Stadtteile ohne Mitte
Geschäfte und Einrichtungen ziehen sich zurück. Jüngstes Beispiel ist die Post in Hochzoll. Die Stadt steuert dagegen, doch das reicht wohl nicht. Das liegt auch an uns allen
Es ist eine Erosion, die schon vor etwa 20 Jahren begonnen hat: Erst gab die Post ihre Filialen auf (wie zuletzt in Hochzoll), dann folgten Banken wie die Stadtsparkasse. Begleitet wurde das alles davon, dass Einzelhändler aufgaben und keine Nachfolger kamen. Viele Stadtteilzentren in Augsburg haben in den vergangenen Jahrzehnten einen Wandel durchgemacht, der nicht zum Positiven ging – nicht überall, aber in manchen Stadtteilen schon augenfällig. Es gibt vitale Stadtteilzentren wie die Augsburger Straße in Pfersee, aber es gibt Problemstellen wie die Hofackerstraße in Haunstetten.
Für die Bürger bedeutet es häufig weitere Wege, wenn Einrichtungen der Versorgung schließen. Wenn Supermarkt, Drogerie oder Schreibwarengeschäft verschwinden, dann bringt das gerade für Menschen ohne Auto Probleme mit sich. Die Zahl der Geschäfte in den Augsburger Stadtteilzentren hat zwischen 2009 und 2016 um etwa zehn Prozent abgenommen, in den sogenannten Nahversorgungszentren (z. B. durch den Weggang von Rewe im Bärenkeller und Edeka in Hochzoll-Süd) um 21 Prozent, so das Einzelhandelsgutachten der Stadt Augsburg. Die Zahl der Geschäfte, die in einem Stadtteil baulich integriert sind, sinkt also. Immerhin stieg zuletzt die Zahl der Märkte auf der „Grünen Wiese“nicht mehr wesentlich an.
Sie sind mit ein Grund, warum es für den Einzelhandel in den Hauptstraßen der Stadtteile enger wird. Anfang der 2000er-Jahre wuchsen sie aus dem Boden. Die Probleme der Hofackerstraße in Haunstetten lassen sich in direkten Zusammenhang bringen mit dem Wachsen des Gewerbegebiets am Unteren Talweg in einem Kilometer Entfernung. Die Geschäfte auf der Grünen Wiese sind größer, Parkplätze sind vor der Tür. Hand aufs Herz: Wer heute in den Supermarkt gehen würde, wie er ihn vor 30 Jahren in der Nachbarschaft hatte, würde sich angesichts der Enge, des kleinen Sortiments und vielleicht auch der fehlenden Parkplätze erst einmal die Augen reiben. Und nicht anders ist es mit Mode- oder Schuhgeschäften, die sich im Stadtteil zunehmend schwertun – sie leben noch von der (älteren) Stammkundschaft, die mit Online-Handel nichts am Hut hat.
Die Entwicklung ist eine Folge eines geänderten Konsumverhaltens. Sich den Supermarkt vor der Tür zu wünschen, wo man jederzeit schnell die Tüte Milch holen kann, passt nicht, wenn man sich im Alltag den Zehner-Pack H-Milch im Discounter kauft. Ein Stück weit haben wir es alle selber in der Hand, wie der Einzelhandel im eigenen Stadtteil aussieht.
Aber natürlich ist es auch an der Stadt, die Dinge zu steuern. Sie hat die Planungshoheit – wo ein neues Gewerbegebiet entsteht und welche Einzelhandelssortimente sich dort ansiedeln dürfen, bestimmt sie. Auch, wie Stadtteil-Hauptstraßen auszusehen haben, regelt die Stadt. Wo die Hauptachsen sich als breite hochbelastete Straße darstellen (etwa Haunstetten), wird es schwierig, weil sich niemand dort gerne aufhält. Selbst der Rückbau von Straßen im Zuge von Tramlinien (Donauwörther und Friedberger Straße) macht, ungeachtet der Verkehrsfolgen, keine Wohlfühlstraße. Die Probleme in einigen Stadtteilen rühren – neben den Eigenheiten wie der Bevölkerungsstruktur und der Kaufkraft – aus Fehlern der Vergangenheit her.
Immerhin packt die Stadt die Probleme an. Stadtteilinitiativen werden gefördert, in etlichen Vierteln laufen Sanierungsprojekte und es werden städtebauliche Konzepte erstellt. Das Ziel ist überall, die Stadtteile und ihre Zentren zu stärken – sei es in Lechhausen, in Hochzoll (Zwölf-Apostel-Platz), in Haunstetten, Oberhausen, Jakobervorstadt und und und. Allerdings dauert es Jahre, bis aus Konzepten auch etwas wird. Bei all dem geht es um mehr als darum, dass jeder einen Bäcker in der Nähe hat. Angesichts des rasanten Wandels im Handel muss Stadtteilentwicklung künftig vielleicht auch stärker ohne Geschäfte gedacht werden. Es ist nicht wünschenswert, aber vielleicht nicht aufhaltbar, dass die Zahl der Stadtteilläden abnimmt.
Es geht eigentlich darum, dass Stadtteile eine Mitte haben müssen, wo soziales Leben stattfinden kann und wo man sich über den Weg läuft – öffentliche Plätze (am besten mit Wochenmarkt), Kirchen, Begegnungszentren, Schulen als Motoren von Stadtteilentwicklung, vielleicht auch Behörden wie die Bürgerbüros.
All das gibt dem Stadtteil ein Gesicht und gibt den Bewohnern eine Identität.
Es muss Orte geben, wo man sich treffen kann