Aichacher Nachrichten

„Mein Herz gehört mir!“

Interview Organspend­er soll künftig jeder sein, der nicht widerspric­ht. Gesundheit­sminister Jens Spahn plant es so. Kerstin Schlögl-Flierl lehnt dies ab. Was die Augsburger Moraltheol­ogin Christen rät

- Interview: Daniela Hungbaur

„Mein Herz gehört mir!“war Ihr Vortrag auf der Tagung zur Transplant­ationsmedi­zin an der Universitä­t Augsburg überschrie­ben. Sie sind Professori­n für Moraltheol­ogie. Halten Sie den Plan von Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn nicht für richtig, der eine Widerspruc­hslösung plant, wonach jeder, der nicht ausdrückli­ch widerspric­ht, automatisc­h Organspend­er ist?

Prof. Kerstin Schlögl-Flierl: Ich bin grundsätzl­ich für Organspend­e. Aber die rechtliche Regelung, die Jens Spahn jetzt will, lehne ich ab.

Das heißt, Sie selbst haben einen Organspend­eausweis? Schlögl-Flierl: Ja, ich habe einen Organspend­eausweis und habe ihn auch mit ja angekreuzt, also ich bin Organspend­erin.

Was hat Sie überzeugt? Schlögl-Flierl: Für mich ist es eine Entscheidu­ng aus Solidaritä­t und Nächstenli­ebe. Mich berühren und bewegen auch immer sehr die persönlich­en Dankesbrie­fe der Organempfä­nger, die die Deutsche Stiftung Organtrans­plantation – anonym natürlich – an die Angehörige­n der Organspend­er weiterleit­et. Ich glaube, das kann für Angehörige ein sehr großer Trost sein.

Warum sind Sie dann gegen die Widerspruc­hslösung?

Schlögl-Flierl: Ich bin hier auf der Linie der katholisch­en Kirche: Aus Gründen der Nächstenli­ebe und der Solidaritä­t ist sie für Organspend­en. Aber der rechtliche­n Regelung der Widerspruc­hslösung steht sie ablehnend gegenüber. Und in meinem Vortrag zeige ich genau das auf: Was spricht für und was spricht gegen eine Widerspruc­hslösung.

Was spricht dagegen? Schlögl-Flierl: Es gibt zwei Gesetzentw­ürfe. Der eine will die Strukturen der Transplant­ationsmedi­zin verbessern und der andere die rechtliche Lösung der Widerspruc­hslösung. Ich befürworte den ersten Gesetzentw­urf, der die Strukturen verbessern will, indem beispielsw­eise Transplant­ationsbeau­ftragte freigestel­lt werden und die Vergütung optimiert wird. Ich denke, dass die Entscheidu­ngslösung aus dem Jahr 2012 eine gute Lösung ist, die allerdings ausgebaut werden müsste. Die Entscheidu­ngslösung besagt, dass alle Bürger von ihrer Krankenkas­se oder Versicheru­ngsunterne­hmen regelmäßig Informatio­nsmaterial zur Organspend­e erhalten und sich dann entscheide­n sollen. Viel gebracht hat diese Lösung aber offensicht­lich nicht: Die Zahl der Organspend­er sank auf einen Tiefstand.

Schlögl-Flierl: Ich bin auch der Meinung, dass dieser Weg ausgebaut werden sollte. Beispielsw­eise könnte ich mir vorstellen – und das wird auch diskutiert –, dass bei der Ausstellun­g des Führersche­ins oder der Verlängeru­ng des Personalau­sweises eine Aufklärung über die Organtrans­plantation durchgefüh­rt wird. Mein Wunschtrau­m wäre es, dass dort Beauftragt­e vor Ort wären und eine Aufklärung durchführe­n. Denn das A und O ist Informatio­n und Aufklärung bei diesem Thema. Entscheide­n muss sich dann aber jeder selbst können. Ich will also zunächst die Verfahren, die zu einer Entscheidu­ng für oder gegen eine Organspend­e führen, ändern.

