Die Geschichte der Ultras Sind das noch Fußball-Fans?
Sport Ultras sorgen im Stadion für Stimmung, sind aber auch immer wieder in Ausschreitungen verwickelt. Ursprung des Konflikts ist ihr belastetes Verhältnis zum Fußballverband. Mancherorts ist die Macht der Hardcore-Fans so groß, dass sie in Vereinen mit
Augsburg
Ob er sich das Spiel der deutschen Nationalmannschaft heute gegen Russland ansieht? Tim* lacht. Nein, natürlich nicht. Ein Länderspiel ist für ihn „ein freies Wochenende. Auch mal schön.“
Diese Aussage erstaunt, weil der 21-Jährige ein riesiger Fußballfan ist. Ein Wochenende ohne Fußball ist für ihn eigentlich ein Trauerspiel. Tim hat dem Sport sein Leben verschrieben. Er ist Ultra des FC Augsburg. Seit Jahren hat er kein Heimspiel seines Klubs verpasst, steht jedes Mal im Fanblock und versucht, bei so vielen Auswärtsspielen wie möglich dabei zu sein – ob ganz hoch im Norden, ganz tief im Westen oder ganz weit im Osten.
Aber die Nationalelf, die Jungs von Jogi Löw, die Mannschaft? Das ist nichts für Tim, er winkt ab. „Bloßer Kommerz.“Bei der UltraKultur ist der Name Programm und alles extrem. Die Bereitschaft, sich für den Sport, den eigenen Verein zu engagieren. Aber auch der Widerstand gegen jede gefühlte oder reale Kommerzialisierung des Sports. Es versteht sich von selbst, dass Tim kein Trikot aus dem Fanshop des FC Augsburg trägt, sondern ein T-Shirt mit der Aufschrift „Ultras“. Selbst gemacht.
Man könnte Hardcore-Fans wie Tim als exzentrische Fußnote im Liga-Alltag abtun, doch dafür sind die Ultras längst zu mächtig. Nahezu jeder Klub in den ersten drei deutschen Spielklassen hat eine Ultra-Szene. Und dafür sind diese mittlerweile auch zu gefährlich.
Beim Ligaspiel zwischen Borussia Dortmund und Hertha BSC Berlin Ende Oktober kam es zu Ausschreitungen, weil Berliner Ultras mehrere Feuerwerkskörper gezündet hatten. Als die Polizei den Block stürmte, eskalierte die Lage. Mit Stangen prügelten die Berliner auf die Beamten ein. Drei Tage später, in der zweiten Runde des DFB-Pokals, stand das Spiel zwischen Wehen und dem Hamburger SV vor dem Abbruch, weil Hamburger Ultras im Stadion Pyrotechnik zündeten. Bei der Partie zwischen Rostock und Nürnberg wurden Ordner angegriffen, im Vorfeld hatte ein Polizist sogar einen Warnschuss abgegeben.
verurteilt durchaus, dass so etwas passiert. Und fühlt sich doch als Ultra unfair behandelt. „Wenn wir im Stadion Stimmung machen, ist alles gut. Und wenn irgendwo so etwas passiert, sind alle Ultras auf einmal Vollidioten.“
In den beiden Sätzen spiegelt sich mehr oder weniger das Dilemma der Ultras-Debatte.
Tim ist kein Schläger, auch kein Hitzkopf. Er hat einen normalen Job, eine Freundin. Er ist kein Wortführer, aber auch kein Außenseiter. Er ist 21. Und entspricht damit ziemlich genau dem aktuellen Durchschnittsprofil der Ultra-Fans – die haben mit den grobschlächtigen Hooligans aus den 1980er Jahren nämlich herzlich wenig gemein, sagt Gunter A. Pilz, Deutschlands renommiertester Fanforscher.
Er betont: „Ultras zeichnen sich durch ein hohes Bildungsniveau aus. Es sind keine Dummköpfe, sie reflektieren.“Und dann sagt Pilz den erstaunlichen Satz: „Sie sind die derzeit größte Jugendbewegung in Deutschland.“Eine Bewegung, die gut organisiert ist. Ultras arbeiten gezielt mit Anwälten, wenn etwa Stadionverbote drohen. Und Pilz hat sogar Sympathie für den Ansatz der Ultras, sich gegen die Durchkommerzialisierung des Fußballs zu stemmen. Aber: „Sind sie wirklich diejenigen, die den Fußball retten wollen oder kochen sie nur ihr eigenes Süppchen?“Anders gefragt: Sind das noch Fußballfans?
