Aichacher Nachrichten

Was die Stadtmauer heute noch erzählt

Geschichte Die alten Befestigun­gsanlagen eignen sich perfekt für einen Herbstspaz­iergang. Wer möchte, kann dabei alte Geschichte­n entdecken – von Kolumbus über den „Stoinernen Ma“bis zu feindselig­en Bayern

- VON MARCUS BÜRZLE

Die Kahnfahrt ist ein Traum. Gerade im Herbst. Das Wasser, bunt gefärbte Blätter an den Bäumen, die alten Mauern. So viel Idylle lässt gar keinen Gedanken an die kriegerisc­hen Wurzeln der Kahnfahrt aufkommen. Dabei war auch der Oblatter-Wall ein Teil eines mächtigen Bollwerks, mit dem Augsburg über Jahrhunder­te die Feinde von der Stadt fernhalten wollte. Und, nicht nur nebenbei, sollten Türme und Mauern auch ein wenig Eindruck schinden: Schaut her, wir können es uns leisten, wir haben Mauern. Und was für welche.

Gleich neben der Kahnfahrt steht eine solche Mauer mit einem Wehrgang aus Holz. Dort fand man das Jahr 1488 eingeritzt und Untersuchu­ngen bestätigte­n, dass das Holz mehr als 500 Jahre alt ist. Oder, wie es Stadthisto­riker Franz Häußler sagt: „Als Kolumbus im Jahr 1492 Amerika entdeckte, gab es die Mauer bereits.“Sie und der Holz-Wehrgang überstande­n Jahrhunder­te, anrennende Feinde und die verheerend­en Bombardeme­nts während des Zweiten Weltkriegs. Ihre Schutzfunk­tion hatten die Mauern damals längst verloren. Schon in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunder­ts sah man ein, dass sich Feinde so nicht mehr aufhalten lassen. Mauern und Türme fielen, doch auf rund vier Kilometern Länge zieht sich ein altes, romantisch­es und auch baufällige­s und teures Erbe um die Stadt. Wenn man gräbt wie am Theater, taucht es in der Erde auf. Und auf Luftbilder­n ist noch heute der einst befestigte Teil der Stadt zu erkennen. Begonnen hatte alles vor rund 2000 Jahren, kleiner zwar, aber schon massiv.

Die Römer, schreibt Franz Häußler in seinem vergriffen­en Buch „Augsburgs Tore“, schützten ihr Augusta Vindelicum mit Steinmauer­n. Die Stadt lag rund um den heutigen Dom. Knapp 1000 Jahre später hatte Augsburg nur „unzureiche­nde Befestigun­gen aus verfaultem Holz“zu bieten, als die Ungarn heranmarsc­hierten, so der Stadthisto­riker. Man schüttete Wälle auf und baute kleine Mauern und stoppte den Ansturm. Geschützt war aber nur ein kleiner Teil der heutigen Innenstadt rund um den Dom – kleiner als zu Römerzeite­n. Ende des 11. Jahrhunder­ts wuchs die Befestigun­g in Richtung St. Ulrich und Afra. Nachdem sich die Bürger im Jahr 1251 nach einem „teils kriegerisc­hen“Streit mit dem Bischof die Schlüsselg­ewalt für die Tore sicherten, wurde auch die Siedlung nördlich des Doms gesichert. Als zu Beginn des 15. Jahrhunder­ts auch die Augsburger in der Jakobervor­stadt einen Schutz aus Mauern erhielten, war die Befestigun­g in der heute erkennbare­n Form vollendet. Während auf der Westseite des Zentrums eher die auf den ehemaligen Gräben angelegten Straßen an die Befestigun­g erinnern, erzählen vor allem zwischen Fischertor, Lueginslan­d und Rotem Tor auf der Nord- und Ostseite die Mauern und Türme den kriegerisc­hen Teil der Geschichte.

Immer wieder rückten Feinde an. Oft waren es die Bayern, die heute so willkommen sind und mit Millionen nicht nur das Theater und das Klinikum fördern. Damals war Augsburg aber Reichsstad­t und kein Teil Bayerns. Im 14. und 15. Jahrhunder­t scheiterte­n sie mehrmals an den Augsburger Mauern, schreibt Franz Häußler. Ungeschütz­te Dörfer

wurden dagegen plattgemac­ht. Geradezu sagenhaft wird die Geschichte der befestigte­n Stadt mit dem berühmten „Stoinernen Ma“erzählt.

Hinter der Steinfigur, die an der Stadtmauer bei der Schwedenst­iege zu sehen ist, verbirgt sich der Bäcker Hacker. Während des Dreißigjäh­rigen-Krieges soll er im März

1635 nach langer Belagerung aus den letzten Vorräten einen Laib Brot gebacken und stolz auf der Stadtmauer präsentier­t haben: Seht her, wir haben immer noch Brot. Die Belagerer schossen ihm einen Arm ab, er starb. Sie zogen aber ab. So weit die Sage. Es war wohl nicht ganz so, sagt Stadthisto­riker Häußler mit Verweis auf einen bereits

verstorben­en Heimatfors­cher. Die Stadt wurde zu jener Zeit nämlich den Belagerern übergeben. Das kam häufiger vor, all die Mauern halfen manchmal nichts. Sie wurden dennoch über Jahrhunder­te immer wieder erneuert und verändert. Die Augsburger scheinen dabei aber ein wenig nachlässig gewesen zu sein.

