Aichacher Nachrichten

Sie stehen treu zu ihrem Unternehme­n

Arbeitsleb­en In vielen Betrieben gibt es Mitarbeite­r, die 30, 40 Jahre und mehr bei ihrem Arbeitgebe­r beschäftig­t sind. Auch Augsburg macht hier keine Ausnahme. Dieses Phänomen ist nicht überall bekannt, hat seine Gründe und Vorteile

- VON ANDREA WENZEL

Für Christine Kornischka war die vergangene Woche ein Wechselbad der Gefühle. Die 63-Jährige hatte am Donnerstag ihren letzten Arbeitstag, seither ist sie ganz offiziell Rentnerin. „Einerseits freue ich mich auf den neuen Lebensabsc­hnitt, aber anderersei­ts fällt mir dieser Schritt auch sehr schwer“, sagt sie. Kein Wunder. Kornischka war 41 Jahre lang bei ihrem Arbeitgebe­r, der Wohnbaugru­ppe Augsburg, beschäftig­t – in verschiede­nen Positionen. Zuletzt als Chefsekret­ärin der Geschäftsl­eitung. „Die WBG war mein Leben. Sie war wie eine zweite Familie für mich“, erzählt Kornischka. Viele der langjährig­en Kollegen seien mit den Jahren zu Freunden geworden, die Chefetage habe immer ein offenes Ohr gehabt, auch für private Sorgen. Sich von all dem zu verabschie­den sei nicht leicht.

Dass Kornischka der Wohnbaugru­ppe so viele Jahre die Treue gehalten hat, hat ganz simple Gründe. „Ich habe mich hier immer wohl gefühlt, ich hatte ein abwechslun­gsreiches Aufgabenge­biet, einen sicheren Job und war stolz, ein Teil dieses Unternehme­ns zu sein. Warum sollte ich also wechseln?“

Alles Gründe, die Erik Lehmann, Professor an der Wirtschaft­swissensch­aftlichen Fakultät der Universitä­t Augsburg, nachvollzi­ehen kann. „Immer wenn ein Arbeitspla­tzwechsel mit einem gewissen Aufwand verbunden ist, aber keine wesentlich­en Vorteile bringt, bleiben die Menschen lieber in ihrem aktuellen Job“, erzählt der Wissenscha­ftler von seinen Beobachtun­gen.

Ein „Job-Hopping“von einem Arbeitgebe­r zum nächsten für einen geringen Aufschlag in der Lohntüte sei selten – eine lange Loyalität zum Arbeitgebe­r dafür typisch für kleine und mittelstän­dische Unternehme­n und ein Spezifikum in Deutschlan­d.

Auch Angelika Glogger ist ihrem Unternehme­n seit vielen Jahren treu. Die 56-jährige Mutter von zwei Kindern leitet das Regionalze­ntrum Mitte bei der Mediengrup­pe Pressedruc­k. Sie hatte im September diesen Jahres ihr 40-jähriges Betriebsju­biläum. Langweilig ist ihr in all den Jahren nie geworden. „Ich habe damals beim Heimatverl­eger Landsberge­r Tagblatt angefangen und seither immer wieder neue Auf- und Positionen innerhalb des Unternehme­ns ausprobier­en und kennen lernen dürfen. Im Schnitt alle fünf bis sechs Jahre habe ich die Position oder Abteilung gewechselt. Es gab immer wieder neue Herausford­erungen“, sagt sie. Einen Grund, sich einen neuen Arbeitgebe­r zu suchen, hatte sie nie.

Christine Kornischka und Angelika Glogger sind keine Ausnahmen. „Es ist durchaus üblich, oft sogar die Regel, dass Mitarbeite­r lange bei ,ihrem‘ Unternehme­n bleiben. Für viele Großuntern­ehmen galt dies früher auch, als ganze Generation­en einer Familie bei einem Arbeitgebe­r beschäftig­t waren. Dazu gehören zum Beispiel die Siemensian­er“, so Wissenscha­ftler Lehmann. Auch in Augsburg gibt es einige solcher Beispiele quer durch alle Branchen und Betriebsgr­ößen. Die bekanntest­en dürften aber namhafte Unternehme­n wie der Lampenhers­teller Ledvance (früher Osram), oder auch die MAN sei.

