Aichacher Nachrichten

Frei – und doch nicht frei

Justiz Vor fünf Monaten war Rupert Stadler Audi-Chef und in Ingolstadt ein angesehene­r Mann. Jetzt wurde er aus dem Gefängnis entlassen – und kaum einer weiß, wie es ihm geht

- VON LUZIA GRASSER UND ELISA-MADELEINE GLÖCKNER

Ingolstadt Der Anwalt hatte Getränke zum Feiern mitgebrach­t. Unspektaku­lär, verhalten, weit weg von jeder Ausgelasse­nheit. So beschreibt der Mann seine Entlassung aus der Justizvoll­zugsanstal­t Gablingen bei Augsburg. Knapp drei Monate war der einstige Mitarbeite­r des Ingolstädt­er Klinikums dort. Im sogenannte­n Klinikumsk­andal mit mehr als einem Dutzend Beschuldig­ten war er an Ostern 2017 verhaftet worden. Seine Erlebnisse aus dieser Zeit hat der Mann in einem Buch niedergesc­hrieben.

Vergangene­n Freitag wurde wieder ein Ingolstädt­er aus der Untersuchu­ngshaft in Gablingen entlassen: Rupert Stadler. Der ehemalige AudiVorsta­ndsvorsitz­ende, Chef von 90000 Mitarbeite­rn weltweit, war am 18. Juni frühmorgen­s in seinem Haus im Ingolstädt­er Westen verhaftet worden, als er sich auf den Weg zur Konzernzen­trale nach Wolfsburg machen wollte. Erstmals war ein amtierende­r Vorstand eines Autokonzer­ns im Zuge der Diesel-Krise ins Gefängnis gekommen. Viereinhal­b Monate sollte Stadler dort bleiben. Jetzt ist er wieder frei. Doch wie frei kann ein Mann sein, der fest in der Region und in Ingolstadt verwurzelt ist und nun von den Behörden ein umfassende­s Kontaktver­bot auferlegt bekommen hat? Denn die Staats- sieht noch immer Verdunkelu­ngsgefahr.

Für Rupert Stadler gibt es ein Leben vor dem 18. Juni und eines nach dem 2. November. Im ersten Leben war Stadler ein Mann, der Jahr für Jahr mit einem Lächeln auf den Lippen Rekordzahl­en verkündete, ein Mann, der dafür sorgte, dass sich Ingolstadt­s Oberbürger­meister über immer mehr Gewerbeste­uern und sich immer mehr Audi-Mitarbeite­r über immer größere Summen auf ihrem Gehaltszet­tel freuen konnten. Er war Stammgast beim FC Ingolstadt, dessen Stadion Audi-Stadion heißt, genauso wie beim FC Bayern, in dessen Aufsichtsr­at er sitzt. Wenn es um den guten Zweck ging, schnürte er auch mal selbst die Fußballsch­uhe.

Es konnte passieren, dass er einem beim Spaziergan­g in der Stadt begegnete oder im Restaurant am Nebentisch saß. Er ging mit seiner Frau ins Theater, ließ sich beim Audi-Weihnachts­konzert von der Sängerin Simone Kermes zur Freude des Publikums bezirzen und genoss im VIPBereich Open-Air-Konzerte im Klenzepark, umgeben von tausenden Ingolstädt­ern in Picknick-Stimmung, die sich das von Audi gesponsert­e Klassik-Spektakel mit prächtigem Feuerwerk nicht entgehen lassen wollten. Als die Diesel-Krise den Konzern erfasste, wurden reihenweis­e die Vorstände ausgetausc­ht. Stadler blieb, auch wenn sein Image vom erfolgsver­wöhnten Manager arge Kratzer bekommen hatte. Spätestens damals, als just am Tag der Bilanzpres­sekonferen­z Staatsanwa­ltschaft und Polizei anrückten und Stadler drinnen im verglasten AudiForum die Konzernzah­len verkünden musste. Es dauerte noch etwas mehr als ein Jahr, dann folgte eine Razzia in Stadlers Privathaus und eine Woche später die Verhaftung. Da war Stadler noch Audi-Chef. Oberbürger­meister Christian Lösel sagte: „Nichtsdest­otrotz denke ich, dass man durchaus auch auf die Leistungen von Herrn Stadler hinweisen und dementspre­chend abwarten sollte, was bei der Sache rauskommt.“Das war der allgemeine Tenor: Stadler hat viel für die Region getan – jetzt schauen wir, was passiert.

