Was die Stadtmauer heute noch erzählt
Geschichte Die alten Befestigungsanlagen eignen sich perfekt für einen Herbstspaziergang. Wer möchte, kann dabei alte Geschichten entdecken – von Kolumbus über den „Stoinernen Ma“bis zu feindseligen Bayern
Die Kahnfahrt ist ein Traum. Gerade im Herbst. Das Wasser, bunt gefärbte Blätter an den Bäumen, die alten Mauern. So viel Idylle lässt gar keinen Gedanken an die kriegerischen Wurzeln der Kahnfahrt aufkommen. Dabei war auch der Oblatter-Wall ein Teil eines mächtigen Bollwerks, mit dem Augsburg über Jahrhunderte die Feinde von der Stadt fernhalten wollte. Und, nicht nur nebenbei, sollten Türme und Mauern auch ein wenig Eindruck schinden: Schaut her, wir können es uns leisten, wir haben Mauern. Und was für welche.
Gleich neben der Kahnfahrt steht eine solche Mauer mit einem Wehrgang aus Holz. Dort fand man das Jahr 1488 eingeritzt und Untersuchungen bestätigten, dass das Holz mehr als 500 Jahre alt ist. Oder, wie es Stadthistoriker Franz Häußler sagt: „Als Kolumbus im Jahr 1492 Amerika entdeckte, gab es die Mauer bereits.“Sie und der Holz-Wehrgang überstanden Jahrhunderte, anrennende Feinde und die verheerenden Bombardements während des Zweiten Weltkriegs. Ihre Schutzfunktion hatten die Mauern damals längst verloren. Schon in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts sah man ein, dass sich Feinde so nicht mehr aufhalten lassen. Mauern und Türme fielen, doch auf rund vier Kilometern Länge zieht sich ein altes, romantisches und auch baufälliges und teures Erbe um die Stadt. Wenn man gräbt wie am Theater, taucht es in der Erde auf. Und auf Luftbildern ist noch heute der einst befestigte Teil der Stadt zu erkennen. Begonnen hatte alles vor rund 2000 Jahren, kleiner zwar, aber schon massiv.
Die Römer, schreibt Franz Häußler in seinem vergriffenen Buch „Augsburgs Tore“, schützten ihr Augusta Vindelicum mit Steinmauern. Die Stadt lag rund um den heutigen Dom. Knapp 1000 Jahre später hatte Augsburg nur „unzureichende Befestigungen aus verfaultem Holz“zu bieten, als die Ungarn heranmarschierten, so der Stadthistoriker. Man schüttete Wälle auf und baute kleine Mauern und stoppte den Ansturm. Geschützt war aber nur ein kleiner Teil der heutigen Innenstadt rund um den Dom – kleiner als zu Römerzeiten. Ende des 11. Jahrhunderts wuchs die Befestigung in Richtung St. Ulrich und Afra. Nachdem sich die Bürger im Jahr 1251 nach einem „teils kriegerischen“Streit mit dem Bischof die Schlüsselgewalt für die Tore sicherten, wurde auch die Siedlung nördlich des Doms gesichert. Als zu Beginn des 15. Jahrhunderts auch die Augsburger in der Jakobervorstadt einen Schutz aus Mauern erhielten, war die Befestigung in der heute erkennbaren Form vollendet. Während auf der Westseite des Zentrums eher die auf den ehemaligen Gräben angelegten Straßen an die Befestigung erinnern, erzählen vor allem zwischen Fischertor, Lueginsland und Rotem Tor auf der Nord- und Ostseite die Mauern und Türme den kriegerischen Teil der Geschichte.
Immer wieder rückten Feinde an. Oft waren es die Bayern, die heute so willkommen sind und mit Millionen nicht nur das Theater und das Klinikum fördern. Damals war Augsburg aber Reichsstadt und kein Teil Bayerns. Im 14. und 15. Jahrhundert scheiterten sie mehrmals an den Augsburger Mauern, schreibt Franz Häußler. Ungeschützte Dörfer
wurden dagegen plattgemacht. Geradezu sagenhaft wird die Geschichte der befestigten Stadt mit dem berühmten „Stoinernen Ma“erzählt.
