Aichacher Nachrichten

Der Druck auf die Kirchen steigt

Hintergrun­d Wegen der Missbrauch­sskandale setzen die bayerische­n Bischöfe um Kardinal Marx auf Kooperatio­n mit den Staatsanwa­ltschaften. Die evangelisc­he Kirche denkt über eine Studie nach

- VON DANIEL WIRSCHING

München Tief greifende Reformen haben die deutschen katholisch­en Bischöfe in Aussicht gestellt – um den möglicherw­eise vieltausen­dfachen Missbrauch in den eigenen Reihen aufzuarbei­ten und künftigen Fällen entgegenzu­wirken. Am Donnerstag nun wurden die bayerische­n Bischöfe konkreter, zumindest ein wenig. Zum Abschluss ihrer Herbstvoll­versammlun­g in München sagte Reinhard Kardinal Marx, der sowohl Vorsitzend­er der Deutschen als auch der Freisinger Bischofsko­nferenz ist, dass die katholisch­e Kirche auf Kooperatio­n mit den Staatsanwa­ltschaften setze. Zudem werde man auf Bundeseben­e diskutiere­n, ob man eine neutrale Anlaufstel­le für Opfer einrichte – eine Forderung des Landeskomi­tees der Katholiken in Bayern.

Die engagierte­n Laien hatten Ende September einen Maßnahmenk­atalog formuliert, „den es zügig umzusetzen“gelte. Neben der Schaffung einer Anlaufstel­le für Opfer verlangten sie Eignungspr­üfungen für Interessen­ten, die ins Priesterse­minar eintreten wollen. Und bemängelte­n, die „bisherigen Hauptkrite­rien männlich und unverheira­tet“seien „nicht zukunftswe­isend“als Zugangsbed­ingungen zum Priesterbe­ruf. Der Münchner Erzbischof Reinhard Kardinal Marx sagte dazu, die Bischöfe müssten weiter an der Reform der Priesterau­sbildung arbeiten; den Umgang mit Sexualität, die Rolle der Frau in der Kirche und den Zölibat müsse man offen und angstfrei ansprechen.

Ausgelöst hatte die jüngste Debatte um Strukturre­formen in der Kirche die Veröffentl­ichung der von den deutschen Bischöfen in Auftrag gegebenen Studie „Sexueller Missbrauch an Minderjähr­igen durch katholisch­e Priester, Diakone und männliche Ordensange­hörige im Bereich der Deutschen Bischofsko­nferenz (MHG-Studie)“Ende September in Fulda.

Sie beschäftig­t die Justiz. Am 2. Oktober forderte etwa die auch für Augsburg zuständige Generalsta­atsanwalts­chaft München die Bischöflic­hen Ordinariat­e in ihrem Bezirk schriftlic­h auf, Missbrauch­sfälle, die sich aus deren jeweiligem Aktenbe- ergeben, bei den örtlich zuständige­n Staatsanwa­ltschaften oder Polizeidie­nststellen anzuzeigen.

„Bisher ist bei der Staatsanwa­ltschaft Augsburg keine Anzeige erfasst, die im Zusammenha­ng mit der Studie steht“, sagte Oberstaats­anwalt Matthias Nickolai dazu auf Anfrage. Auch bei der Generalsta­atsanwalts­chaft München sei keine Strafanzei­ge in diesem Zusammenha­ng eingegange­n, sagte Oberstaats­anwalt Christoph Oberhauser am Donnerstag. Seine Behörde habe auf ihr Schreiben jedoch „mehrere Rückmeldun­gen von Ordinariat­en erhalten. Es werden weitere Gespräche in dieser Sache geführt werden.“Worum es dabei genau gehen soll, könne er nicht sagen.

Mit Blick auf das Bistum Augs- burg betonte der Augsburger Oberstaats­anwalt Nickolai: Es liegen keine Anhaltspun­kte dafür vor, dass die Diözese die Leitlinien der Deutschen Bischofsko­nferenz für den Umgang mit sexuellem Missbrauch Minderjähr­iger nicht umsetze. Diese Leitlinien beinhalten die Verpflicht­ung, einen Missbrauch­sverdacht den Strafverfo­lgungsbehö­rden weiterzule­iten.

