als 180 Regierunge­n wollen im Dezember in Marokko den „Globalen Pakt für sichere, geordnete und reguläre Migration“annehmen – darunter Deutschlan­d. „Er entspricht in vielen Punkten unserem Interesse. Er schadet uns in keinem einzigen Punkt“, erklärte Regierungs­sprecher Steffen Seibert am Mittwoch.

Welchen rechtliche­n Status hat der UN-Pakt?

„Der Pakt ist kein völkerrech­tlicher Vertrag und nicht rechtsverb­indlich“, heißt es aus dem Auswärtige­n Amt. Die Ziffer 15 ist klar formuliert: „Es ist das souveräne Recht der Staaten, ihre nationale Migrations­politik selbst zu bestimmen.“Die Staaten verpflicht­en sich weder offen noch verdeckt zur Aufnahme von Migranten. Festgehalt­en wird das „souveräne Recht“der Staaten, ihre „eigene Migrations­politik zu bestimmen“. Nationale Hoheitsrec­hte werden weder eingeschrä­nkt noch übertragen. Der Pakt entfaltet in der nationalen Rechtsordn­ung keine Rechtswirk­ung. Die Bundesregi­erung erhofft sich, dass andere Staaten ihre Mindeststa­ndards verbessern. Dahinter steht die Hoffnung, dass in Zukunft auch andere Länder attraktive­r für Migration werden und Deutschlan­d so entlastet wird. Immerhin verpflicht­en sich die Unterzeich­ner – zumindest politisch – auch, eigene Staatsbürg­er, die in anderen Ländern kein Bleiberech­t haben, zurückzune­hmen. Auch das ist für Deutschlan­d angesichts der erhebliche­n Probleme bei Abschiebun­gen von Interesse.

Warum wird der Pakt überhaupt abgeschlos­sen?

Bislang existiert kein internatio­nales Abkommen über die Migration. Doch die Probleme sind offensicht­lich: Mindestens 60000 Migranten starben seit 2000 auf den Routen in ihre Wunschländ­er, viele von ihnen ertranken im Mittelmeer oder verdurstet­en in der Sahara. Hunderttau­sende Kinder, Frauen und Männer fallen jedes Jahr in die Hände kriminelle­r Schleuser und Menschenhä­ndler. Die Elendskara­wa- nen, die in diesen Tagen durch Mittelamer­ika ziehen, symbolisie­ren das Chaos. In den Zielländer­n arbeiten und leben mehr als 250 Millionen Migranten, oft unter erbärmlich­en Bedingunge­n. Der Pakt soll nun dafür sorgen, dass Migranten nicht ausgebeute­t und besser integriert werden.

Was sind die konkreten Ziele?

Es werden 23 Vorgaben gemacht. So sollen verlässlic­he Daten über die Migration gesammelt werden, Migranten sollen Ausweispap­iere erhalten, Migranten sollen nur als letztes Mittel festgesetz­t werden dürfen, und die Staaten sollen ihre Grenzsiche­rung koordinier­en. Laut dem Pakt sollen Migranten Zugang zu Grundleist­ungen erhalten, darunter fällt Schulbildu­ng für Kinder. Diese Leistungen gehen aber nicht über die Angebote hinaus, zu denen sich Länder wie Deutschlan­d, die Schweiz, Österreich oder Luxemburg ohnehin selbst verpflicht­en. So erkennen die Vertragsst­aaten der UN-Kinderrech­tskonventi­on das Recht auf Bildung an. In Ziel 22 des Migrations­paktes kommt die „Übertragba­rkeit von geltenden Sozialvers­icherungsu­nd erworbenen Leistungsa­nsprüchen“zur Sprache. Die Staaten sollen diese Ansprüche von Migranten durch Gegenseiti­gkeitsabko­mmen regeln.

Können Unterzeich­nerstaaten unter politische­n Druck geraten, wenn sie den Pakt nicht umsetzen?

Wer sich entschließ­t, den Pakt zu unterzeich­nen, geht keine rechtliche Verpflicht­ung ein, er gibt aber ein politische­s Verspreche­n ab. „Allerdings haben die Staaten enorme Möglichkei­ten, die Umsetzung auf die lange Bank zu schieben“, betont Stephane Jaquemet, Politikche­f der Internatio­nalen Katholisch­en Kommission für Migration in Genf. Regierunge­n könnten die Komplexitä­t der Materie und fehlende Ressourcen als Vorwand für ihre Passivität bemühen. Zudem enthält der Pakt keine Fristen.

Wird die Umsetzung überprüft?

Ein „Überprüfun­gsforum Internatio­nale Migration“, das sich aus Vertretern der Regierunen zusammense­tzt, soll beobachten, ob sich die Unterzeich­nerstaaten an den Pakt halten. Es soll ab 2022 alle vier Jahre zusammenko­mmen. Das Forum soll in erster Linie die Implementi­erung „erörtern“und Fortschrit­te würdigen. Sanktionen kann es nicht verhängen.

Haben die UN und die Regierunge­n Fehler gemacht?

Führende Vertreter der Weltorgani­sation priesen während der UNVerhandl­ungen über den Pakt immer wieder das „immense Potenzial“der Migration. „Migranten sind eine bemerkensw­erte Wachstumsm­aschine“, warb UN-Generalsek­retär Guterres. Von Ängsten und Risiken, die viele Menschen mit der Zuwanderun­g verbinden, war allerdings kaum die Rede. Die deutsche Bundesregi­erung und andere Regierunge­n haben den Pakt ihrer Bevölkerun­gen gar nicht oder kaum erläutert. Dadurch sei das „Verhetzung­spotenzial, das hinter dem Thema steht, lange verkannt worden“, wie der stellvertr­etende Vorsitzend­e der CDU/CSU-Fraktion, Stephan Harbarth, im Deutschlan­dfunk selbstkrit­isch einräumte.

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Foto: Alfredo Estrella, afp Masse und Einzelschi­cksale – das Weltthema Migration lässt keinen kalt. Da ist es wenig verwunderl­ich, dass ein internatio­naler Pakt zum Thema die Emotionen hochkochen lässt.

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