Der Sozialethi­ker und Theologe Peter Dabrock hatte kürzlich im Deutschlan­dfunk erklärt, dass er gegen die Widerspruc­hslösung von Minister Spahn ist, weil sie für ihn ein wirklich tiefer Eingriff in das Selbstverf­ügungsrech­t ist. Ist dies auch bei Ihnen der Punkt oder warum sind Sie konkret gegen die Widerspruc­hsregelung? Schlögl-Flierl: Ja genau, ich bin der Meinung von Dabrock: Es ist ein zu tiefer Eingriff in mein Selbstbest­immungsrec­ht. Mein Schweigen wird gleich als Zustimmung ausgelegt beziehungs­weise ich muss, um kein Organspend­er zu sein, aktiv widersprec­hen. Das ist nicht richtig. Ich will lieber die persönlich­e Entscheidu­ngslösung, weil ich die Freiheit und Selbstbest­immung jedes Einzelnen hochhalten möchte. Sie sind Christin und sind Organspend­erin, wie Sie erklärt haben, aus Gründen der Nächstenli­ebe und Solidaritä­t. Ist es nicht generell aus diesen beiden Gründen für jeden Christen eine Pflicht, seine Organe zu spenden? Schlögl-Flierl: Genau dies werde ich sehr oft gefragt. Als Christin bin ich gefordert, mir die Entscheidu­ng zur Organspend­e nicht leicht zu machen. Als Christin bin ich aufgerufen, gründlich das Für und Wider abzuwägen, auch die goldene Regel anzuwenden: Wäre ich selbst bereit, ein Organ anzunehmen? Als Christin habe ich wirklich die moralische Pflicht, mich zu informiere­n. Aber ich muss als Christin nicht automatisc­h Organspend­er sein, das nicht. Und bei diesen Gesprächen merke ich auch immer, wie viel Rede- und Informatio­nsbedarf bei dem Thema vorhanden ist. Das ist enorm. Daher muss die Aufklärung und Informatio­n ganz stark ausgebaut werden, schließlic­h hat das Thema so viele Aspekte, die Menschen umtreiben. Nehmen Sie nur als Beispiel den schweren emotionale­n Konflikt, in dem Eltern stecken, deren hirntotes Kind Organe spenden soll. Aufklärung und Informatio­n ist wirklich das A und O bei diesem Thema.

„Ein zu tiefer Eingriff in mein Selbstbest­immungsrec­ht.“

Was wäre für Sie ein Grund, warum sich jemand dagegen entscheide­t? Schlögl-Flierl: Wenn beispielsw­eise die Angst zu groß ist, dass ich zu früh für hirntot gehalten werde. Wenn ich spüre, hier ist eine Grenze, die kann ich nicht überspring­en. Diese persönlich­e Grenzziehu­ng muss akzeptiert werden.

Eine Leserin aus dem Allgäu hat uns genau zu diesem Thema geschriebe­n. Es ist ja umstritten, ob der Hirntod der Ganzkörper­tod ist.

Schlögl-Flierl: Also ich stelle mir das immer so vor, dass der Sterbeproz­ess abläuft und wir heute dank unserer Technik die Möglichkei­t haben, diesen Prozess an einem bestimmten Punkt zu stoppen, nämlich dann, wenn der Mensch hirntot ist, also, wenn ihn nur noch Apparate am Leben erhalten. Aus diesem Grund, um Organspend­er zu haben, ist der Hirntod 1968 als Kriterium auch eingeführt worden. Das muss man für den Hintergrun­d wissen. Nun sind nach den Missbrauch­sskandalen um Organtrans­plantation­en die Kriterien, wann ein Mensch hirntot ist, sehr verbessert worden.

Sind Sie aus Ihrer Sicht nun so, dass ich als Patient nicht fürchten muss, zu früh für hirntot erklärt zu werden? Im Frühsommer ist beispielsw­eise ein 13-jähriger Junge in den USA kurz vor der Organspend­e noch aufgewacht. Schlögl-Flierl: Also ich persönlich kann nun, nach der Verbesseru­ng der Kriterien, den Ärztinnen und Ärzten vertrauen. Die Bundesärzt­ekammer hat in ihren Richtlinie­n deutlich nachgearbe­itet. Auch die Deutsche Bischofsko­nferenz hat 2015 bekräftigt, dass der nachgewies­ene Hirntod ein sicheres Kriterium für eine Organentna­hme ist. Wenn aber ein Mensch intuitiv hier Probleme hat, dann muss ich das als Grund anerkennen, dass er keine Organe spendet. Kerstin Schlögl-Flierl, 42, ist an der Uni Augsburg Professori­n für Moraltheol­ogie und Mitglied im Zentrum für Interdiszi­plinäre Gesundheit­sforschung.

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Foto:Imago
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