Wie lange bleibt Seehofer noch Innenminister?
Analyse Ausgerechnet seine ärgsten Rivalen könnten dafür sorgen, dass der CSU-Politiker vorerst weitermachen darf
Berlin Als Horst Seehofer aus dem Paradies vertrieben wird, fasst er einen Entschluss. In Berlin will er seinen undankbaren Parteifreunden zeigen, dass er in einer ganz eigenen Liga spielt. Dass es ein Fehler ist, einen wie ihn als Ministerpräsidenten vom Hof zu jagen. Doch auf diesem Hof haben längst andere das Sagen. In wenigen Wochen muss Seehofer auch noch sein Amt als CSU-Chef hergeben. Dass er eine Liga für sich ist, hat er zwar tatsächlich unter Beweis gestellt – allerdings nicht im positiven Sinne. Nach all den Irrungen der vergangenen Monate spürt er, dass seine Zeit zu Ende geht. Kann so einer wirklich Bundesinnenminister bleiben? Ja. Er kann. Und er wird es wollen – und sei es nur, um einen letzten Wettbewerb zu gewinnen.
Mag Seehofers Machtverfall noch so unaufhaltsam voranschreiten, mag das Grummeln noch so laut sein, so hat er doch nach wie vor einen wichtigen Trumpf in der Tasche: In Berlin wird ihm keiner wirklich gefährlich. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt würde sich im Prinzip zwar jedes Amt zutrauen. Allerdings findet er selbst in den eigenen Reihen nicht genügend Leute, die das ebenfalls tun. Andreas Scheuer hat als Verkehrsminister wenig dafür getan, um sich für höhere Aufgaben zu empfehlen. Und Stephan Mayer, Staatssekretär im Innenministerium, ist in der zweiten Reihe wohl am besten aufgehoben.
Neben der personellen Ebbe in der Hauptstadt gibt es noch einen Garanten für Seehofers Weiterbeschäftigung und das ist pikanterweise sein ärgster Rivale. Markus Söder hat als Ministerpräsident schon genug Baustellen in München. Erst recht, wenn er – wonach es momentan aussieht – auch noch CSU-Chef werden sollte. Rein formal könnte sich Söder dann für all die Demütigungen durch seinen früheren Chef rächen und Seehofer in Rente schicken. Schließlich ist im Koalitionsvertrag klar geregelt, dass nicht die Kanzlerin, sondern allein die Parteien über die personelle Besetzung ihrer Ministerien entscheiden. Dieser Gedanke mag Söder vielleicht sogar gefallen. Doch er dürfte wenig Interesse an neuen Turbulenzen in Berlin haben. Zumal er auf der Suche nach einem Nachfolger notgedrungen – mal wieder – beim bayerischen Innenminister Joachim Herrmann landen würde. Doch der hat nie einen Hehl daraus gemacht, dass er am liebsten bis ans Ende seiner politischen Tage in München bleiben will. Außerdem ist Herrmann als eines der wenigen Schwergewichte im bayerischen Kabinett quasi unverzichtbar. Sollte Seehofer es mit seinen Sticheleien gegen Söder also nicht übertreiben, hat er gute Chancen, vorerst unbehelligt zu bleiben.
Bleibt noch die Frage nach dem Autoritätsverlust. Kann einer, den nicht einmal mehr die eigene Partei als Anführer akzeptiert, tatsächlich die Verantwortung für ein derart wichtiges Ministerium behalten? An dieser Stelle hilft Seehofer ausgerechnet seine zweite große Widersacherin aus der argumentativen Bedrängnis. Wenn Angela Merkel ihr Amt als CDU-Vorsitzende abgeben und dennoch Kanzlerin bleiben kann, warum sollten dann für Seehofer andere Regeln gelten?
Außerdem gibt es nicht wenige in Berlin, die es sogar als Chance für den 69-Jährigen sehen, wenn er sich als Parteichef nicht mehr um alles Mögliche kümmern muss. Schließlich ist im Innenministerium bei all den Streitereien eine Menge liegengeblieben. Was beispielsweise wurde eigentlich aus der so viel diskutierten Abteilung „Heimat“?
Merkel und Seehofer bilden auf den letzten Metern ihrer Karriere eine Art Schicksalsgemeinschaft. Kippt die eine, ist wohl auch der andere am Ende. Zugleich findet aber ein interner Wettbewerb statt, wer von beiden länger durchhält. Ihm ist es ohne Frage wichtiger als ihr, diesen letzten Kampf für sich zu entscheiden. Schließlich ist er der festen Überzeugung, dass sie überhaupt nur wegen ihm noch einmal Kanzlerin geworden ist.
Die erste Runde des Duells geht wohl an Seehofer. Wenn er im Januar den Weg an der CSU-Spitze frei macht, hat er Merkel zumindest um ein paar Wochen überlebt, die ihren Parteivorsitz schon Anfang Dezember abgeben wird. Doch entscheidend ist die zweite Runde. Und da liegt die Kanzlerin vorne. Während Merkel als Regierungschefin auch ohne Parteiamt in allen Machtzirkeln der Großen Koalition vertreten bleibt, wird Seehofer nicht mehr automatisch dabei sein. Wenn es nicht gerade um Themen geht, die sein eigenes Ministerium betreffen, wird er künftig öfter zuschauen müssen, wie die große Politik an ihm vorbeiläuft. Ein weiterer Schritt der schmerzhaften Entwöhnung von der Droge namens Macht.
Der Kopfmensch Merkel hat aber noch einen anderen, viel wichtigeren Vorteil im letzten Wettbewerb mit dem Bauchmenschen Seehofer. Während er seine Chance auf ein würdiges Karriereende verpasst hat, bleibt ihr noch immer die Möglichkeit, den Abgang von der großen Bühne selbst zu bestimmen.