Aichacher Nachrichten

Gewaltszen­en einer Ehe

Staatsoper München Jonas Kaufmann und Anja Harteros sterben als Otello und Desdemona

- VON RÜDIGER HEINZE

München Orkan, Blitzschla­g überm Meer. Mit dem ersten „Otello“-Akkord, den Kirill Petrenko vom Bayerische­n Staatsorch­ester hart, schneidend, geradezu brachial verlangt, reißt Desdemona die Hände vors Gesicht. Zitternd steht sie nicht am Hafen, sondern in ihrem zypriotisc­hen Palast-Gemach mit hohen Wänden, hohen Türen. Mag sein, dass sie durchs Fenster auf die rollenden Wellen draußen blickt, wo Otello kämpft, doch die Sturmwut greift hier und jetzt Raum vor allem in ihrem Inneren – als ob sie ahnen, fühlen, sehen würde, welch tödliche Katastroph­e auf sie zukommt.

Und dann erscheint Otello, dieser Hitzkopf, dem das Blut gerne kocht. Siegreich ist er – über die Türken und das Unwetter gerade eben. Aber wenn Jonas Kaufmann mit dem „Esultate“loslegt, dann klingt das eher etwas fahl, eng, glanzlos, tenoral haushalten­d – genauso wie später, Ende des zweiten Akts, sein Racheschwu­r. Wahrschein­lich war genau dies der Grund, warum das Publikum nach diesem Heimspiel des Münchner Kaufmanns bloß höflich-unverbindl­ich applaudier­te. Nicht, dass der Star schlecht gesungen hätte – seine Stärken lagen in der anfänglich­en Einfühlsam­keit gegenüber Desdemona und in der leisen Verzweiflu­ng über den bösen Gang der Dinge –, aber eine wiederkehr­ende, vokal strahlende Selbstgewi­ssheit braucht es halt auch in Giuseppe Verdis dramma lirico.

Seine Rollenzeic­hnung befördert freilich das Feldherren­herrliche nicht: Hier agiert mit sauberem Scheitel mehr ein grauer Militärstr­atege als ein Draufgänge­r. Und weil sich Desdemona, die von Anja Harteros intensiv, leuchtend, gelegentli­ch aber auch zu vibratorei­ch gesungen wird, als eine stand- und wehrhafte Ehefrau erweist, kommt es an der Staatsoper München zu einem Kammerspie­l der Verstricku­ng, zu einem Kammerspie­l deutlich entfernt von Shakespear­e, aber dicht dran an den Zerfleisch­ungen Ibsens und Strindberg­s.

Im Aufmerksam­keitsfokus standen Kaufmann und Harteros. Aber wie es so ist, wenn zwei sich handgreifl­ich in die Haare geraten: Ein Dritter freut sich. Gerald Finley als Jago lief den beiden bravourös den Rang ab. Indem er stimmlich wie darsteller­isch kein BösewichtK­lischee gab, sondern ein Aas voller Charme, schmeichel­nd vorgetäusc­hter Hilfsberei­tschaft, vollendet schönem Bariton-Legato. Ganz große Klasse – was hernach auch alle fortissimo befanden.

Im klassizist­isch aufragende­n Bühnensaal (Christian Schmidt) mit zeitgenöss­isch gewandetem Bühnenpers­onal (Kostüme: Annelies Vanlare) inszeniert­e Amélie Niermeyer klar, unprätenti­ös und konzentrie­rt auf die nahezu allgegenwä­rtige Desdemona und deren tragische Passion. Die Sinnbilder und Allegorien, die hier offeriert werden, sind nicht schwer zu verstehen: Desdemonas Spiel mit dem (Kamin-)Feuer, das blumenüber­säte Hochzeitsb­ett als blumenüber­sätes Aufbahrung­sbett, der Schwindel und Taumel, der sie ergreift durch katastroph­isch (und videoanimi­ert) kreisende Innenräume. Es gibt da kein Entfliehen – und wenn sie sich noch so schön ins Lied von der Weide und ins Ave Maria hineinsing­t – innig vom Staatsorch­ester und Petrenko unterlegt. Kaufmann: Applaus. Harteros: Bravos. Finley: Ovationen.

Nächste Vorstellun­gen: 28. November, 2., 6., 10., 15., 21. Dezember

 ?? Foto: Wilfried Hösl ?? Handgreifl­iche Szenen einer noch sehr jungen Ehe: Anja Harteros als Desdemona und Jonas Kaufmann als Othello.
Foto: Wilfried Hösl Handgreifl­iche Szenen einer noch sehr jungen Ehe: Anja Harteros als Desdemona und Jonas Kaufmann als Othello.

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