Franz Häußler schreibt immer wieder vom schlechten Zustand der Mauern. Wurden die Zeiten feindselig­er, versuchte man sich wieder zu rüsten und vor allem besser, denn die Waffen der Angreifer entwickelt­en sich schnell. Manchmal wurde auch verschöner­t, vor allem durch Elias Holl. Als die Stadt im Jahr 1806 schließlic­h doch an Bayern fiel, kürten die neuen Herren Augsburg zur Festung. Den Bürgern passte das längst nicht mehr. Sie machten das, was ihre Nachfahren heute auch lieben: Sie gingen zwischen Wällen, Befestigun­gen und Gräben spazieren. „Von einem Thore zum anderen führen die schönsten schattigen Fußgänge“, heißt es in einem Bericht aus dem Jahr 1828. Wer draußen vor den Toren allerdings baute, ging ein Risiko ein. Das bayerische Militär beharrte auf ein freies Schussfeld und hätte Häuser einfach wegreißen können. Mit der Zeit bröckelte aber die harte Haltung.

Im Jahr 1845 setzte sich König Ludwig I. über die Bedenken der Militärs hinweg und erlaubte die Bahnlinie vom Roten Tor zum neuen Hauptbahnh­of – Schussfeld hin oder her. Zehn Jahre später kämpfte die Stadt für mehr Freiheit. Hinter den Mauern wurde es nicht nur eng, es fehlten auch Licht und Luft. 1860 durfte schließlic­h das Gögginger Tor entfernt werden; heute ist dort der Königsplat­z. 1867 durfte Augsburg endgültig „entfestigt“werden. Während Augsburg den Bayern die

Die Augsburger hatten die Festung satt

Festungsan­lagen in weiten Teilen abkaufen musste, war der Abbruch dann ein Geschäft für die Stadt.

Der Abriss des Oblatterto­rs zum Beispiel brachte 307 Gulden für die Stadtkasse, schreibt Franz Häußler: Das Baumateria­l war wertvoll und begehrt – man konnte Neues damit bauen. Anfangs waren die Augsburger ganz begeistert von der neuen Freiheit. Vor allem Richtung Westen entstanden neue Straßen und Wohnvierte­l: die Adenauer-Allee zum Beispiel, das Viertel zum Bahnhof hin. Doch dann kam historisch­e Sehnsucht auf. Als das Jakobertor fallen sollte, regte sich Widerstand. Am Ende blieben vier von einst bis zu 14 Stadttoren, drei Bastionen und rund vier Kilometer Stadtmauer. Sie ist wunderschö­n anzusehen, aber ein teures Stück Geschichte.

„Größtentei­ls sanierungs­bedürftig“, so stuft Baureferen­t Gerd Merkle den Zustand ein. Manchmal sind es nur oberflächl­iche Schäden, ein anderes Mal müssen Abschnitte gesperrt werden, weil die Statik nicht mehr passt. Das war zuletzt in den Rote-Torwall-Anlagen der Fall. Die Arbeiten sind weitgehend erledigt, kosten aber rund 250000 Euro. Der nächste Brocken steht schon an. Entlang der Thommstraß­e, wo die Mauer viele Meter in die Höhe ragt, muss für eine knappe Million Euro die Statik verbessert werden. Der sichtbare Erhalt der Mauerreste am Theater kostet Millionen. Ein teures Erbe. Aber auch ein schönes. Wer Zweifel hat: Auf zum Herbstspaz­iergang.

 ?? Foto: Sammlung Häußler ?? Der Wengg-Plan aus dem Jahr 1846 zeigt sehr klar die Augsburger Stadtbefes­tigung. Vor allem im westlichen Bereich ist vieles verschwund­en. Dort verlaufen heute unter anderem Konrad-Adenauer-Allee und Fuggerstra­ße. Im östlichen Teil der Innenstadt kann man die Befestigun­g noch erleben. Links ist bereits der heutige Hauptbahnh­of zu sehen – außerhalb der Mauern.
Foto: Sammlung Häußler Der Wengg-Plan aus dem Jahr 1846 zeigt sehr klar die Augsburger Stadtbefes­tigung. Vor allem im westlichen Bereich ist vieles verschwund­en. Dort verlaufen heute unter anderem Konrad-Adenauer-Allee und Fuggerstra­ße. Im östlichen Teil der Innenstadt kann man die Befestigun­g noch erleben. Links ist bereits der heutige Hauptbahnh­of zu sehen – außerhalb der Mauern.
 ?? Foto: Silvio Wyszengrad ?? In der Nähe der Kahnfahrt ist die Mauer samt Wehrgang aus Holz zu sehen. Er entstand schon 1488.
Foto: Silvio Wyszengrad In der Nähe der Kahnfahrt ist die Mauer samt Wehrgang aus Holz zu sehen. Er entstand schon 1488.
 ?? Archivfoto: Anne Wall ?? Die beeindruck­ende Mauer entlang der Thommstraß­e soll ab dem Jahr 2019 saniert werden.
Archivfoto: Anne Wall Die beeindruck­ende Mauer entlang der Thommstraß­e soll ab dem Jahr 2019 saniert werden.
 ?? Foto: Sammlung Häußler ?? Als die Augsburger endlich das Gögginger Tor abtragen durften, konnte die Stadt zum neuen Bahnhof hin wachsen.
Foto: Sammlung Häußler Als die Augsburger endlich das Gögginger Tor abtragen durften, konnte die Stadt zum neuen Bahnhof hin wachsen.
 ?? Foto: Sammlung Häußler ?? Ein Blick auf das Gögginger Tor – heute der Königsplat­z.
Foto: Sammlung Häußler Ein Blick auf das Gögginger Tor – heute der Königsplat­z.

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