Aichacher Nachrichten

Große Vergangenh­eit, triste Gegenwart

Formel 1 Brasilien hat in der Vergangenh­eit viele große Rennfahrer hervorgebr­acht. Momentan aber ist das Land mit keinen Stammpilot­en in der Königsklas­se vertreten

-

São Paulo Völlig entkräftet und von Krämpfen geplagt stieg Ayrton Senna auf das Podium von Interlagos und entrollte mit größter Mühe die brasiliani­sche Flagge. Von einem Getriebesc­haden heimgesuch­t hatte sich die Formel-1-Ikone im sechsten Gang in einem Grand Prix für die Ewigkeit im März 1991 zu seinem erlösenden ersten Heimsieg gezittert. „Ich bin erst wieder in der Wirklichke­it angekommen, als ich die Ziellinie gesehen habe“, erinnerte sich der 1994 ums Leben gekommene Senna einmal. „Es war nicht der größte Sieg meines Lebens, aber einer, für den ich einfach alles geben musste. Ich werde ihn auf ewig in meinem Gedächtnis behalten.“

Für die Ewigkeit sind die Bilder Sennas, wie er mit geschlosse­nen Augen den Moment des Triumphs auszukoste­n versucht oder wie er von tausenden Landsleute­n frenetisch gefeiert wird. Sie lösen immer noch Gänsehaut aus. Und diese Bilder des dreimalige­n Weltmeiste­rs sind Zeitdokume­nte für die Formel1-Begeisteru­ng in Brasilien. Es war eine glanzvolle Epoche.

Die Gegenwart sieht anders aus. Erstmals seit 1969 hat Brasilien in diesem Jahr keinen Stammfahre­r in der Formel 1. Vor dem Grand Prix am Sonntag in Interlagos mussten sich die Fans mit Felipe Massa begnügen. Im Stadtteil Botafogo von Rio de Janeiro steuerte der Ende 2017 zurückgetr­etene Formel-1Fahrer als Vorgeschma­ck einen Vorführwag­en von Williams. „Es ist schade, dass derzeit kein Brasiliane­r fährt“, sagte Massa als vorerst letzter seiner Spezies. „Die ganze Welt will einen Brasiliane­r sehen und ihm auch zujubeln.“

Nicht die ganze Welt, aber sicher ein beträchtli­cher Teil der brasiliani­schen Formel-1-Welt litt zumindest mit Massa 2008. An jenem 2. November 2008 gewann der damali- ge Ferrari-Pilot den Großen Preis von Brasilien und durfte sich sogar als Weltmeiste­r fühlen – aber nur für einige Sekunden. Ein Überholman­över von Lewis Hamilton gegen Timo Glock zerstörte wenige hundert Meter vor der Ziellinie die Erfüllung des sportliche­n Lebenstrau­ms von Massa. Dann flossen Tränen. Viele Tränen.

Massa hätte sich fast zum ersten brasiliani­schen Weltmeiste­r seit Senna 1991 gekürt und in seiner Heimat Legendenst­atus erhalten. Wie auch Emerson Fittipaldi (1972, 1974). Wie auch Nelson Piquet (1981, 1983, 1987). Und eben wie auch Senna (1988, 1990, 1991).

McLaren spielt bei dieser WMSammlung eine nicht unerheblic­he Rolle. Allein Senna holte seine drei Titel in einem Wagen des englischen Traditions­teams. Da verwundert es auch nicht, dass Petrobras mit diesem Erbe in Verbindung gebracht werden will. Anfang dieses Jahres schloss Brasiliens staatliche­s Mineralölu­nternehmen mit McLaren einen Vertrag über eine Technologi­epartnersc­haft.

Und es verwundert zudem nicht, dass diese Verbindung auch eine Fahrerents­cheidung begünstigt hat. Hinter den 2019er-Stammpilot­en Carlos Sainz jr. aus Spanien und dem Briten Lando Norris wird Sérgio Sette Câmara als Ersatzfahr­er Erfahrung sammeln dürfen. Kurz vor diesem Rennwochen­ende verkündete McLaren die Beförderun­g des 20 Jahre alten Formel-2-Piloten. „Alle brasiliani­schen Piloten haben mich inspiriert“, sagte der aus Belo Horizonte stammende Câmara. „Wir werden als ein Land anerkannt, das Piloten hervorbrin­gt, auch wenn Brasiliens Wirtschaft nicht so stark ist wie die europäisch­e.“Zumindest haben die Südamerika­ner wieder einen Fahrer, auf den sie ihre Hoffnungen projiziere­n können.

 ?? Foto: dpa-Archiv ?? Ayrton Senna, der 1994 starb, ist bis heute Brasiliens berühmtest­er Rennfahrer. Dreimal wurde er Weltmeiste­r.
Foto: dpa-Archiv Ayrton Senna, der 1994 starb, ist bis heute Brasiliens berühmtest­er Rennfahrer. Dreimal wurde er Weltmeiste­r.
 ?? Foto: dpa ?? In dieser Saison wird erstmals kein brasiliani­scher Pilot beim Formel-1-Rennen in Interlagos an den Start gehen.
Foto: dpa In dieser Saison wird erstmals kein brasiliani­scher Pilot beim Formel-1-Rennen in Interlagos an den Start gehen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany