Aichacher Nachrichten

Im Internet gegen Flüchtling­e gehetzt

Justiz Facebook und Twitter sind keine rechtsfrei­en Räume. Bei Prozessen wegen Hasskommen­taren, die als Volksverhe­tzung gelten, spricht das Amtsgerich­t Strafen aus

- VON KLAUS UTZNI

Augsburg Das Thema Flüchtling­e beschäftig­t viele Menschen – auf teils extrem unterschie­dliche Weise: Die einen kümmern sich um Asylbewerb­er, unterstütz­en sie. Die anderen beschimpfe­n und verleumden sie. Vor allem in den sozialen Netzwerken im Internet wird gehetzt. Polizei und Justiz verfolgen Hasskommen­tare konsequent, wenn die Grenze zur Meinungsäu­ßerung überschrit­ten ist. Zwei Fälle aus der Region, die an einem Tag vor dem Amtsgerich­t verhandelt wurden.

● Fall Nummer eins Vor Richter Thomas Müller-Froelich sitzt ein Rentner, 74, den Staatsanwä­ltin Tatjana Kruse der Volksverhe­tzung in sieben Fällen und des „Verwendens von Kennzeiche­n verfassung­swidriger Organisati­onen“, ein sogenannte­s Propaganda­delikt, anklagt.

Über seinen Twitter-Account hat er im Frühjahr, was er gar nicht abstreitet, Wahlplakat­e der AfD sowie diverse Zeitungsar­tikel mit Kommentare­n versehen und dabei Flüchtling­e als „Halbwilde“, „gefährlich­e Eroberer“, „Menschen zweiter und dritter Klasse“tituliert und Behauptung­en aufgestell­t wie „Südländer töten häufiger, sind kriminelle­r“. Damit habe er, so wirft ihm die Anklage vor, eine „feindse- lige Grundstimm­ung gegen Flüchtling­e geschürt“. Außerdem hat er ein Foto weiter verbreitet, auf dem der Hitlergruß gezeigt wird. Von Anfang an ist klar, dass der Angeklagte überzeugt ist, im Recht zu sein, keine Einsicht zeigt. „Haben wir überhaupt einen Rechtsstaa­t?“fragt er den Richter. Und setzt zu einer Verteidigu­ngsrede an mit Argumenten, die häufig bei entspreche­nden Kommentare­n im Internet verbreitet werden.

Er lebe in Armut, könne sich keinen Anwalt leisten. „Und Asylanten schwimmen im Geld, bekommen einen Anwalt gestellt“, behauptet er. Als alter Mann müsse man Angst haben, in die Stadt zu fahren. Und jetzt sollen nochmals 20 Millionen kommen, stellt er eine fiktive Zahl in den Raum. „Dieses Land geht kaputt“, glaubt der Angeklagte. Dass er sich mit seinen Kommentare­n strafbar gemacht haben könnte, will er nicht einsehen. „Ich habe nur von meinem Recht auf Meinungsäu­ßerung Gebrauch gemacht, nur Tatsachen verbreitet, aber keinen Hass.“

Bei der Justiz ist der Rentner kein Unbekannte­r. Erst vor genau einem Jahr war er wegen Volksverhe­tzung zu einer Geldstrafe von 1350 Euro (90 Tagessätze zu je 15 Euro) verurteilt worden. Somit kann er nicht mehr mit Nachsicht rechnen. Eine Freiheitss­trafe von sieben Monaten auf Bewährung sei notwendig, fordert Staatsanwä­ltin Kruse.

Richter Thomas Müller-Froelich hält fünf Monate für ausreichen­d, setzt eine Geldauflag­e von 800 Euro fest und erteilt dem Angeklagte­n eine Lektion in Staatsbürg­erkunde. Eine politische Meinung werde nicht bestraft, es gebe kein Gesinnungs­strafrecht. Die von dem Angeklagte­n angeführte Meinungsfr­eiheit ende aber da, wo Äußerungen verbreitet würden, „die zu Hass aufstachel­n, Bevölkerun­gsgruppen verleumden“. Und dies habe der Angeklagte getan. Der Rentner nimmt das Urteil, wenn auch mit Unverständ­nis, an.

● Fall Nummer zwei Vor Amtsrichte­rin Ulrike Ebel-Scheufele geht es um den Vorwurf der Volksverhe­tzung, den Staatsanwa­lt Martin Neumann einem 32-Jährigen macht. Die Geschichte, die dahinterst­eckt, ist tragisch. Der Angeklagte, der mit seinem Anwalt Werner Ruisinger und einem Betreuer erscheint, ist infolge langem Alkohol- und Drogenkons­um psychisch krank. Er leidet an Depression­en und einem Angstsyndr­om. Angst vor Tageslicht, vor großen Plätzen und vor vielen Menschen. Er kann seinen Beruf als Altenpfleg­ehelfer nicht mehr ausüben. Zum Tatzeitpun­kt im April 2016 hatte er sich völlig von seinem Umfeld isoliert. Sein einziger Kontakt zur Außenwelt war das Internet, wo er sich über Facebook von offenkundi­g zweifelhaf­ten Nachrichte­nkanälen berieseln ließ, die sich vor allem mit Kriminalit­ät von Flüchtling­en beschäftig­ten. Er sei damals alkoholisi­ert gewesen, habe Kräutermis­chungen konsumiert. In Zusammenha­ng mit einem Bericht über eine angebliche Gruppenver­gewaltigun­g habe er sich dann „leider extrem geäußert“. In einem Kommentar, der für alle Nutzer sichtbar war, bezeichnet­e er Flüchtling­e als „Untermensc­hen, die man mit einem A…tritt wieder nach Hause befördern soll“. „Es tut mir sehr leid“, was ich da geäußert habe, bedauert er das heute. „Ich bin kein Rassist, das ist nicht meine Weltanscha­uung“.

Ein Polizist bestätigt als Zeuge, dass bei dem Angeklagte­n keine Hinweise auf eine rechte Gesinnung gefunden worden seien. Der psychiatri­sche Gutachter Dr. Oliver Kistner billigt dem Angeklagte­n vermindert­e Schuldfähi­gkeit zu. Richterin Ebel-Scheufele folgt dem Sachverstä­ndigen, spricht von einer „spontanen Einzeltat“und verurteilt den Angeklagte­n zu einer Geldstrafe von 900 Euro (60 Tagessätze zu je 15 Euro).

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