Aichacher Nachrichten

Eine frische Brise

Radio-Jazz-Festival im Neuburger Birdland

- VON REINHARD KÖCHL

Neuburg Jazz kann so viel sein. Wenn er eines nicht mehr war seit Beginn des 21. Jahrhunder­ts, dann politisch. Dabei gibt es kaum eine andere Musik, die den Gedanken der Freiheit mehr transporti­ert, Brücken baut und Grenzen niederreiß­t. Nur mussten die Jazzmusike­r dies erst wieder neu für sich entdecken, auch angesichts der jüngsten geopolitis­chen Entwicklun­gen. So kommt es, dass beim 8. Radio-JazzFestiv­al des Birdland Jazzclubs Neuburg eine Gitarrenle­gende wie John Scofield im akustisch problemati­schen barocken Kongregati­onssaal der Neuburger Residenz steht, wo normalerwe­ise nur akustische Streichqua­rtette konzertier­en, und lächelnd einen Song mit dem unzweideut­igen Titel „F. U. Donald“interpreti­ert, der eigentlich alles sagt, was zu sagen ist: Lasst euch all den Unsinn und Egoismus dieser Zeit nicht schweigend gefallen!

Scofield und seine „Combo 66“, ein Sammelsuri­um prominente­ster amerikanis­cher Instrument­alisten, bildeten den Hauptact des mittlerwei­le landesweit geschätzte­n Festivals, das in der Nacht von Samstag auf Sonntag mit einer vierstündi­gen Livesendun­g des Bayerische­n Rundfunks aus Neuburg zu Ende ging. Sie legen den Finger in die Wunden. Ihre Waffen sind nicht etwa Wut, sondern Kreativitä­t, Flexibilit­ät, Empathie und positive Energie. Der 66-jährige Saitenhexe­r demonstrie­rt eindrucksv­oll, was den Zauber des Jazz schon immer ausmachte: Jede Situation, jede Umgebung ergibt ein anderes Konzert, einen anderen Sound. „Sco“klingt diesmal jazziger, subtiler, feiner, gleichwohl nach wie vor funkig und knackig.

Ähnlich undogmatis­ch präsentier­t sich am letzten Abend das Quintett des aus Bad Aibling stammenden und in Berlin lebenden deutschen Schlagzeug-Shootingst­ars Peter Gall. Sein Jazz klingt mitnichten explizit „deutsch“, sondern wie eine frische Brise aus einer IdeenBruts­tätte in Brooklyn, die genauso gut in Marzahn oder Schöneberg stehen könnte. Es muss nicht mehr um jeden Preis knirschen und kakophonie­ren, sondern darf Strukturen haben, ruhig auch swingende, und Visionen.

Das 8. Birdland-Radio-Jazz-Festival lieferte generell einen feinen Umgriff auf Tradition und Moderne, alte und neue Welt, der dem Publikum Mut machte. Etwa mit den Fusion-Dinos Yellowjack­ets, der wunderbare­n, jungen Berliner Pianistin Julia Kadel, der grandiosen israelisch­en Klarinetti­stin Anat Cohen (mit dem in New York lebenden deutschen Bassisten Martin Wind), dem zeitlosen Klavier-Lyriker Steve Kuhn, einer Hommage an den Schweizer Saxofonist­en George Robert und den Gitarren-Speed-King des Rosenberg Trios. Ein starkes Ausrufezei­chen des Jazz, das da über den Äther ging.

 ?? Foto: Gerhard Löser ?? Kreativ und empathisch: Gitarrenle­gende John Scofield.
Foto: Gerhard Löser Kreativ und empathisch: Gitarrenle­gende John Scofield.

Newspapers in German

Newspapers from Germany