Diese Frage stellen sich auch die Fußballverbände – spätestens, seit sie zum Feindbild der Ultras avanciert sind. Im August kündigte die Fanvertretung, ein Bündnis aus über 50 Fanszenen, den Dialog mit dem Deutschen Fußball-Bund (DFB) und der für die Profiligen zuständigen Deutschen Fußball Liga (DFL) auf, weil sie sich von den Verbänden nicht ernst genommen fühlten. In der ersten Runde des DFB-Pokals war in nahezu jedem Stadion ein Spruchband zu lesen: „DFB, DFL & Co. – Ihr werdet von uns hören!“
Ausschlaggebender Punkt war die Ankündigung, künftig auch in der dritten Liga Montagsspiele anzusetzen. Die Ultras hassen den Spieltermin Montag, weil dann weniger echte Fans mitreisen können.
sie kennen keine Kompromisse, sagt Pilz: „Wenn ihre Vorstellungen nicht zu 100 Prozent umgesetzt werden, macht ein Dialog aus ihrer Sicht keinen Sinn.“Pilz glaubt sogar, dass die Ultras an einer Lösung des Konflikts gar nicht interessiert sind. „Dann bräche ihnen ja das Feindbild DFB weg.“
Dabei hat der Verband mehrere Anläufe unternommen. Im August 2017 setzte Präsident Reinhard Grindel zwei wesentliche Forderungen der Fans um. Er gab große Banner oder Fahnen weitestgehend frei und strich Kollektivstrafen bei Fanvergehen – also sollte es keine Geisterspiele vor leerer Kulisse mehr geben, weil sich einige Fans danebenbenommen haben. Es war ein überraschender Schritt, der damals als Wendepunkt im Dialog mit der Fanszene galt.
Vergeblich. Ein Jahr später ist der Konflikt wieder aufgebrochen und so akut wie selten zuvor.
Auch die Ultra-Fans des FC Augsburg waren am Dialog mit dem DFB beteiligt. Für die Legio Augusta, führende Ultra-Gruppe des Klubs, ist Denis Komor zuständig. Er ist ernüchtert von dem Dialogversuch, weil es dem Verband nie wirklich um die Fans gegangen sei. Stattdessen spricht die vereinigte Fanvertretung vom „Altar der ProTim fitgier“, auf dem der Fußball geopfert werden solle.
Wie der Dialog neu in Gang kommen könne?
„Schwierig“, sagt Komor. „Das Verhältnis ist belastet. Nötig wäre eine neue Gesprächsatmosphäre.“
Aber kann man dem DFB verübeln, dass er skeptisch bleibt? Auch in Augsburg hat es zuletzt Ausschreitungen gegeben. Vor dem Pokalspiel gegen Mainz gerieten Polizisten und Ultra-Fans aneinander, als diese von einer Kneipe zum Stadion liefen. Böller krachten, die Polizei stoppte den Marsch immer wieder. Als vor einer Straßenbahn ein Rauchtopf gezündet wurde und der Rauch ins Innere zog, erlitt ein Polizist eine Rauchvergiftung. Mittlerweile wird unter anderem wegen Landfriedensbruchs und Körperverletzung ermittelt.
Der Vorfall hat zwar nicht direkt etwas mit der angespannten Atmosphäre zu tun. Dennoch ist er ein Beispiel dafür, wie sich die überUnd hitzte Stimmung auf die Fanszene überträgt. An diesem Abend waren nämlich mehr Polizisten als sonst im Einsatz, weil es wenige Tage zuvor beim Spiel zwischen Dortmund und Hertha Ärger gegeben hatte. Außerdem hatten auch die Augsburger Hardcore-Fans Absprachen mit der Polizei nicht eingehalten. Beim Auswärtsspiel in Hannover zündeten sie in der Gästekurve Bengalos.
Also lautete vor dem Heimspiel gegen Mainz die klare Ansage der Polizei an die Fans: An diesem Abend gibt es null Toleranz.
