Aichacher Nachrichten

Warum die Chinesen den Kuka-Chef vertreiben

Robotik Am Ende musste Till Reuter gehen, weil die asiatische­n Investoren vor allem auf die Zahlen schauen. Der Abschied des Managers von dem geliebten Unternehme­n und seinen Beschäftig­ten fällt emotional aus. Er lädt bis zu 1550 Mitarbeite­r zu einem Eish

- VON STEFAN STAHL

Augsburg Armin Kolb hat am zurücklieg­enden Wochenende wenig geschlafen, vielleicht vier Stunden. Er ist Kukaner – durch und durch. So nennen sich die Beschäftig­ten des Augsburger Roboterbau­ers Kuka in einer Mischung aus schwäbisch­em Maschinenb­auer-Stolz und Trotz. Trotz, weil sie es immer wieder allen gezeigt und sich aus misslichen Situatione­n wie der existenzie­llen Krise des Unternehme­ns im Jahr 2009 befreit haben.

Kukaner sind Entfesselu­ngskünstle­r. Was probierten sie nicht schon alles aus, seit Johann Josef Keller und Jakob Knappich im Jahr 1898 die Firma als Acetylenwe­rk für Beleuchtun­gen in Augsburg gegründet haben. Aus den Anfangsbuc­hstaben der beiden Start-upUnterneh­mer formte sich auch der derart eingängige Name Kuka. So wurden in dem Haus einst Müllfahrze­uge und die Kleinstsch­reibmaschi­ne „Princess“hergestell­t.

Letztlich waren es aber überragend­e Fähigkeite­n in der Schweißund schließlic­h der Robotertec­hnik, die den Kukanern ihr Selbstvert­rauen einflößten. Armin Kolb, den Augsburger Betriebsra­tsvorsitze­nden und Aufsichtsr­at der Firma, nennen viele nur „Bobby“. Sein Wort zählt in dem Unternehme­n bis hinauf in die Vorstandse­tage zu Till Reuter. Doch der Arbeitnehm­ervertrete­r muss ab Dezember ohne seinen vertrauten Ansprechpa­rtner in der Kuka-Spitze auskommen. Der Vorstandsc­hef gibt das Amt nach fast zehn Jahren vorzeitig auf, obwohl sein Vertrag noch bis 2022 laufen würde. Zuletzt hat der TopManager 2017 rund 2,55 Millionen Euro an Gesamtverg­ütung erhalten, wie aus dem Geschäftsb­ericht hervorgeht. Ob und in welcher Höhe ihm sein Ausscheide­n versüßt wird, bleibt offen.

Seit Montag ist klar: Reuter beendet sein Vorstandsa­mt „im Einvernehm­en mit dem Aufsichtsr­at“, der je zur Hälfte aus Arbeitgebe­r- und Arbeitnehm­ervertrete­rn besteht. Kolb gehört wie sein Aufsichtsr­atskollege Michael Leppek, der Augsburger IG-Metall-Chef ist, dem Gremium an. Beide geben sich zurückhalt­end und verweisen auf die Vertraulic­hkeit der Diskussion­en innerhalb dieses Gremiums.

Kolb jedenfalls lobt den scheidende­n Unternehme­ns-Chef und stellt ihn auf eine Ebene mit den FirmenLege­nden Keller und Knappich: „Gäbe es eine Kuka-Ruhmeshall­e, müsste Reuter darin Aufnahme finden“, meint er euphorisch und fügt hinzu: „Er hat die letzten zehn Jahre eine Performanc­e hingelegt, die unbeschrei­blich ist.“Auch IG-MetallMann Leppek sagt: „Reuter hat einen tollen Job gemacht. Wir sind ihm zu Dank verpflicht­et. Ich wünsche ihm alles Gute.“

Aber warum muss ausgerechn­et ein Manager, dem von Natur aus streitbare Gewerkscha­fter Kränze flechten und Statuen widmen wollen, gehen? Reuter hat ja eine erstaunlic­he Wandlung in seiner Kuka-Zeit durchlaufe­n. Der Jurist und Investment­banker schaffte es nämlich, sich rasch in die Welt der Technik einzuarbei­ten und begeistert über die Zukunft der Robotik zu Der Mann der Zahlen und Paragrafen wurde zum „Mister Kuka“, einem echten Kukaner, der wie Kolb und Leppek mit Krawatte in der Firmenfarb­e Orange zur Identifika­tionsfigur innerhalb des Unternehme­ns heranreift­e.

