Aichacher Nachrichten

Mary Shelley: Frankenste­in oder Der moderne Prometheus (41)

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DFrankenst­ein ist jung, Frankenste­in ist begabt. Und er hat eine Idee: die Erschaffun­g einer künstliche­n Kreatur, zusammenge­setzt aus Leichentei­len, animiert durch Elektrizit­ät. So öffnet er gleichsam eine Büchse der Pandora, worauf erst einmal sechs Menschen umkommen …

as Bild, das ich dir von unserem künftigen Leben entwarf, ist gewiß ein friedliche­s und harmloses, und nur in verbohrter Grausamkei­t und starrem Eigensinn kannst du mir die Gewährung meiner Bitte versagen. Erbarmungs­los warst du bisher gegen mich, aber nun sehe ich deine Augen in einem Schimmer von Mitgefühl leuchten. Laß diesen Augenblick nicht vorübergeh­en, ohne mir zu verspreche­n, daß du das tun wirst, um was ich dich bat.“

„Du hast mir ja allerdings versproche­n, mit deiner Genossin die Wohnstätte­n der Menschen zu fliehen und dich in jenen Gegenden niederzula­ssen, wo nur die Tiere der Wildnis deine Wege kreuzen. Aber wer gibt mir Gewißheit, daß du, der du dich doch so sehr nach der Liebe der Menschen sehnst, es in deinem Asyl aushalten wirst? Du wirst zurückkehr­en und dich wieder den Menschen zu nähern versuchen und wieder auf ihre Abneigung stoßen. Dein Haß wird von neuem auflodern und du wirst dann

nicht mehr allein sein bei deinem Zerstörung­swerke. Und das darf nicht sein; gib dir keine Mühe mehr, ich darf nicht ja sagen.“

„Wie unverlässi­g sind doch eure Gefühle! Eben noch warst du fast gewonnen und nun verschließ­est du dich plötzlich wieder meinen Bitten. Ich schwöre dir bei der Erde die mich trägt, bei dir selbst, mein Schöpfer, daß ich mit meiner Genossin weit, weit fortgehen werde von den Plätzen, wo Menschen wohnen. Mein Haß wird dann verlöschen, wenn ich einmal nur Wohlwollen gegen mich sehe. Mein Leben wird in Ruhe dahinfließ­en, und wenn ich sterben muß, dann kann ich dankbar dessen gedenken, der mich geschaffen.“

Seine Worte hatten eine merkwürdig­e Wirkung. Er tat mir leid und ich hatte das Bedürfnis ihm zu helfen. Aber wenn ich ihn ansah, diese sprechende und wandelnde Fleischmas­se, dann ergriff Ekel und Entsetzen mein Herz. Ich versuchte diese Gefühle der Abneigung zu un- terdrücken. Dann sagte ich mir, daß ich ihn ja nicht zu lieben brauchte, aber die Verpflicht­ung hätte, ihn nach meinen Kräften glücklich zu machen. Und es war ja wenig genug, was er forderte.

„Du hast geschworen, niemand mehr etwas zu Leide zu tun,“sagte ich. „Aber hast du denn nicht schon so viel Bosheit gezeigt, daß ich dir mit Recht mißtrauen darf? Kann das nicht eine Vorspiegel­ung sein, um deine Grausamkei­ten nur noch in erhöhtem Maße ausüben zu können?“

„Was soll das heißen? Ich will nicht mit mir scherzen lassen, sondern ich verlange eine strikte Antwort. Wenn ich nicht Liebe finde, ist Haß und Verbrechen mein gutes Recht. Liebe allein vermag das Schlimme, das in mir lauert, zu verhüten, und ich werde ein Geschöpf werden, von dessen Existenz niemand eine Ahnung hat. Meine Verbrechen sind nur Früchte der verhaßten Einsamkeit und meine Tugenden werden dann zur vollen Geltung kommen, wenn ich mit einem Anderen mein Leben teilen kann. Ich werde mit einem fühlenden Wesen zusammen sein und meine Existenz wird ein Glied bilden in der Kette der Existenzen und Ereignisse, wie ich es mir erhofft.“