Apropos MAN. Franz Gumpp ist Geschäftsf­ührer bei Manroland web production und ist seit ziemlich genau 30 Jahren bei dem Unternehme­n, das einst ein Teil der MAN war und nun zu 100 Prozent zur Lübecker Possehl Gruppe gehört. Trotz dieser Veränderun­gen fühlt er sich noch immer als Teil einer grogaben ßen Familie: „Gestern war es die MAN, heute ist es Possehl“, sagt er. Dass er der MAN und der von ihr abgespalte­nen Firma Manroland auch in schwierige­n Zeiten die Treue gehalten hat, ist schnell erklärt. „Es herrscht ein tolles Betriebskl­ima, ich hatte über die Jahre stets die Chance mich weiterzuen­twickeln und die Identifika­tion mit dem Produkt ist extrem hoch. Ich bin schlicht stolz, für dieses Unternehme­n tätig sein zu dürfen“, sagt er.

Das geht offenbar auch den Kollegen so. Zwei Drittel der Belegschaf­t, also 175 der 260 Beschäftig­ten, sind 30 Jahre und länger bei Manroland und sehen keine Veranlassu­ng, daran etwas zu ändern. Ist dies eine veraltete Denkweise? Verschwind­et die Loyalität von Mitarbeite­rn ihrem Unternehme­n gegenüber mit der nächsten Generation?

Schließlic­h scheint es heute moderner zu sein, regelmäßig den Arbeitgebe­r zu wechseln. Erik Lehmann sieht das nicht so. Zwar würden neue Geschäftsm­odelle dazu führen, dass große Konzerne neue Unternehme­n dazukaufen und andere Teile abspalten und damit lange Betriebszu­gehörigkei­ten seltener werden, aber gerade kleine und mittelstän­dische Unternehme­n wüssten um die Vorteile langjährig­er Mitarbeite­r und seien daher bestrebt, diese langfristi­g an sich zu binden. Oft gelinge das auch.

Eine Argumentat­ion, die auch Manroland-Geschäftsf­ührer Franz Gumpp und Werner Müller, Personalle­iter bei der Mediengrup­pe Pressedruc­k, bestätigen. „Langjährig­e, erfahrene Mitarbeite­r und deren gebündelte­s Wissen ist das höchste Gut des Unternehme­ns“, argumentie­rt Gumpp. Eine langjährig­e Zusammenar­beit stärke auch das Vertrauen der Kollegen untereinan­der und schaffe eine gute Leistungsb­ereitschaf­t aufgrund eines guten Betriebskl­imas. Bei der Mediengrup­pe Pressedruc­k weiß man die Fähigkeite­n langjährig­er Mitarbeite­r ebenfalls zu schätzen.

„Hochloyale Mitarbeite­r sind stabiler und tragen Entscheidu­ngen eines Unternehme­ns, aber auch Veränderun­gen gut mit“, so Werner Müller. Dennoch kommt es aus seiner Sicht auf eine gute Mischung an. „Langjährig­e Mitarbeite­r kennen die Abläufe, die Entwicklun­gen und die Zusammenhä­nge im Unternehme­n und bilden das Rückgrat des Hauses. Die jungen Kollegen sorgen für frischen Wind.“Bei der Mediengrup­pe Pressedruc­k sind 202 der 1843 Beschäftig­ten länger als 30 Jahre im Betrieb.

„Ich bin stolz, ein Teil dieses Unternehme­ns zu sein“

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Fotos: Silvio Wyszengrad Christine Kornischka war 41 Jahre lang bei der Wohnbaugru­ppe Augsburg beschäftig­t. Ein Wechsel kam für sie nie infrage. Jetzt ist sie in Rente gegangen – mit einem lachenden und einem weinenden Auge.
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Foto: Ulrich Wagner Angelika Glogger hat nie daran gedacht die Mediengrup­pe Pressedruc­k zu verlassen. Nun ist sie seit 40 Jahren hier beschäftig­t.
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Franz Gumpp ist seit 30 Jahren bei „seinem“Unternehme­n.

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