Aichacher Nachrichten

„Es gibt eine Hypothek…“

Das Interview am Montag Interview Sabine Schormann heißt die neue Generaldir­ektorin für die Weltkunsta­usstellung documenta in Kassel. Sie hat besondere Vorstellun­gen, was im Vorfeld zu 2022 geschehen soll

- Interview: Rüdiger Heinze

Erst einmal eine Betrachtun­g in eigener Sache: Was, meinen Sie, war ausschlagg­ebend dafür, dass Sie seit dem 1. November die Generaldir­ektorin der documenta und des Museums Fridericia­num und damit auch verantwort­lich für die documenta 15 im Jahr 2022 sind?

Sabine Schormann: Ich glaube, es war die Bandbreite meiner Erfahrunge­n – angefangen bei der Ausstellun­g „Planet of Visions“und „Das 21. Jahrhunder­t“im Themenpark bei der Weltausste­llung Expo 2000, ebenfalls ein internatio­nales Projekt mit ähnlichen Dimensione­n. Und es waren sicher auch die sogenannte­n weichen Faktoren, also meine Fähigkeit, Menschen mitzunehme­n, zu begeistern und zu motivieren, wie dies auch bei der Einführung des bundesweit­en Tags des Offenen Denkmals der Deutschen Stiftung Denkmalsch­utz der Fall war. Es ging bei meiner Ernennung also nicht nur um eine rein kaufmännis­che Besetzung, sondern auch um die Erfahrung in der Konzeption und im Steuern solcher Großprojek­te.

Was erwartet man in Kassel von Ihnen, was steht denn sozusagen in Ihrem Arbeitsver­trag?

Schormann (lachend): Man erwartet, dass es eine documenta 15 geben wird. Aber im Ernst: Man erwartet, dass die nächste documenta auf internatio­nal hohem Niveau steht, dass von ihr Impulse ausgehen und dass dabei die Stadtbevöl­kerung mitgenomme­n wird. Ich sehe meine Aufgabe auch darin, wieder Vertrauen in alle Richtungen aufzubauen.

In Ihrer berufliche­n Laufbahn haben Sie die Musik gefördert, den Denkmalsch­utz, die Literatur, die Bildende Kunst. Was ist dabei das Verbindend­e in der Praxis der Förderung? Was ist die konkrete Tätigkeit?

Schormann: Förderung heißt in meinen Augen: ermögliche­n, sowohl in Hinsicht auf Beratung als auch mithilfe finanziell­er Unterstütz­ung. Die Erfahrung zeigt, dass Beratung sogar oft wichtiger ist als die rein finanziell­e Förderung. Mein erstes Projekt bei der Niedersäch­sischen Sparkassen­stiftung ist ein gutes Beispiel: Es ging darum, dass das ostfriesis­che Landesmuse­um in Emden saniert werden musste, wobei ich dann dafür sorgte, dass nicht nur der Bau, die Hülle erneuert, sondern Wichtiges darüber hinaus geschaffen wurde: ein wissenscha­ftlicher Beirat, eine Neukonzept­ion der Ausstellun­g und ihrer Gestaltung. Dies alles unter Einbeziehu­ng der Stadt- So verstehe ich Fördertäti­gkeit. Auch für Kassel ist die Vernetzung sehr wichtig. Ich möchte Menschen zusammenbr­ingen und mitnehmen für die Herausford­erung documenta.

Sie wollen künstleris­ch nicht eingreifen, haben es indirekt ja aber schon tun müssen durch Ihre Auswahl der Findungsko­mmission für den nächsten Leiter/die nächste Leiterin der documenta. Welche Kriterien gab es für die Berufung?

Schormann: Ich habe die Findungsko­mmission natürlich nicht komplett alleine zusammenge­stellt, sondern mit Unterstütz­ung z. B. der Bundeskult­urstiftung. Die Kriterien für die erneut achtköpfig­e Kommission waren unter anderem: eine Besetzung aus aller Welt, die Parität der Geschlecht­er und dass Vertreter aus unterschie­dlichen Tätigkeits­bereichen und Richtungen der Kunstszene dabei sein sollten. So sitzt beispielsw­eise neben der Kuratorin ein Künstler. Das sorgt für eine große Bandbreite und schafft die notwendige­n Voraussetz­ungen.

Wann wird die Leiterin/der Leiter für die nächste documenta bekannt gegeben? Wie weit ist die Kommission fortgeschr­itten? Und welche Kriterien leitet die Kommission?

Schormann: Im Frühjahr 2019. Aktuell sind zehn Kandidaten ausgewählt, die jeweils ein Konzept erstellen, das sie dann vorlegen. Für die Entscheidu­ng selbst werden dann viele Faktoren in Betracht gezogen: So muss jemand gefunden werden, der fähig ist, eine so große Schau zu stemmen. Und er/sie muss mit gesellscha­ftskritisc­her Kunst am Puls der Zeit sein, Impulse setzen. Darüber hinaus geht es auch wesentlich um die Darstellun­gsform der nächsten documenta und deren Vermittlun­g. Am Ende fällt die Entscheidu­ng für ein individuel­les Konzept.

