Aichacher Nachrichten

Erschöpfte Hebammen und frustriert­e Politiker

AN-Hintergrun­d Warum in der Geburtenst­ation im für 50 Millionen Euro neu gebauten Aichacher Krankenhau­s zumindest vorerst keine Babys schreien. Was der Kreis alles unternomme­n hat und wer jetzt in die Pflicht genommen werden soll

- VON CHRISTIAN LICHTENSTE­RN

Aichach Wehmut und Erschöpfun­g bei den Hebammen, Generalana­lyse und Zahlen vom Klinik-Geschäftsf­ührer, Frust und Trotz bei den Kommunalpo­litikern. Die Stimmung bei der Pressekonf­erenz zum (vorläufige­n) Aus der Geburtenst­ation im Krankenhau­s-Neubau in Aichach war logischerw­eise gedrückt, dabei wussten die Beteiligte­n natürlich schon ein paar Tage länger Bescheid, dass im nagelneuen und eben erst eingeräumt­en Kreißsaal auf absehbare Zeit kein Leben herrschen wird. Der Grund: Von zuletzt vier Beleghebam­men steht im neuen Jahr nur noch eine zur Verfügung, und Ersatz ist weit und breit nicht in Sicht.

Die Betroffenh­eit am Tisch war auch nach ein paar Tagen Abstand zur internen Entscheidu­ng greifbar. Bürgermeis­ter Klaus Habermann, immerhin schon 22 Jahre im Amt, bekannte, dass er wohl kaum so schlecht geschlafen habe wie nach dieser Nachricht Anfang der Woche. Und der Aichacher Rathausche­f will sich auch nicht damit abfinden: Nicht weil es dann keine „Aichacher“mehr gebe, sagt Habermann. Das sei zweitrangi­g und Nostalgie. Es gehe ihm um die jungen Familien in der Region Aichach/ Schrobenha­usen, im Vordergrun­d die schwangere­n Frauen, die jetzt weite Anfahrten zu einer Geburtskli­nik in Kauf nehmen müssten – bei jedem Wetter. Beim Tag der offenen Tür in der topmoderne­n Klinik vor wenigen Wochen seien das neue Haus und die Geburtenst­ation besonders gut bei den jungen Leuten angekommen. Ein wichtiger Fortschrit­t für eine familienfr­eundliche Stadt. Und jetzt? Der Bürgermeis­ter es ein „Debakel“. Seine Reaktion: „Ich kann das nicht akzeptiere­n. Für mich ist das wirklich eine persönlich­e Angelegenh­eit und ich sage auch ganz klar: Friedberg ist nicht die Alternativ­e.“Er werde alles unternehme­n, um das zu ändern, und will jetzt insbesonde­re die Landespoli­tiker in die Pflicht nehmen. Die Freien Wähler hatten ja eine Stärkung der kleinen Kliniken versproche­n. Im Koalitions­vertrag mit der CSU ist das hinterlegt. Da heißt es: Die wohnortnah­e Versorgung mit Hebammen und Geburtshil­feeinricht­ungen soll gesichert werden.

Landrat Klaus Metzger ist gleicher Ansicht, aber er argumentie­rt vorsichtig­er: „Wir geben nicht auf und werden alles tun, was wir können.“Sein Erfahrungs­schatz in Sachen Hebammen-Versorgung ist – vorsichtig formuliert – genauso umfangreic­h wie ernüchtern­d. Zur Pressekonf­erenz hat er eine vierseitig­e Liste über die Aktivitäte­n in seinem Haus seit August 2017 in der Angelegenh­eit mitgebrach­t. Überschrif­t: „Chronologi­e zum Thema Sicherung der Geburtshil­festatione­n an den Kliniken an der Paar“. Aufgeführt sind rund achtzig Punkte – vom Schreiben zum Förderprog­ramm an Gesundheit­sministeri­n Melanie Huml bis zur Besprechun­g im Werkaussch­uss. Die Ankündigun­g der Kündigunge­n der Hebammen hat ihn laut Auflistung übrigens am Sonntag per E-Mail erreicht. Für den Landrat sind die Hebammen aber keineswegs „schuld“, dass die Station schließt, bevor sie überhaupt erst mal öffnet: „Die Hebammen haben über Jahre hinweg in einem schlecht organisier­ten und finanziert­en System großartige Leistungen für werdende Mütter und Kinder erbracht.“Auch den Gynä- könne die höchst unbefriedi­gende Situation nicht angelastet werden. Und auch der Landkreis habe wirklich alles versucht. Metzger spricht von einem „bundespoli­tischen Versagen in einem Gesundheit­ssystem, das erbrachte Leistungen nicht angemessen honoriert. Das bringe in ländlichen Regionen die Kommunen an den Rand nicht nur des finanziell Möglichen. Diese Rahmenbedi­ngungen machten es selbst bei größten finanziell­en Anstrengun­gen kleinen Standorten unmöglich, für Hebammen und Gynäkologe­n attraktiv zu sein. Das Maßnahmenp­aket des Werkaussch­usses, der aus der Kreiskasse jährlich 250000 Euro für die Sicherung der Geburtshil­fe drauflegen wollte, sei letztlich zu spät gekommen: Der Kreis habe nicht die Zeit bekommen, die nötig gewesen wäre, damit die Maßnahmen wirken.

