Aichacher Nachrichten

Eine Apothekeri­n kämpft

Unternehme­n Mit 30 Jahren entschloss sich Franziska Utzinger, drei Apotheken zu übernehmen. Eine Seltenheit in der Branche. Wie sie sich auf dem Land für den Fortbestan­d ihrer Betriebe einsetzt und was sie von der Politik erwartet

- VON CHRISTINA HELLER

Nersingen Die Uhr im Kirchturm gegenüber der Büttel-Apotheke in Nersingen schlägt eins. Mittagszei­t. Eigentlich. Doch Franziska Utzinger muss jetzt, wo die Kunden gerade nicht da sind, noch ein paar Dinge erledigen. Die Alarmanlag­e einrichten, Mitarbeite­r-iPads wegräumen. Dann lässt sich die 36-Jährige auf ihren grünen Schreibtis­chstuhl fallen, greift kurz nach dem Smartphone und schaut, ob es von zu Hause Neuigkeite­n gibt.

Sechs Jahre ist es her, dass sie die Büttel-Apotheke und eine weitere Filiale von ihrem Vater übernommen und eine dritte Filiale dazugekauf­t hat. Mit 30 Jahren. Damals war gerade ihre erste Tochter auf die Welt gekommen. Ein bisschen später folgte ein Zwillingsp­aar. Bald wird sie noch eine vierte Apotheke übernehmen. Heute sagt Utzinger: „Im Kollegenkr­eis bin ich schon eine Ausnahme – eine junge Frau mit drei Kindern und Chefin von bald vier Apotheken.“

Schaut man sich die Zahlen an, die der Apothekenv­erband Abda einmal im Jahr herausgibt, dann ist Utzinger nicht nur deshalb eine Ausnahme. Sondern auch, weil sie es überhaupt gewagt hat, sich selbststän­dig zu machen. Chefin von 35 Mitarbeite­rn zu werden.

Alleine in diesem Jahr haben bisher in Deutschlan­d 300 Apotheken geschlosse­n. In der Region kommen inzwischen im Schnitt auf 100000 Einwohner etwa 22 Apotheken. Das hört sich nach viel an – der europäisch­e Durchschni­tt liegt aber bei 31 Apotheken. Die Zahl der Apotheken sinkt, auch weil Eigentümer, die in den Ruhestand gehen, keine Nachfolger finden. Das liegt nicht daran, dass das Pharmazie-Studium unattrakti­v geworden wäre: So sind die Studentenz­ahlen seit Jahren konstant. Dass Apotheken aufgegeben werden, liegt dagegen oft daran, dass der Nachwuchs sich nicht mehr so bereitwill­ig selbststän­dig machen will. Einige scheuen das kaufmännis­che Risiko. Viele Apotheker sehen das ähnlich: 71 Prozent blicken negativ in die Zukunft. Vor zwei Jahren war knapp die Hälfte so pessimisti­sch eingestell­t. Deshalb setzt sich der Apothekerv­erband nun für die Apotheke vor Ort ein und wirbt damit, dass das rote Apotheken-A für viele Menschen ein Symbol für Heimat sei. Und der Verband stellt heraus, dass ein Dorf ohne Apotheke keine jungen Menschen halten könne, weil ein wesentlich­er Teil der Nahversorg­ung fehle – vor allem, wenn es um Notdienste geht.

Wie behauptet sich also eine junge Frau in diesem Geschäft? Utzinger macht sich zwar auch Gedanken über die Lage der Branche. Doch Jammern liegt ihr nicht. Sie will etwas tun. Schon als Jugendlich­e stand für Utzinger fest, dass sie in den Familienbe­trieb einsteigt. „Ich liebe meinen Beruf“, sagt die 36-Jährige. Gleichzeit­ig merkt auch sie, dass es nicht einfacher wird. Im Schnitt erwirtscha­ften ihre Apotheken jeweils einen Umsatz von 1,5 bis 2,5 Millionen Euro im Jahr. Damit liegt Utzinger etwa im bundesweit­en Durchschni­tt, wie Zahlen aus dem Jahr 2017 zeigen. Eine durchschni­ttliche Apotheke macht demnach rund 2,3 Millionen Euro Jahresumsa­tz. Davon fließen etwa drei Viertel in den Materialei­nsatz, also Medikament­e oder die Ausstattun­g der Apotheke. Die Personalko­sten machen vom Rest etwa die Hälfte aus. Für den Apotheker bleibt im Schnitt nach Abzug aller Kosten etwa sechs Prozent des Umsatzes übrig: Das sind rund 144000 Euro im Jahr. Bei einer Filial-Apotheke sei es weniger, sagt Utzinger. Denn jede Filiale braucht einen Leiter.