Nickolai bestätigte zudem den Eingang einer Strafanzei­ge gegen unbekannt von sechs renommiert­en Juristen aufgrund der MHG-Studie. „Wir prüfen, inwieweit es Handlungsm­öglichkeit­en gibt“, sagte er. Auch die Staatsanwa­ltschaften Passau, München I und Ingolstadt prüfen nach Informatio­nen unserer Redaktion die Strafanzei­ge. Diese wurstand de bundesweit am 26. Oktober eingereich­t – unter anderem von den Strafrecht­sprofessor­en Eric Hilgendorf (Würzburg), Holm Putzke (Passau) und dem Mitglied des Deutschen Ethikrats, Reinhard Merkel. Sie wollen, dass die Diözesen Unterlagen über Missbrauch­sfälle herausgebe­n – drohende Verjährung­en „zwingen auch zu schnellem Handeln“. In der MHG-Studie werden nach Auswertung kirchliche­r Akten durch unabhängig­e Forscher 1670 Kleriker beschuldig­t, zwischen 1946 und 2014 3677 Kinder und Jugendlich­e missbrauch­t zu haben. Allerdings wurden Beschuldig­te wie Betroffene anonymisie­rt.

Anders als in der katholisch­en gibt es in der evangelisc­hen Kirche keine vergleichb­are Untersuchu­ng – sondern nur vereinzelt Berichte und Schätzunge­n über das Ausmaß der Missbrauch­sfälle. Möglicherw­eise ändert sich das: Erst am Mittwoch hat die „Unabhängig­e Kommission zur Aufarbeitu­ng sexuellen Kindesmiss­brauchs“mit einer Stellungna­hme den Druck auf die evangelisc­he Kirche erhöht. Diese müsse „eine eigene wissenscha­ftliche Studie in Auftrag geben, die vergleichb­ar der MHG-Studie“sei. „Denn die Fälle von Missbrauch in einzelnen Institutio­nen in ihrer Trägerscha­ft und durch ihre Amtsträger lassen auf strukturel­le Ursachen in der Kirche schließen.“Die Synode der Evangelisc­hen Kirche in Deutschlan­d (EKD) wird von Montag an bei ihrer Tagung in Würzburg darüber diskutiere­n. Ob sie eine umfassende Missbrauch­sstudie auf den Weg bringt, ist ungewiss.

Keine Bewegung gibt es in der Frage der Verjährung­sfristen, für deren Abschaffun­g sich Missbrauch­sopfer einsetzen. Während in Spanien Missbrauch nicht mehr verjähren soll, sieht das Bundesjust­izminister­ium hierfür keine Notwendigk­eit. Ein Sprecher sagte unserer Redaktion: „Es gibt keine Initiative der Bundesregi­erung und keine unseres Hauses, in diesem Bereich tätig zu werden.“In Deutschlan­d gelten seit 2015 längere Verjährung­sfristen für Kindesmiss­brauch. Sie beginnen, sagte er, mit Vollendung des 30. Lebensjahr­es und betragen bei schweren Sexualdeli­kten in der Regel mindestens 20 Jahre.

 ?? Foto: Arne Dedert, dpa ?? Der Münchner Erzbischof Reinhard Kardinal Marx bei der Vorstellun­g der sogenannte­n MHG-Studie Ende September in Fulda. Seitdem hat sich die Vertrauens­krise, in der sich die katholisch­e Kirche befindet, weiter verschärft.
Foto: Arne Dedert, dpa Der Münchner Erzbischof Reinhard Kardinal Marx bei der Vorstellun­g der sogenannte­n MHG-Studie Ende September in Fulda. Seitdem hat sich die Vertrauens­krise, in der sich die katholisch­e Kirche befindet, weiter verschärft.

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