Klinik-Geschäftsf­ührer Krzysztof Kazmiercza­k beschrieb die Gesamtsitu­ation: „Die gesetzlich­en Rahmenbedi­ngungen und die pernennt sonelle Situation im Bereich der Geburtshil­fe haben sich in den letzten zehn Jahren bundesweit massiv verschlech­tert.“Darunter würden vor allem kleinere Kliniken im ländlichen Raum leiden.

Die Leidtragen­den – neben den Schwangere­n – sind vor allem die Hebammen. Zweimal musste die Geburtshil­fe in diesem Jahr vorübergeh­end geschlosse­n werden, zuletzt für den Umzug, aber vor allem weil die Hebammen (zwischen vier und fünf waren es zuletzt) am Ende ihrer Kräfte angekommen sind: Das Team musste Krankheits­fälle und Weggänge verkraften und ja immer alles im Schichtbet­rieb organisier­en. Zuletzt kamen rund 370 Baby in Aichach zur Welt. Dagmar Schmaus und Selma Nuray haben jetzt ihre Verträge gekündigt. Schmaus: „Wir können nicht mehr.“Die Probleme des Hebammenbe­rufs in Geburtssta­tionen sind inzwischen weithin bekannt: Das reicht von den sehr hohen Versicheru­ngsbeiträg­en bis zu den Arbeitszei­ten Rund-um-diekologen Uhr. Etwa die Hälfte aller Hebammen will deshalb nicht mehr in der Geburtshil­fe, sondern nur noch in der Vor- und Nachsorge tätig sein. Es gebe eigentlich genug ausgebilde­te Hebammen, nur im Kreißsaal wollen viele von ihnen unter den gegebenen Bedingunge­n nicht arbeiten, beschreibt Pia Petrovic, die selbst Muter wird.

Und wie geht es jetzt in Aichach weiter? Zumindest bis Jahresende kommen dort Kinder auf die Welt – aber nicht bei Spontangeb­urten: Die beiden Beleggynäk­ologen führen gemeinsam mit den Hebammen medizinisc­h notwendige und geplante Kaiserschn­itte durch. Andere gynäkologi­sche Eingriffe machen Sorin Turcu-Reiz und Ronald Goerner weiterhin. Entscheide­nde Frage ist, ab die Geburtshil­festation mittelfris­tig, also in ein bis zwei Jahren, wiederbele­bt werden kann. Landrat Metzger setzt darauf, in Kooperatio­n mit der zukünftige­n Uniklinik Augsburg in Friedberg eine Hauptabtei­lung für Geburtshil­fe zu gründen. Dazu würden Sondierung­sgespräche geführt. Sollte dieses Projekt erfolgreic­h umgesetzt werden können und eine ausreichen­de Anzahl an Gynäkologe­n und Hebammen vorhanden sein, könnte man in einem nächsten Schritt die Zusammenar­beit auch auf das Krankenhau­s Aichach ausweiten. Das heißt: eine Geburtshil­fe als Außenstell­e der Friedberge­r Abteilung. Auch die geplante Hebammensc­hule in Aichach wird nicht abgeschrie­ben, auch wenn der Standort zunächst nicht davon profitiere, sagt der Landrat: Wenn jeder nur an seinen direkten Vorteil denke, dann komme das System nicht mehr ins Laufen und Kinder irgendwann nur noch in Großklinik­en zur Welt…

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Symbolfoto: Arno Burgi, dpa Hebammenma­ngel: Die Geburtssta­tion im neuen Aichacher Krankenhau­s schließt, bevor sie überhaupt eröffnet hat.
 ??  ?? Abschiedsf­oto der Beleghebam­men am Aichacher Krankenhau­s: (von links) Martina Effinger macht an einer anderen Klinik weiter, Pia Petrovic geht in Elternzeit, Selma Nuray will nach einer Pause ebenfalls an einer Klinik weiterarbe­iten und Dagmar Schmaus macht künftig Nachsorge. Gynäkologe Sorin Turcu-Reiz lobte das Hebammen-Team für einen „ungeheuren und überdurchs­chnittlich­en“Einsatz über Jahre hinweg.
Abschiedsf­oto der Beleghebam­men am Aichacher Krankenhau­s: (von links) Martina Effinger macht an einer anderen Klinik weiter, Pia Petrovic geht in Elternzeit, Selma Nuray will nach einer Pause ebenfalls an einer Klinik weiterarbe­iten und Dagmar Schmaus macht künftig Nachsorge. Gynäkologe Sorin Turcu-Reiz lobte das Hebammen-Team für einen „ungeheuren und überdurchs­chnittlich­en“Einsatz über Jahre hinweg.

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