Der inzwischen 50-jährige Reuter hatte sichtlich Spaß an seinem Job. Er spielte auf nationaler und internatio­naler Ebene mit, traf immer wieder Bundeskanz­lerin Angela Merkel, bewahrte die Firma 2009 in Zeiten der Finanzmark­tkrise vor dem Absturz und lieferte ein ums andere Mal bessere Wirtschaft­szahlen. Einem solchen Überfliege­r mit Bodenhaftu­ng müssten doch auch die chinesisch­en Eigentümer des Haushaltsg­eräte-Riesen Midea goldene Siegerkrän­ze aufs bebrillte Haupt setzen.

Doch Undank, wie es sich schon abermillio­nenfach auf dieser Erde zugetragen hat, ist eben der Welten Lohn. Von dem fatalen Grundprinz­ip wird auch für einen so lange in seiner Karriere von der Sonne wunderbar ausgeleuch­teten Manager keine Ausnahme gemacht. Zu den Gründen für Reuters dann doch überrasche­nden und raschen Abgang heißt es von den Arbeitnehm­ervertrete­rn im Aufsichtsr­at wie Leppek und Kolb nur: „No comment!“Eben kein Kommentar.

Reuter selbst schien sich in den vergangene­n Wochen rarer gemacht zu haben. Der Grund hierfür ist nun klar. Offiziell sprechen weder Kuka- noch Midea-Verantwort­liche darüber. Doch nach Informatio­nen Zeitung ist es zu grundsätzl­ichen Differenze­n zwischen dem Eigentümer-Vertreter Andy Gu und Reuter über die Ausrichtun­g der Geschäftsp­olitik gekommen. Eine mit der Branche bestens vertraute Person, die namentlich nicht genannt werden will, sagt: „Die Chinesen schauen nur auf die Zahlen.“

Das ist von anderer Seite auch zu hören. Kuka ist aber ein innovation­sgetrieben­es Unternehme­n, in dem sich nicht jeder neu eingeschla­gene Weg schnell rentiert. Wer die Forschungs­labore der Firma besucht, merkt, hier arbeiten Spezialist­en für Kunden wie etwa den Drogerie-Riesen dm an neuen automatisi­erten Lösungen zum Einräumen von Regalen. Da findet sich der spezielle Kukaner Tüftler-Geist, der das Unternehme­n groß gemacht hat. Am Ende sind es also nach diespreche­n. ser plausibel klingenden Lesart kulturelle Differenze­n, die zur Entfremdun­g von Reuter und Gu geführt haben. Dazu beigetrage­n hat wohl auch, dass in China die Geschäfte nicht wie erhofft laufen.

Dass der Konzern zuletzt eine Gewinnwarn­ung veröffentl­ichen musste, könnte der Tropfen auf den heißen Stein der Chinesen gewesen sein. Aber diese Korrektur verwundert nicht, ist Kuka doch ein wichtiger Autozulief­erer. Und FahrzeugGr­ößen wie BMW und Daimler mussten selbst ihre Prognosen revidieren. Es trifft Reuter also kein Verschulde­n an der Branchenla­ge.

Dennoch geht er. Wie es für ihn beruflich weitergeht, ist noch unklar. Reuter ist ein gefragter Manager. Wie ein Insider erzählt, soll er auch während seiner Kuka-Zeit verlockend­e Avancen bekommen haunserer ben. Doch Reuter blieb, zu sehr hing sein Herz an dem Unternehme­n. Unlängst ist der Noch-KukaChef zum zweiten Mal Vater geworden. Da ist es sicherlich schön, mal mehr Zeit für Frau und Kinder, die in der Schweiz leben, zu haben.

Am Montag, wohl dem schwersten Tag seiner berufliche­n Karriere, wäre es verständli­ch, wenn sich Reuter abschotten würde. Aber er ist ein verlässlic­her Mensch, der auch in dunklen Zeiten zurückruft. Im Gespräch sagt der sonst immer gut gelaunte Mann, der auch ein exzellente­r Motivation­strainer wäre: „Ich gehe nicht gern. Ich bin traurig, es geht aber weiter.“

Tiefere Einblicke in sein persönlich­es Befinden will Reuter nicht geben. Ihm ist es vielmehr wichtig, wie es jetzt all seinen Mitarbeite­rn ergeht. Auch sorgt er sich fast väterlich um das Befinden der Aufsichtsr­äte aus dem Arbeitnehm­erkreis: „Sie haben zu mir gestanden bis zuletzt.“Die Beschäftig­ten, ist Reuter überzeugt, hätten alles für ihn gemacht. Am Ende, meint er, habe bei ihm aber die Vernunft über das Herz gesiegt: „So kam es zu der Lösung, die ein einvernehm­liches Ausscheide­n vorsieht.“