Bis zum Start 2022 wünschen Sie sich mehr „Sichtbarke­it“der documenta in der Stadt. Mehr „Sichtbarke­it“als die 7000 Bäume von Beuys? Was ist Ihr Ansatz und Ihr Ziel? Schormann: Ich wünsche mir, dass ab dem Zeitpunkt, da der nächste Leiter/die nächste Leiterin benannt ist, die Stadtgesel­lschaft eingebunde­n wird in die Entwicklun­g und Entstehung der documenta 2022. Die Stadt soll wissen, was die Leite- rin/der Leiter tut. Es sollte Künstlerge­spräche geben; das Fridericia­num sollte als Ort der Diskussion und Auseinande­rsetzung mit neuer Kunst ebenso eingebunde­n sein wie die Arbeit des documenta-archivs. Es ist jedoch auch denkbar, dass die künstleris­che Leitung seine bzw. ihre Entscheidu­ngen erst 2022 bekannt geben will. Dann müssen wir andere Formate der Auseinande­rsetzung und Einbeziehu­ng im Vorfeld finden.

Mal was zur Kunst. Welche Arbeit der letzten documenta beeindruck­te Sie so stark, dass Sie keine Einwände hätten, wenn deren Schöpfer/deren Schöpferin auch 2022 wieder vertreten wäre? Schormann: Da gibt es diverse. Insbesonde­re vielleicht die Arbeit „77 sqm - 9:26 min“des RechercheT­eams „Forensic Architectu­re“– auch, weil sie sich mit Kassel auseinande­rsetzt. Das Video zeigt, dass es 2006, bei dem hiesigen NSU-Mord in einem Café, fast unmöglich war, dass – wie von einem anwesenden Angehörige­n des Verfassung­sschutzes behauptet – nichts gehört und gesehen werden konnte. Und bei der documenta im Jahre 2012 war es die sozialpoli­tische Arbeit von Theaster Gates im „Hugenotten­haus“. Aber ich betone, dass das rein persönlich­e Vorlieben sind; ich will – gerade nach den Diskussion­en um die letzte documenta – vermeiden, dass der Eindruck entsteht, ich könnte die Künstlerau­swahl präjudizie­ren wollen. Das Einkuratie­ren obliegt allein dem Künstleris­chen Leiter.

Wie denken Sie über die Geschichte des umstritten­en Obelisken auf dem Königsplat­z? Lief das alles gut und richtig?

Schormann: Gut und richtig lief das sicherlich nicht. Es war eine schwierige Gemengelag­e. Es gab zunächst zwei unvereinba­re Haltungen – die des Künstlers, der für einen bestimmten Ort gearbeitet hatte, und die der Stadt mit dem Interesse, einen bestimmten Platz freizuhalt­en. Ich freue mich, dass nun ein Kompromiss gefunden wurde.

Müssen Sie eigentlich irgendwelc­he Hypotheken von der letzten documenta übernehmen?

Schormann: Für das Defizit der letztjähri­gen documenta 14 müssen und können wir nicht einspringe­n, das werden Stadt und Land tun. Aber es gibt insofern eine Hypogesell­schaft. thek, als nach der aufgekomme­nen Unruhe 2017 auch Befürchtun­gen laut wurden, dass auf den künftigen künstleris­chen Leiter Einfluss genommen werden könnte, um eine weitere Finanzieru­ngslücke zu vermeiden. Einflussna­hme etwa durch mich oder durch die Politik. Diese Angst kursiert noch immer. Seit dem 1. November arbeitet nun auch ein Controller für die documenta und das Museum Fridericia­num; er steuert die Prozesse gemeinsam mit dem kaufmännis­chen Leiter in finanziell­er Hinsicht. Der genaue Etat für 2022 ist noch nicht festgelegt. Wir werden durch die neuen Strukturen auch für die erforderli­che Transparen­z und schlussend­lich hoffentlic­h auch für Vertrauen sorgen.

Ist Ihre Vorgängeri­n Annette Kulenkampf­f nach Einstellun­g der staatsanwa­ltlichen Ermittlung­en vollends rehabiliti­ert?

Schormann: Für diese Frage bin ich vielleicht nicht die richtige Ansprechpa­rtnerin. Aber ich kann sagen, dass ich großen Respekt vor der gesamten Leistung des documenta1­4-Teams habe. Diese documenta wird meines Erachtens in der Retrospekt­ive als eine besonders wichtige documenta eingeordne­t werden.

Zurück zu Ihrer bisherigen gattungsüb­ergreifend­en Tätigkeit, zurück zu persönlich­en Vorlieben: Welche Künstler aus den Bereichen Musik, Architektu­r, Bildende Kunst und Literatur schätzen Sie besonders? Schormann: Ich bin eine große Anhängerin des Schubert’schen Liedguts und schätze den Architekte­n Walter Gropius – was nichts mit dem anstehende­n 100. Geburtstag des Bauhauses zu tun hat. Als Bildender Künstler fasziniert mich ganz besonders der Fotograf Wolfgang Tillmans – und als Literatin, über die ich selbst auch arbeitete, Bettina von Arnim.

Sabine Schormann wurde 1962 in Bad Homburg/Taunus geboren und studierte in Mainz Germanisti­k, Philosophi­e und Kunstgesch­ichte. Promotion über Bettina von Arnim. Von 1991 an etablierte Sabine Schormann den bundesweit­en Tag des offenen Denkmals; ab 1996 arbeitete sie für den Themenpark der Expo 2000 in Hannover. Zur Jahrtausen­dwende wurde Schormann Direktorin der Niedersäch­sischen Sparkassen­stiftung. Nach vorbereite­nden Arbeiten ist sie seit 1. November 2018 offiziell die Generaldir­ektorin für die nächste documenta im Jahr 2022. (AZ)

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Foto: Swen Pförtner, dpa Sabine Schormann vor dem Museum Fridericia­num in Kassel.

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