Dies war für die Ultras eine Provokation, weil der Einsatz von Pyrotechnik für sie nicht verhandelbar ist. Fanforscher Pilz sagt dazu: „Pyrotechnik gehört zum Lebensgefühl der Ultras.“Mittlerweile habe es sich aber auch zu einem Mittel entwickelt, um Macht auszuüben. Meistens verzichten die Ultras darauf, im heimischen Stadion zu zündeln, und brennen stattdessen auswärts die Pyrotechnik ab. Damit werde „symbolisch das gegnerische Stadion territorial erobert“, so Pilz. „Damit stellt man die jeweilige Polizei und den Ordnungsdienst bloß.“
Eine Fanvereinigung des FC Augsburg, in der Ultras vertreten sind, kritisierte daraufhin die Polizei: Diese hätte durch ihre erhöhte personelle Präsenz die Lage erst zum Eskalieren gebracht.
Ein Argument, mit dem Bernd Waitzmann wenig anfangen kann: „Unsere bloße Anwesenheit wird als Eskalation gesehen – da verstehe ich die Welt nicht mehr.“
So redet man aneinander vorbei. Polizeioberrat Waitzmann ist ein besonnener Mann. Wenn er über manche Vorgänge in der Fanszene spricht, wird er eindringlicher. Er ist Einsatzleiter für Heimspiele des FCA. Die Augsburger HardcoreFanszene betrachtet er nicht als so problematisch, auch wenn sie nicht mit den Beamten spreche. Waitzmann sagt: „Wir Polizisten sind für die Ultras der natürliche Feind.“
Wie in anderen Städten übermittelt die Polizei ihre Vorstellungen stattdessen über die Fanbetreuer des FC Augsburg und das Fanprojekt des Stadtjugendrings an die eingefleischten Anhänger. Matthias Hummel leitet das Fanprojekt, das sich an Fans im Alter zwischen 14 und 27 Jahren richtet, Kerngruppe der Ultras. Gibt es etwas zu besprechen, sucht er mit seinen Kollegen am Spieltag das Gespräch mit den Wortführern der Ultras. Hummel spricht von einer Handvoll Leute. Demokratisch gewählt ist keiner von ihnen, anderes ist entscheidend. „Wer lange dabei ist, hat im Zweifel mehr zu sagen.“
Warum die Ansprache vor dem Spiel in Mainz nicht fruchtete? Und was sagt der Fanbetreuer des FC Augsburg dazu? Das war leider nicht zu erfahren, der Verein wollte seinen Fanbetreuer nicht Stellung beziehen lassen.
In der Ultra-Szene spielen Begriffe wie Ehre, Treue, Liebe und Zuneigung eine wichtige Rolle. Wie ernst meinen sie es aber mit der Rettung des Fußballs? Oder geht es ihnen schlicht um: Macht?
In einigen Vereinen genießt die Bewegung eine enorme Machtstellung und spielt diese auch aus. In Hannover verweigerte die Szene ein Jahr lang die Unterstützung bei Heimspielen. Hintergrund sind die Übernahmepläne des Präsidenten Martin Kind, der mehr Einfluss im Klub fordert und dafür das 50+1-Regelwerk kippen will.
Und beim Zweitligisten Dynamo Dresden lässt sich sogar beobachten, wie die Ultras einen Verein so gut wie übernehmen können.
Dort besagt die Vereinssatzung, dass die 22000 Mitglieder den Aufsichtsrat wählen dürfen, das gibt Ultra-Gruppen viel Einfluss. Denn der Aufsichtsrat entscheidet darüber, ob ein Spieler verpflichtet oder ein Trainer entlassen wird. Wie groß die Macht der organisierten Fans ist, musste zuletzt Vereinspräsident Andreas Ritter erfahren. Der trat zusammen mit fünf anderen Präsidiumsmitgliedern zurück, nachdem die Ultras gegen ihn protestiert hatten. Ihnen passte nicht, dass Ritter den beliebten Sportdirektor Ralf Minge loswerden wollte.
Und früher schon setzen die Ultras einfach durch, dass der Vereinsname von FC Dynamo zurück zu SG Dynamo geändert wurde. Es gab dazu eine Mitgliederversammlung, aber der entsprechende Tagesordnungspunkt wurde erst um 1.17 Uhr behandelt. Und wer war da noch da? Die Ultras. (*Name geändert)
„Ultras sind keine Dummköpfe, sie reflektieren.“
Gunter A. Pilz