Gewaltszenen einer Ehe
Staatsoper München Jonas Kaufmann und Anja Harteros sterben als Otello und Desdemona
München Orkan, Blitzschlag überm Meer. Mit dem ersten „Otello“-Akkord, den Kirill Petrenko vom Bayerischen Staatsorchester hart, schneidend, geradezu brachial verlangt, reißt Desdemona die Hände vors Gesicht. Zitternd steht sie nicht am Hafen, sondern in ihrem zypriotischen Palast-Gemach mit hohen Wänden, hohen Türen. Mag sein, dass sie durchs Fenster auf die rollenden Wellen draußen blickt, wo Otello kämpft, doch die Sturmwut greift hier und jetzt Raum vor allem in ihrem Inneren – als ob sie ahnen, fühlen, sehen würde, welch tödliche Katastrophe auf sie zukommt.
Und dann erscheint Otello, dieser Hitzkopf, dem das Blut gerne kocht. Siegreich ist er – über die Türken und das Unwetter gerade eben. Aber wenn Jonas Kaufmann mit dem „Esultate“loslegt, dann klingt das eher etwas fahl, eng, glanzlos, tenoral haushaltend – genauso wie später, Ende des zweiten Akts, sein Racheschwur. Wahrscheinlich war genau dies der Grund, warum das Publikum nach diesem Heimspiel des Münchner Kaufmanns bloß höflich-unverbindlich applaudierte. Nicht, dass der Star schlecht gesungen hätte – seine Stärken lagen in der anfänglichen Einfühlsamkeit gegenüber Desdemona und in der leisen Verzweiflung über den bösen Gang der Dinge –, aber eine wiederkehrende, vokal strahlende Selbstgewissheit braucht es halt auch in Giuseppe Verdis dramma lirico.
Seine Rollenzeichnung befördert freilich das Feldherrenherrliche nicht: Hier agiert mit sauberem Scheitel mehr ein grauer Militärstratege als ein Draufgänger. Und weil sich Desdemona, die von Anja Harteros intensiv, leuchtend, gelegentlich aber auch zu vibratoreich gesungen wird, als eine stand- und wehrhafte Ehefrau erweist, kommt es an der Staatsoper München zu einem Kammerspiel der Verstrickung, zu einem Kammerspiel deutlich entfernt von Shakespeare, aber dicht dran an den Zerfleischungen Ibsens und Strindbergs.
Im Aufmerksamkeitsfokus standen Kaufmann und Harteros. Aber wie es so ist, wenn zwei sich handgreiflich in die Haare geraten: Ein Dritter freut sich. Gerald Finley als Jago lief den beiden bravourös den Rang ab. Indem er stimmlich wie darstellerisch kein BösewichtKlischee gab, sondern ein Aas voller Charme, schmeichelnd vorgetäuschter Hilfsbereitschaft, vollendet schönem Bariton-Legato. Ganz große Klasse – was hernach auch alle fortissimo befanden.
Im klassizistisch aufragenden Bühnensaal (Christian Schmidt) mit zeitgenössisch gewandetem Bühnenpersonal (Kostüme: Annelies Vanlare) inszenierte Amélie Niermeyer klar, unprätentiös und konzentriert auf die nahezu allgegenwärtige Desdemona und deren tragische Passion. Die Sinnbilder und Allegorien, die hier offeriert werden, sind nicht schwer zu verstehen: Desdemonas Spiel mit dem (Kamin-)Feuer, das blumenübersäte Hochzeitsbett als blumenübersätes Aufbahrungsbett, der Schwindel und Taumel, der sie ergreift durch katastrophisch (und videoanimiert) kreisende Innenräume. Es gibt da kein Entfliehen – und wenn sie sich noch so schön ins Lied von der Weide und ins Ave Maria hineinsingt – innig vom Staatsorchester und Petrenko unterlegt. Kaufmann: Applaus. Harteros: Bravos. Finley: Ovationen.
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Nächste Vorstellungen: 28. November, 2., 6., 10., 15., 21. Dezember