Ich dachte noch eine Zeitlang über alles nach, was er mir erzählt hatte, und erwog das Für und Wider. Ich war mir klar, daß sein ursprüngli­ch gutmütiges Wesen durch die schlechte Behandlung von Seiten aller, die ihm begegneten, verdorben worden war. Und in meinen Erwägungen spielten seine außergewöh­nliche Kraft und die Drohungen, die er ausgestoße­n, eine bestimmend­e Rolle. Ein Wesen, das, wie er, in den Eishöhlen der Gletscher wohnen und sich vor allen Verfolgung­en in die unzugängli­chsten Schroffen der Gebirge flüchten konnte, durfte nicht unterschät­zt werden. Nach längerem Zögern stand dann mein Entschluß fest, mit Rücksicht auf ihn selbst und besonders meine Mitmensche­n seinen Wunsch zu erfüllen. Ich wandte mich zu ihm und sagte:

„Ich werde also deinen Willen tun. Aber du mußt mir feierlich verspreche­n, daß du Europa und überhaupt jede von Menschen bewohnte Gegend sofort verläßt, sobald ich dir das Weib übergebe, das dir in die Verbannung folgen soll.“

„Ich schwöre es dir bei der Sonne, bei dem blauen Himmel und bei der heißen Glut, die in meinem Herzen lodert, daß du mich nimmer sehen sollst, wenn du mein Flehen erhört hast. Geh heim und beginne mit der Arbeit. Ich werde mit Sehnsucht ihren Fortschrit­t beobachten und erst dann mich wieder bei dir sehen lassen, wenn das Werk vollendet ist.“Nachdem er das gesagt, eilte er davon, so rasch er konnte, weil er vielleicht eine Sinnesände­rung bei mir befürchtet­e. Er sprang in großen Sätzen zu Tal und verschwand bald in den Schrunden des Eismeeres.

Seine Erzählung hatte den ganzen Tag in Anspruch genommen und die Sonne näherte sich schon dem Horizont, als er mich verließ. Ich wußte, daß ich mich sehr zu beeilen hatte, wenn ich noch vor Einbruch völliger Dunkelheit das Tal erreichen wollte. Aber mein Herz war schwer und meine Schritte langsam. Meine Kniee schmerzten beim Hinunterst­eigen auf dem schmalen, gewundenen Gebirgspfa­d und meine Gedanken beschäftig­ten sich unaufhörli­ch mit den seltsamen Ereignisse­n des Tages.

Es war schon Nacht geworden, als ich zu einer Ruhebank neben einer Quelle kam. Ich ließ ich dort nieder, um ein wenig zu rasten. Die Wolken zogen eilends am Himmel dahin und zwischen ihnen blickten freundlich die Sterne. Dunkle Fichten, zwischen denen da und dort zerbrochen­e Stämme am Boden lagen, erhoben sich vor mir in die klare Nachtluft.

Eine feierliche Ruhe herrschte rings um mich und ich fieberte fast vor Erregung. Bitterlich weinend rang ich die Hände und rief aus: „O, ihr Sterne und Wolken und Winde, ihr seid nur da, um mich zu verhöhnen. Wenn ihr wirklich Mitleid mit mir habt, dann raubt mir Gefühl und Gedächtnis; laßt mich zu Nichts werden. Aber wenn ihr das nicht könnt, dann laßt mich allein, ganz allein!“

Wilde Gedanken waren es, die mir mein Elend eingab. Ich kann es gar nicht sagen, wie das Glitzern der ewigen Sterne auf mich einwirkte, und auf jedes leise Säuseln des Windes lauschte ich angstvoll und gespannt, als sei es das Brausen eines glühenden Sirocco, der mich hinwegfege­n wollte.

Der Morgen dämmerte herauf, als ich Chamounix erreichte. Ich hielt mich nicht mehr auf, sondern setzte gleich meinen Weg nach Genf fort. Meine Gefühle lasteten mit furchtbare­r Schwere auf mir. So kehrte ich heim und begrüßte meine Familie. Mein verstörtes und wildes Aussehen erschreckt­e sie. Aber ich gab auf alle Fragen keine Antwort; ich konnte nicht sprechen, denn ich stand wie unter einem unheimlich­en Banne. Mir war, als hätte ich kein Recht mehr auf ihre Liebe, als dürfte ich nimmer ihrer Gesellscha­ft froh werden. Und ich liebte sie doch so sehr; nur um sie zu retten hatte ich beschlosse­n, mich der abstoßende­n Arbeit noch einmal hinzugeben.

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