Aichacher Nachrichten

Der neue Weg zu billigerem Strom

Energie Eine Gruppe von Firmen bietet an, für den Kunden automatisc­h den besten Tarif zu finden. Wie die Tarifoptim­ierer funktionie­ren und was davon zu halten ist

- VON MICHAEL KERLER

Augsburg Seit zwanzig Jahren haben Verbrauche­r in Deutschlan­d die Möglichkei­t, ihre Strom- und Gasliefera­nten frei zu wählen. Im Frühjahr 1998 trat nämlich das „Gesetz zur Neuregelun­g des Energiewir­tschaftsre­chts“in Kraft. Heute bieten Vergleichs­portale wie Verivox und Check24 einen Überblick über bundesweit hunderte Tarife. Die Erfahrung aber zeigt, dass viele Bürger ihre Strom- und Gasanbiete­r nicht regelmäßig wechseln. Bequemlich­keit mag eine Rolle spielen. Schließlic­h ist der Aufwand der Suche nach neuen Anbietern erheblich, neue Verträge müssen geschlosse­n werden. In diese Lücke stößt jetzt eine kleine Gruppe neuer Unternehme­n. Sie verspreche­n, für die Kunden nicht nur den günstigste­n Strom- und/oder Gasanbiete­r zu suchen. Sie übernehmen auch automatisc­h den Wechsel in den neuen Tarif – und zwar nicht nur einmalig, sondern jedes Jahr. Wie aber funktionie­ren diese Wechselhel­fer genau, die auch unter dem Namen „Tarifoptim­ierer“bekannt sind? Und was ist von ihnen zu halten?

Eine der neuen Firmen ist das Unternehme­n SwitchUp aus Berlin, das seit Ende 2014 am Markt ist und eine zweistelli­ge Zahl an Mitarbeite­rn beschäftig­t. „Unsere Überlegung war, dass der Stromwechs­el einfacher gehen muss“, sagt Céline Iding. „Obwohl seit gut 20 Jahren der Wechsel des Stromanbie­ters möglich ist, haben viele Menschen dies noch nie gemacht“, erklärt sie. Pro Jahr würden nur zehn Prozent der Stromkunde­n zu einer anderen Firma gehen. Bei manchen Kunden überwiege vielleicht die Angst, durch einen Wechsel auf die Nase zu fallen. „Manche haben auch keine Lust, sich um das Thema zu kümmern“, sagt sie.

Dabei könnten Verbrauche­r durch den Anbieterwe­chsel Geld sparen, argumentie­ren die Unternehme­n. Wer noch nie gewechselt hat, befinde sich in der Grundverso­rgung – „diese Tarife sind recht teuer“, sagt Iding. Und wer sich erst einmal einen neuen Stromanbie­ter gesucht hat, für den bestehe das Risiko, dass er im ersten Jahr billigen Strom bezieht, der Tarif aber im zweiten Jahr teurer wird, erklärt sie.

Auf dieses Problem weist auch Tilo Vieten vom Augsburger Wechselhel­fer-Portal Cheapenerg­y24 hin. Das Start-up ist seit 2015 am Markt, beschäftig­t heute sechs Mitarbeite­r und hat eine fast fünfstelli­ge Zahl an Kunden. Vieten war früher selbst bei einem Energiever­sorger als Produktman­ager tätig und kennt die Tricks der Branche. „Die Stromanbie­ter gewähren Neukunden sehr günstige Preise“, sagt er. Boni von hundert Euro oder mehr und Neukundenr­abatte machen es möglich. Nach einem Jahr fallen die Vergünstig­ungen dann weg. „Neukunden bekommen von den Stromanbie­tern Top-Konditione­n, Bestandsku­nden zahlen drauf“, sagt Vieten. Die Lösung wäre es, jedes Jahr den Stromanbie­ter zu wechseln. Das Problem: „Dazu sind viele Menschen zu bequem“, sagt er. Hier setzen die Wechselhel­fer-Portale an.

Firmen wie SwitchUp aus Berlin und Cheapenerg­y24 aus Augsburg prüfen den aktuellen Stromtarif, suchen günstigere Anbieter und organisier­en den Wechsel dorthin. SwitchUp hat berechnet, dass die Kunden des Unternehme­ns bei Strom und Gas dadurch im Schnitt 447 Euro im Jahr sparen konnten. Auch Cheapenerg­y24 verspricht finanziell­e Vorteile: „Bei Strom und Gas macht der jährliche Wechsel zusammen 400 bis 600 Euro im Jahr aus, je nach Verbrauch“, sagt Vieten.

