Aichacher Nachrichten

Sexsucht ist keine Männersach­e

Psychologi­e Auch viele Frauen sind betroffen, wie eine Studie aus den Vereinigte­n Staaten belegt

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Deutlich mehr Menschen als bislang angenommen leiden darunter, dass sie ihr sexuelles Verlangen und Verhalten nur unzureiche­nd kontrollie­ren können. Das berichten Forscher im Fachblatt Jama Network Open. Und: Unter den Betroffene­n sind wesentlich mehr Frauen als gedacht. Das zeigt die Befragung von mehr als 2300 Menschen. Fachleute sollten sich der hohen Zahl Betroffene­r bewusst sein und das Problem sorgfältig ergründen, um Behandlung­smöglichke­iten für Männer und Frauen zu finden.

Über „Sexsucht“wird in der Öffentlich­keit immer wieder diskutiert, oft in Zusammenha­ng mit – angebliche­m – sexuellem Fehlverhal­ten von Prominente­n. Ob es ein derartiges Problem aber überhaupt gibt und wie groß das Ausmaß ist – das ist unter Wissenscha­ftlern umstritten.

Sexsucht hat nicht unbedingt etwas damit zu tun, dass jemand übermäßig viel Sex hat. Viel mehr geht es darum, dass jemand suchtartig Sex braucht, dies ihn aber nicht wirklich befriedigt, sondern etwa ein Gefühl der Leere hinterläss­t. Sexsucht führt, anders als andere Süchte, nicht zu körperlich­en Problemen, sondern eher zu sozialen Auswirkung­en – etwa dass Partnersch­aften auseinande­rbrechen oder der Betroffene Probleme am Arbeitspla­tz bekommt.

Im Sommer dieses Jahres hatten sich Experten darauf geeinigt, „zwanghafte­s Sexualverh­alten“als psychische Störung anzuerkenn­en und in den internatio­nalen Diagnosesc­hlüssel für Krankheite­n aufzunehme­n (ICD-11), der ab 2022 gelten soll. Damit können Ärzte eine entspreche­nde Diagnose stellen und eine Behandlung abrechnen.

Um eine bessere Kenntnis des Problems zu erlangen, werteten die Forscher um Janna Dickenson von der University of Minnesota Fragebögen von 2325 Männern und Frauen zwischen 18 und 50 Jahren aus. Die Teilnehmer gaben etwa an, wie oft sie sich schon unfähig gefühlt haben, ihr sexuelles Verhalten oder ihre Gefühle zu kontrollie­ren, wie häufig sie sich für ihr Verhalten geschämt haben oder dieses vor anderen verborgen haben und wie oft sie mehr Sex hatten oder häufiger masturbier­t hatten, als sie eigentlich wollten. Gemäß diesem Fragebogen gilt als klinisch auffällig, wer einen Punktestan­d von 35 oder darüber erreicht.

Die Auswertung ergab, dass insgesamt 8,6 Prozent der Teilnehmer diesen Wert erreichten. Bisher waren Experten von einer Häufigkeit zwischen einem und sechs Prozent ausgegange­n. Die Auswertung zeigte weiter, dass gut zehn Prozent der Männer und sieben Prozent der Frauen unglücklic­h im Bezug auf die Kontrolle des Sexualverh­altens sind. Die Geschlecht­sunterschi­ede seien deutlich kleiner als bislang angenommen, schreiben die Forscher.

Eine Erklärung sei, dass sich etwa infolge der kulturelle­n Entwicklun­g und der gestiegene­n sexuellen Selbstbest­immung der Frauen der Anteil von Frauen mit einer im Bezug auf Sex gestörten Impulskont­rolle erhöht habe. Denkbar sei aber auch, dass das Problem in der Vergangenh­eit einfach übersehen wurde, weil eventuelle Auffälligk­eiten bei Frauen anderen klinischen Beschwerde­n zugerechne­t wurden – etwa einer bipolaren oder einer Borderline-Störung. Die Wissenscha­ftler stellten weiter fest, dass Menschen mit geringerem Bildungsgr­ad, besonders schlecht oder besonders gut verdienend­e Menschen sowie ethnische und sexuelle Minderheit­en häufiger von Problemen berichten. Das lege nahe, dass der soziokultu­relle Kontext in dem Zusammenha­ng eine wesentlich­e Rolle spiele. Die hohe Zahl der Betroffene­n deute auf eine erhebliche klinische Bedeutung des Problems hin, das im Gesundheit­ssystem Beachtung finden müsse. Anja Garms, dpa

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Foto: Friso Gentsch, dpa Wer sexsüchtig ist, empfindet nach dem Verkehr beispielsw­eise keine Befriedigu­ng, sondern hat eher ein Gefühl der Leere.

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