Multikulti wird im TSV Kriegshaber gelebt
Migration Fußballer aus 16 Nationen kicken in den beiden Herrenmannschaften des Vereins. Wie das funktioniert, weckt bundesweites Interesse. Am Kobelweg sieht man das entspannt. Das sei doch in Augsburg Normalität, oder?
Ende der 70er-Jahre wechselte Anton Kneitel in die A-Jugend des TSV Kriegshabers. Damals war der Fußballspieler dort der „erste Ausländer“, erinnert er sich mit einem Augenzwinkern. Er stammte aus Oberhausen – die restlichen Mannschaftsspieler waren alles „Kriegshaberer Buben“. Kneitel wurde schnell in den Verein integriert.
Seit Jahrzehnten ist er dort aktiv. Er ist Abteilungsleiter, leitet den Jugendbereich und trainiert die Torhüter. Wenn er in den Ruhestand geht, dann wird er wohl auch das Amt des Platzwarts übernehmen. Der Verein bedeutet ihm viel. Während der Oberhauser vor einigen Jahrzehnten noch als „Zugroaster“geneckt wurde, hat sich der Blickwinkel heute deutlich verschoben. In den beiden Herrenmannschaften sind Fußballer aus 16 verschiedenen Nationen vertreten. Augsburger mit deutschen, türkischen, brasilianischen, italienischen, iranischen, irakischen, bosnischen, serbischen oder russischen Wurzeln spielen nichts Besonderes. Multikulti ist hier nicht gescheitert. Im Gegenteil, beim TSV Kriegshaber ist es Normalität. So unaufgeregt normal, dass es schon fast wieder aufregend ist. Zumindest so spannend, dass in den vergangenen Monaten Reporter des Nachrichtenmagazins Spiegel und des evangelischen Magazins Chrismon den Fußballplatz am Kobelweg aufgesucht haben, um Eindrücke am Spielfeldrand zu sammeln. Auch das ZDF wollte über den TSV berichten. Doch das wurde dem Verein dann zu viel.
ihr Miteinander sei doch in Augsburg überhaupt nichts Außergewöhnliches, betont Anton Kneitel. Mehr als 45 Prozent der Augsburger haben einen Migrationshintergrund, das bedeutet, dass sie selber zugewandert sind oder mindestens ein zugewandertes Elternteil haben. Das macht sich im Alltag bemerkbar. Die multikulturelle Stadtgesellschaft begegnet einem vielerorts: ob in der Schule, beim Einkaufen oder eben auf dem Fußballplatz. „In anderen Ausburger Vereinen ist das auch nicht anders“, sagt Anton Kneitel.
Doch beim TSV Kriegshaber scheint es einfach vorbildlich zu klappen. Die Spieler fühlen sich nicht als Integrationsprojekt, sondern einfach als Teil des Vereins. „Wenn jemand neu hinzukommt, frage ich ihn nicht, woher er kommt, sondern was er gerne machen mag“, berichtet Anton Kneitel. Ob er gerne Fußball spielt und ob er sich vielleicht auch in der Vereinsarbeit einbringen will. So wie Abbas Wadi, der in der 2. Mannschaft der Herren spielt und den Trainer der G-Jugend unterstützt. „Das macht total Spaß. Wir verstehen uns alle einwandfrei“, sagt er.
Die Herkunft ist im Verein egal. Gesprochen wird ohnehin Deutsch. Der Wandel in der Stadt mache auch vor einem Verein nicht Halt, so Anton Kneitel. Das Vereinsgelände befand sich früher am Osterfeld – mitten in Kriegshaber. Dort, nahe dem markanten Kirchturm der evangelischen Kirchengemeinde St. Thomas, wurde gekickt. Heute führt die B17 mitten durch das frühere Trainingsgelände. Als die Bundesstraße gebaut wurde, musste sich der Verein einen neuen Standort suchen. Er zog an den Kobelweg, 1982 wurde dort das neue Sportgelände eingeweiht. Damals befand es sich am Rand der Stadt, umgeben von der Flak-Kaserne und Feldern.
Heute liegt es neben der B 17, Supermärkten und Tankstellen. Auf dem ehemaligen Kasernengelände hat sich Gewerbe angesiedelt, es gibt neuen Wohnraum und Grünflächen. Im Stadtteil Kriegshaber leben knapp 19000 Menschen. Der Anteil von Augsburgern mit Migrationsanteil ist hier höher als der städtische Durchschnitt: 52,7 Prozent werden von der Stadt als Deutsche mit MiDenn grationshintergrund oder Ausländer geführt. Der Anteil bei den unter 18-Jährigen ist noch höher – 70 Prozent der jungen Bewohner Kriegshabers haben ihre Wurzeln im Ausland.
Beim TSV Kriegshaber werden die kulturellen Besonderheiten der verschiedenen Nationalitäten geschätzt. „Eine Weihnachtsfeier machen wir nicht. Da besteht kein großes Interesse mehr. Dafür gibt es bei uns eine Weihnachtsparty“, erzählt Anton Kneitel. Jeder stifte eine landestypische Speise für das Buffet. „Der Brasilianer soll etwas zum Trinken mitbringen“, sagt der Abteilungsleiter und lacht.
Die Gemeinschaft wird hier groß geschrieben. Zusammen haben sich die Fußballer einen Aufenthaltsraum hergerichtet: Sie haben Wände gestrichen und das Logo des Vereins darauf gemalt, sie haben Biertischgarnituren und einen Tischkicker besorgt. „Hier sitzen wir nach dem Training noch zusammen. Bei uns gibt es keine Chaoten. Bei uns stehen alle mitten im Leben“, betont er. Er könne diejenigen, die den Wandel in ihren Vereinen beklagten, nicht verstehen. „Wir mussten uns auch neu erfinden.“Das hat geklappt.
Sogar das ZDF wollte über den Verein berichten
Wandel in der Stadt macht vor einem Verein nicht Halt