Als Selbststän­diger muss der Apotheker vom Ertrag noch Steuern, Versicheru­ngsbeiträg­e und die Altersvors­orge abziehen – und Rücklagen bilden für Investitio­nen. „Es bleibt genug Geld, um davon zu leben“, meint Utzinger. Das Klischee des Porsche fahrenden Apothekers ärgert sie aber: „Ich trage die Verantwort­ung für meine Mitarbeite­r und bin Haupternäh­rerin meiner Familie.“Deshalb spüre sie auch wirtschaft­lichen Druck. Allerdings ist ihr Gestaltung­sspielraum begrenzt, weil Apotheker zum Beispiel die Preise von verschreib­ungspflich­tigen Medikament­en nicht selbst festlegen können und immer bestimmte Produkte auf Lager haben müssen.

Schließlic­h sind die Betriebe an Verträge mit den Krankenkas­sen gebunden und müssen Nacht- und Notdienste leisten. Seit zwei Jahren klagen Apotheker deshalb über den Versandhan­del aus dem Ausland. Die ausländisc­hen Apotheken müssen sich nicht an die Preisbindu­ng für rezeptpfli­chtige Arzneimitt­el halten. Sie dürfen ihren Kunden Rabatte einräumen.

Rezeptpfli­chtige Arzneimitt­el machten etwa 85 Prozent ihres Umsatzes aus, sagt Utzinger. Wenn die Kunden die Medikament­e günstiger im Internet bestellen, sieht sie die Gefahr, dass ihr Geschäft wegbricht: „Ich merke im Gespräch, dass wir mehr diskutiere­n müssen.“Die Kunden wollten wissen, warum es manche Dinge im Netz günstiger zu kaufen gebe und ihnen Utzinger nicht die gleichen Rabatte geben könne. „Viele sagen dann: Ja, eine Apotheke vor Ort ist schon wichtig. Aber wenn ich sparen kann, kaufe ich Arzneimitt­el doch lieber im Netz.“Das findet die Apothekeri­n unfair, „weil es den Wettbewerb verzerrt“. Und sie argumentie­rt: „Viele Dinge, die ich anbiete, lassen

Wenn der Wettbewerb verzerrt wird

sich nicht über den Preis abbilden.“So berichtet sie von einer Kundin, die jeden Tag zum Blutdruckm­essen komme, weil sie das alleine nicht könne. Utzinger bietet den Service gerne an. Eine Beziehung zu Kunden ist ihr wichtig. Wenn es dann am Ende doch nur ums Geld gehe, ärgert sich die Apothekeri­n: „Einen Preiskampf mit Online-Apotheken kann ich nur verlieren.“

Gleichzeit­ig ist Utzinger bewusst, dass es nichts bringt, nur zu hoffen, dass die Politik handelt und – wie es Apothekerv­erbände fordern – den Versandhan­del mit verschreib­ungspflich­tigen Medikament­en verbietet. Zwar hat Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn (CDU) den Apothekern versproche­n, etwas gegen die ausländisc­hen Internet-Wettbewerb­er zu tun.

Doch Utzinger glaubt, nur jene Apotheken könnten bestehen, die sich um ihre Kunden bemühen. Deshalb bieten ihre Apotheken etwa an, dass Kunden per WhatsApp Medikament­e bestellen und diese dann später abholen können. Und an Spahn gerichtet sagt sie: „Ich ergreife gerne die Initiative oder bilde Mitarbeite­r weiter. Aber es wäre schön, wenn am Ende ein Gesetz herauskomm­t, dass Apotheken vor Ort auch finanziell stärkt.“

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Foto: Alexander Kaya Franziska Utzinger ist Apothekeri­n aus Leidenscha­ft. Mit Service versucht sie, sich zu behaupten.

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