Wie die Aufsichtsr­äte Kolb und Leppek ist Reuter zufrieden, dass sein bisheriger Finanzvors­tand Peter Mohnen, ein im Unternehme­n äußerst geschätzte­r Manager, KukaChef wird. Das sei, sagen Reuter, Leppek und Kolb, eine gute Nachricht für die Beschäftig­ten und Augsburg. Insgeheim gibt es in KukaKreise­n die Hoffnung, aus dem zunächst als Interims-Vorstand gedachten Mohnen könne ein dauerhafte­r Kuka-Chef werden. Das gleiche Schicksal ist übrigens einst Reuter widerfahre­n. Damals kämpfte der heutige IG-Metall-Vorstand Jürgen Kerner als Augsburger Chef der Gewerkscha­ft an Reuters Seite für Kuka und die Beschäftig­ten. Gegenüber unserer Redaktion betont der IGMetall-Mann: „Wir brauchen eine starke deutsche Persönlich­keit an der Kuka-Spitze, keinen Statthalte­r aus China.“Deshalb scharen sich die Kukaner jetzt hinter Mohnen. Mancher mag beten, dass er als starker Mann ihre Interessen gegenüber den Asiaten wahren kann.

Dann heben die Arbeitnehm­erVertrete­r das erneute Bekenntnis der Midea-Leute hervor, es bleibe bei dem Investoren­vertrag von 2016. Nach dem bis Ende 2023 geltenden Abkommen sind der Standort Augsburg und die Arbeitsplä­tze geschützt. Reuter jedenfalls ist immer noch Kukaner: „Ich werde weiter auf das Unternehme­n schauen. Einmal orange, immer orange.“

Es muss eine enge Bindung geben zwischen ihm und den Beschäftig­ten. Auf einer Mitarbeite­rversammlu­ng am Montag zeigt er den Kukanern, wie sehr er an ihnen hängt. Reuter hat aus eigener Kasse rund 1550 Karten für das Spiel der Deutschen Eishockey-Liga an diesem Dienstag zwischen Augsburg und

Gewerkscha­fter überschlag­en sich mit Lob

Am Ende flossen auch Tränen

Wolfsburg gekauft. Er hofft, dass möglichst viele der Mitarbeite­r seiner Einladung folgen, und will sich mit dem Spiel bei ihnen bedanken.

Wenn Reuter all das erzählt, wird deutlich, wie schwer ihm der Abschied fällt. Am Wochenende, so lässt sich recherchie­ren, ist bei ihm und bei Aufsichtsr­äten die ein oder andere Träne geflossen. Das müssen nervenaufr­eibende Tage gewesen sein. Am Ende steht die bittere Erkenntnis, dass Widerstand gegen den Investor Midea, der 94,6 Prozent an Kuka hält, sinnlos ist. Die Herren der Zahlen führen ja auch an, der Kuka-Aktienkurs sei von einst schwindele­rregenden Höhen über 200 Euro auf unter 70 Euro abgestürzt. Die Nachricht, dass Reuter ausscheide­t, hat jedenfalls den Kurs des Papiers nicht im Sinne der Chinesen nach oben befördert. Am Montag gab der Wert nach. Die Börsianer scheinen Mister Kuka auch einige Tränen nachzuwein­en.

Nun hat Reuter Zeit, all das zu verarbeite­n. „Ich schaue, was ich daraus lernen kann“, meint er. Was ihm richtig gutgetan habe, „ist der Rückhalt der Mitarbeite­r bis zur letzten Sekunde“. Jetzt gehe es darum, das Beste für Kuka zu machen und Mohnen zu unterstütz­en: „Er findet ein tolles Team vor.“Reuter will seinen Kollegen bei der neuen Aufgabe unterstütz­en. Im Verlauf des Gesprächs findet er seinen Humor wieder: „Ich ziehe am Nikolaus-Tag die Chefmütze aus und reiche sie an Mohnen weiter.“

Dazu lässt Midea auch einen Verantwort­lichen etwas sagen. Thomas Empt, der für das Unternehme­n kommunizie­rt, beteuert: „Mohnen genießt das volle Vertrauen und die volle Unterstütz­ung von Midea.“Die Strategie werde von Kuka entwickelt und umgesetzt. Mehr will er nicht sagen.

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Foto: Silvio Wyszengrad 13. März 2015: Großer Moment für Kuka-Chef Till Reuter (rechts). Angela Merkel ist zu Gast beim Augsburger Roboterbau­er. Reuter führt die Bundeskanz­lerin durch die Hallen und zeigt ihr einige Produkte.
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Foto: Ulrich Wagner Ein Blick ins Innenleben von Kuka: So entstehen in Augsburg die Roboter in ihrem markanten Orange.

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