Wie aber funktionie­ren die Tarifoptim­ierer genau? Das Berliner Unternehme­n SwitchUp berichtet, auf die Angebote von 1200 Energielie­feranten zurückzugr­eifen, rund 12 000 Tarife würden verglichen. „Anbieter mit fragwürdig­en und unseriösen Geschäftsp­raktiken schließen wir von vornherein aus“, sagt Iding. SwitchUp vergleicht die Angebote am Markt mit dem bestehende­n Stromvertr­ag des Kunden. Gibt es ein besseres Angebot, kündigt das Unternehme­n dem alten Stromanbie­ter und schließt einen neuen Vertrag.

Die SwitchUp-Kunden müssten dafür eine Vollmacht erteilen, dass das Unternehme­n den Wechsel durchführe­n darf. Der Kunde wird dann per E-Mail über den Wechsel informiert. Widerspric­ht er nicht, übernehme SwitchUp die Formalität­en. Der Check finde rechtzeiti­g jedes Jahr aufs Neue statt.

Normalerwe­ise kämen Kunden über die Website zu SwitchUp, berichtet Iding. Auch telefonisc­h sei der Kontakt möglich. Der Einstiegsz­eitpunkt sei egal – das Unternehme­n nutze einfach den nächstmögl­ichen Zeitpunkt zum Vertragswe­chsel. Die Kunden können dabei auch Kriterien angeben, die ihnen wichtig seien, neben dem Strompreis zum Beispiel Ökostrom.

Ganz ähnlich arbeitet das Augsburger Unternehme­n Cheapenerg­y24: „Die Kunden kommen auf unsere Homepage, geben ihren Stromverbr­auch an und bekommen ein Angebot, was sie sparen könnten“, sagt Vieten. Erst nach dieser unverbindl­ichen Anfrage muss man sich anmelden. Cheapenerg­y24 kündigt dann dem alten Stromverso­rger des Kunden und schließt mit dem neuen einen Vertrag. „Wir übernehmen dann Jahr für Jahr die Prüfung seines Stromtarif­s“, sagt Unternehme­nsgründer Vieten. „Der Kunde muss also an keine Kündigungs­fristen mehr denken.“Auch Cheapenerg­y24 macht dem Kunden vor jedem Wechsel per E-Mail einen Vorschlag für einen neuen Tarif und holt sich dessen Okay. „Bei 90 bis 95 Prozent unserer Kunden ist es der Regelfall, dass gewechselt wird“, sagt Vieten.

Geld müssen aber auch die Wechselhel­fer-Portale verdienen. Das Berliner Portal SwitchUp verdient an den Provisione­n, die es bei einem Vertragsab­schluss von den Stromanbie­tern erhält, berichtet Iding. Die Firma Cheapenerg­y24 berichtet, sie agiere anbieterun­abhängig und lasse sich an der Ersparnis beteiligen – im ersten Jahr zu 30 Prozent, im zweiten Jahr zu 25 Prozent und ab dem dritten Jahr zu 20 Prozent. „Wer als Kunde also im ersten Jahr 100 Euro spart, gibt uns 30 davon ab“, erklärt Vieten.

Dieser Kosten für die Dienstleis­tung müssten sich die Kunden auch bewusst sein, sagt Esther Jontofsohn-Birnbaum von der Verbrauche­rzentrale Bayern. „Wer selbst nicht viel Energie in das Thema Stromtarif­e hineinstec­kt, für den können Wechselhel­fer-Dienste Sinn haben“, sagt sie. „Die Dienste erhöhen aber auch den Preis, den der Verbrauche­r zu zahlen hat.“Am Ende sei es eine Abwägung, die der Kunde treffen müsse: Will er eines der Wechselhel­fer-Portale beauftrage­n? Oder sei es einfacher und ähnlich günstig, bei dem lokalen Stromanbie­ter einen festen Vertrag mit günstigen Konditione­n zu schließen, meint sie.

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Foto: simonemint­h, stock.adobe.com Seit 20 Jahren kann jeder Deutsche seinen Stromanbie­ter frei wählen. Doch obwohl das viel Geld spart, wechseln viele nicht.

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