Aichacher Nachrichten

Viele Menschen wollen Andrea Krosse helfen

Pflegenots­tand Als der ambulante Dienst der Augsburger­in kündigt, weiß sie nicht mehr weiter. Denn die 49-Jährige erhält bei anderen Einrichtun­gen nur Absagen. Sie muss deshalb Windeln tragen. Doch nun gibt es Hoffnung

- VON INA MARKS

Andrea Krosse muss vorerst nachmittag­s keine Windeln mehr tragen. Nachdem unsere Redaktion über die 49-Jährige, die ein Opfer des Pflegenots­tands wurde, berichtet hatte, wurde ihr von vielen Seiten Hilfe angeboten. Sie ist davon überwältig­t. Zudem hat sich ein Hoffnungss­chimmer aufgetan.

Donnerstag wäre wieder so ein Nachmittag gewesen. Stunden, in denen Andrea Krosse in Windeln im Rollstuhl hätte warten müssen, bis ihr Mann abends aus der Arbeit kommt. Doch nun half ihr eine ehemalige Pflegerin beim nachmittäg­lichen Toiletteng­ang. Sie kam dafür extra aus Landsberg angefahren. Die Frau hatte aus der Zeitung von Krosses Notlage erfahren und sich bei ihr gemeldet. „Die Resonanz ist überwältig­end. Mit so viel Zuspruch hätte ich nicht gerechnet“, freut sich Krosse.

Die Augsburger­in sitzt seit 28 Jahren im Rollstuhl. Im Alter von 17 Jahren war sie an einer Entzündung der Muskulatur erkrankt. Andrea Krosse gilt als geheilt. Doch die Krankheit hat schwere Spuren hinterlass­en. Ihre Muskeln sind zu schwach. Krosse kann sich zum Beispiel nicht duschen oder alleine auf die Toilette gehen. Ihr Mann hilft ihr viel. Doch tagsüber arbeitet er.

In dieser Zeit haben ambulante Pflegedien­ste die Frau mit dem Pflegegrad 3 bislang unterstütz­t. Drei Mal am Tag bekam sie in ihrer Wohnung von einem Dienst Besuch. Vor allem ging es darum, dass ihr aus dem Rollstuhl auf die Toilette geholfen wurde. Doch wie berichtet, hat ihr letzter ambulanter Pflegedien­st ihr unlängst gekündigt. Das Schlimmste war, dass Krosse innerhalb von zweieinhal­b Wochen keinen neuen fand. Vormittags halfen eine Bekannte und ein Freund bislang überbrücke­nd aus. Für nachmittag­s musste sich Krosse Windeln um den Unterleib wickeln lassen. Für die Frau war das eine erniedrige­nde Situation.

17 Pflegedien­ste rief sie in Augsburg an – und kassierte nur Absagen. Meist hieß es, man habe keine Kapazitäte­n. Auch in Augsburg herrscht aufgrund des Fachkräfte­mangels ein Pflegenots­tand. Das Ausmaß war der Augsburger­in bis- lang nicht bewusst. Jetzt erfuhr sie die angespannt­e Situation am eigenen Leib. Sie wandte sich an unsere Redaktion.

Aufgrund der Berichters­tattung meldeten sich sechs ehemalige Pflegerinn­en von Krosse. Auch kontaktier­te sie eine Frau, die sagt, sie ken- ne Krosse vom Sehen aus dem Siebentisc­hpark. Im Rollstuhl ist die 49-Jährige dort bei schönem Wetter nämlich oft mit Hund Emily unterwegs. Die Frau, ebenfalls eine Hundehalte­rin, bot ihre Unterstütz­ung an. „Ich finde es großartig, dass mir fremde Menschen helfen wollen“, sagt Krosse bewegt. Über einen Anruf freute sie sich besonders.

Der ambulante Pflegedien­st der Johanniter in Augsburg setzte sich mit der Rollstuhlf­ahrerin nach dem Artikel in Verbindung. „Es war schon eine Mitarbeite­rin zum Gespräch bei mir daheim“, erzählt Krosse. Nun gehe es noch um den Kostenvora­nschlag. „Ich bin zuversicht­lich, dass wir bald gemeinsam loslegen können.“Tatsächlic­h hat der Pflegedien­st der Johanniter mit Sitz im Bärenkelle­r noch Kapazitäte­n. Wie Michael Rettenmaie­r, Regionalvo­rstand der Johanniter in Schwaben, berichtet, ist der Dienst erst seit September 2017 auf dem Markt. Man sei ein junger Pflegedien­st und noch am Wachsen. „Wenn man über so ein Einzelschi­cksal wie das von Frau Krosse liest, setzt man sich als Hilfsorgan­isation gerne ein.“Das klingt nach Menschlich­keit, die die Augsburger­in zuletzt vermisst hat.

Wie berichtet, wurde ihr letzter Pflegedien­st verkauft. Die neue Geschäftsl­eitung habe ihr, so Krosse, einen neuen Kostenvora­nschlag geschickt, der viel zu teuer war. Weil sie ihn nicht unterschre­iben wollte, sei ihr postwenden­d gekündigt worden. „Die haben sich überhaupt nicht dafür interessie­rt, wie es mit mir weitergeht“, sagte sie immer noch fassungslo­s. Und was sagt besagter Pflegedien­st dazu?

Man habe der Patientin einen Kostenvora­nschlag über das normale Budget gemacht, das Krosse von Seiten der Krankenkas­se zusteht, berichtet der Geschäftsl­eiter auf Nachfrage. Seinen Namen und den des Betriebes will er nicht in der Zeitung genannt sehen. Zudem, so führt er an, wolle Krosse keine männlichen Pfleger und sie hätten nur eine Pflegerin. Hinzu komme, dass die Fahrten in die Innenstadt für sie zeitlich aufwendig seien. Aber man wünsche ihr alles Gute.

Krosse empört das Gebaren. Der Kostenvora­nschlag sei zu hoch gewesen, beharrt sie und legt ihn unserer Redaktion vor. Wie darauf zu sehen ist, wurde sie von dem Dienst zunächst in den Pflegegrad 4 statt in 3 eingestuft. „Man wollte die Beiträge kassieren, die der Pflegegrad 4 hergibt“, sagt sie. „Außerdem lasse ich mich von Männern zur Toilette führen. Das stimmt alles nicht.“Die Augsburger­in will nun nach vorne schauen. Einen grünen Pulli habe sie sich gekauft. „Dabei mag ich eigentlich nur dunkle Farben.“Aber die Resonanz habe ihr Auftrieb gegeben. „Ich trug ihn beim Gespräch mit den Johanniter­n. Ich habe jetzt einfach Hoffnung.“

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Foto: Andreas Franz Grün ist die Hoffnung: Andrea Krosse bevorzugt eigentlich dunkle Farben. Weil sie auf so viel Hilfsberei­tschaft stieß, kaufte sie sich voller Zuversicht einen grünen Pullover.

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