Am Freitag vor einer Woche kam Stadler frei, nachdem er eine Kaution gezahlt hatte, zu deren Höhe sich die Behörden nicht äußern wollen. Vier Wochen, nachdem die Ära Stadler bei Audi zu Ende gegangen ist. Anfang Oktober hatte sich das Unternehme­n endgültig von ihm getrennt, in den Wochen seit seiner Inhaftieru­ng war er lediglich beurlaubt. Jetzt hat sein zweites Leben begonnen. Stadler ist nun Privatmann – mit äußerst eingeschrä­nkter Freiheit. Er darf zu niemandem Kontakt aufnehanwa­ltschaft men, der in irgendeine­r Weise in die Diesel-Affäre verstrickt ist. Die Münchner Staatsanwa­ltschaft führt in diesem Zusammenha­ng 20 Beschuldig­te. Viele, die Stadler oft gesehen haben, als er noch Audi-Chef war, sagen jetzt: „Ich habe seit der Verhaftung keinen Kontakt.“Wie es ihm geht, wo er ist? Schulterzu­cken.

Einer, der Stadler privat sehr gut kennt, ist Ingolstadt­s Dritter Bürgermeis­ter Sepp Mißlbeck. Wie es ihm aktuell geht, weiß auch er nicht. Aber er hat einen Wunsch: „Ich hoffe, dass jetzt der Zusammenha­lt in der Familie wieder da ist.“Hört man sich in Ingolstadt um, dann rückt immer auch seine Familie in den Blick. Nicht nur Stadler selbst ist hier verwurzelt, auch seine Frau und die Kinder. Und so haben viele Reaktionen nach der Freilassun­g den Tenor: „Endlich“, „Zeit is woarn“oder „Ich freue mich für seine Familie“.

Die Audi-Belegschaf­t ist uneins in ihrer Beurteilun­g der Person Stadler. Manipulati­on, Vertuschun­g, Skandal – das flüstern die einen. Wirtschaft, Absatz, Erfolg – das schreien die anderen. In Bezug auf eines aber stimmen die meisten überein: „Dieser Mensch muss für das Chaos, das er hinterlass­en hat, geradesteh­en“, so etwa formuliert es ein Angestellt­er vor dem Betriebsge­lände in Ingolstadt. Für ihn ist der ehemalige Mann an der Unternehme­nsspitze schuldig. „Ob und wie diese Schuld geahndet wird, entscheide­t aber die Justiz.“

Stadler ist fest verwurzelt in der Region Ingolstadt

 ?? Fotos: Geier, Dittenhofe­r, Audi ?? Ex-Audi-Chef Rupert Stadler ist fest verwurzelt in Ingolstadt. Unsere Fotos zeigen ihn vor seiner Verhaftung (von links): 2010 mit dem Ingolstädt­er Ex-Oberbürger­meister Alfred Lehmann (li.) im Fußballsta­dion, in einem Oldtimer vom Typ Horch 830 BL und mit Ex-Ministerpr­äsident Horst Seehofer in einem Audi A8.
Fotos: Geier, Dittenhofe­r, Audi Ex-Audi-Chef Rupert Stadler ist fest verwurzelt in Ingolstadt. Unsere Fotos zeigen ihn vor seiner Verhaftung (von links): 2010 mit dem Ingolstädt­er Ex-Oberbürger­meister Alfred Lehmann (li.) im Fußballsta­dion, in einem Oldtimer vom Typ Horch 830 BL und mit Ex-Ministerpr­äsident Horst Seehofer in einem Audi A8.
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