Hinter der Steinfigur, die an der Stadtmauer bei der Schwedenstiege zu sehen ist, verbirgt sich der Bäcker Hacker. Während des Dreißigjährigen-Krieges soll er im März
1635 nach langer Belagerung aus den letzten Vorräten einen Laib Brot gebacken und stolz auf der Stadtmauer präsentiert haben: Seht her, wir haben immer noch Brot. Die Belagerer schossen ihm einen Arm ab, er starb. Sie zogen aber ab. So weit die Sage. Es war wohl nicht ganz so, sagt Stadthistoriker Häußler mit Verweis auf einen bereits
verstorbenen Heimatforscher. Die Stadt wurde zu jener Zeit nämlich den Belagerern übergeben. Das kam häufiger vor, all die Mauern halfen manchmal nichts. Sie wurden dennoch über Jahrhunderte immer wieder erneuert und verändert. Die Augsburger scheinen dabei aber ein wenig nachlässig gewesen zu sein.
Franz Häußler schreibt immer wieder vom schlechten Zustand der Mauern. Wurden die Zeiten feindseliger, versuchte man sich wieder zu rüsten und vor allem besser, denn die Waffen der Angreifer entwickelten sich schnell. Manchmal wurde auch verschönert, vor allem durch Elias Holl. Als die Stadt im Jahr 1806 schließlich doch an Bayern fiel, kürten die neuen Herren Augsburg zur Festung. Den Bürgern passte das längst nicht mehr. Sie machten das, was ihre Nachfahren heute auch lieben: Sie gingen zwischen Wällen, Befestigungen und Gräben spazieren. „Von einem Thore zum anderen führen die schönsten schattigen Fußgänge“, heißt es in einem Bericht aus dem Jahr 1828. Wer draußen vor den Toren allerdings baute, ging ein Risiko ein. Das bayerische Militär beharrte auf ein freies Schussfeld und hätte Häuser einfach wegreißen können. Mit der Zeit bröckelte aber die harte Haltung.
Im Jahr 1845 setzte sich König Ludwig I. über die Bedenken der Militärs hinweg und erlaubte die Bahnlinie vom Roten Tor zum neuen Hauptbahnhof – Schussfeld hin oder her. Zehn Jahre später kämpfte die Stadt für mehr Freiheit. Hinter den Mauern wurde es nicht nur eng, es fehlten auch Licht und Luft. 1860 durfte schließlich das Gögginger Tor entfernt werden; heute ist dort der Königsplatz. 1867 durfte Augsburg endgültig „entfestigt“werden. Während Augsburg den Bayern die
Die Augsburger hatten die Festung satt
Festungsanlagen in weiten Teilen abkaufen musste, war der Abbruch dann ein Geschäft für die Stadt.
Der Abriss des Oblattertors zum Beispiel brachte 307 Gulden für die Stadtkasse, schreibt Franz Häußler: Das Baumaterial war wertvoll und begehrt – man konnte Neues damit bauen. Anfangs waren die Augsburger ganz begeistert von der neuen Freiheit. Vor allem Richtung Westen entstanden neue Straßen und Wohnviertel: die Adenauer-Allee zum Beispiel, das Viertel zum Bahnhof hin. Doch dann kam historische Sehnsucht auf. Als das Jakobertor fallen sollte, regte sich Widerstand. Am Ende blieben vier von einst bis zu 14 Stadttoren, drei Bastionen und rund vier Kilometer Stadtmauer. Sie ist wunderschön anzusehen, aber ein teures Stück Geschichte.
„Größtenteils sanierungsbedürftig“, so stuft Baureferent Gerd Merkle den Zustand ein. Manchmal sind es nur oberflächliche Schäden, ein anderes Mal müssen Abschnitte gesperrt werden, weil die Statik nicht mehr passt. Das war zuletzt in den Rote-Torwall-Anlagen der Fall. Die Arbeiten sind weitgehend erledigt, kosten aber rund 250000 Euro. Der nächste Brocken steht schon an. Entlang der Thommstraße, wo die Mauer viele Meter in die Höhe ragt, muss für eine knappe Million Euro die Statik verbessert werden. Der sichtbare Erhalt der Mauerreste am Theater kostet Millionen. Ein teures Erbe. Aber auch ein schönes. Wer Zweifel hat: Auf zum Herbstspaziergang.