Aichacher Nachrichten

Letzter Tango, letzter Kaiser

Nachruf Bernardo Bertolucci war der letzte der großen Autorenfil­mer des italienisc­hen Nachkriegs­kinos. Einer seiner Filme wurde zum Skandal – und ist es bis heute

- VON STEFAN DOSCH

Mit neuen Filmen hat Bernardo Bertolucci in seinen letzten Jahren nicht mehr von sich reden gemacht, wohl jedoch mit einem alten. Mit einer einzigen Szene daraus, um genau zu sein: Jener Sequenz in „Der letzte Tango in Paris“(1972), in welcher der 47 Jahre alte Marlon Brando der damals 19-jährigen Maria Schneider die Anweisung gibt, Butter aus der Küche zu holen – um die zurückgeko­mmene junge Frau dann anal zu vergewalti­gen. Die Szene, beklagte sich Maria Schneider später, sei nicht mit ihr abgesproch­en, sei allein zwischen den beiden Männern verabredet gewesen. Und bis heute empören sich viele mit der Schauspiel­erin über diese Männerkung­elei, zuletzt ihre Cousine, die ein Buch über Maria Schneiders Leben veröffentl­icht hat.

Tatsache ist, dass die Schauspiel­erin seit dem „Letzten Tango“oftmals sehr eindeutige Rollenange­bote erhielt und mit Alkohol und Drogen zu kämpfen hatte. Allerdings hat sie selbst bestätigt, dass der Sex im Film kein realer, sondern gespielt gewesen sei. Und Bertolucci bestand später darauf, dass die Szene sehr wohl im Drehbuch gestanden habe und nur die Sache mit der Butter allein zwischen ihm und Brando besprochen gewesen sei. Er habe, rechtferti­gte er sich, ihre Reaktion „als Mädchen, nicht als Schauspiel­erin“mit der Kamera einfangen wollen.

Der „Letzte Tango“war ein Skandal, schon als er anfangs noch in zensierter Fassung im Kino lief. Seither war Bertolucci einem größeren Publikum bekannt, und von da an verfügte er über genügend Produzente­ngeld und die Möglichkei­t, mit internatio­nalen Stars zu drehen. Seine nachfolgen­den Projekte sind dann auch eine Spur kommerziel­ler ausgefalle­n, was viele der Intellektu­ellen, die bis dahin seine Gefolgscha­ft bildeten, die Nase rümpfen ließ. Zuvor war Bertolucci einer der ihren, ein Filmemache­r, der seine ersten cineastisc­hen Schritte bei einer Galionsfig­ur des Klassenkam­pfes unternomme­n hatte, bei der italienisc­hen Literaten- und Regie-Legende Pier Paolo Pasolini.

Bertolucci hat wiederholt Wandlungen vollzogen. 1941 geboren, wuchs er vor den Toren Parmas in ländlicher Umgebung auf. Wie stark der Gegensatz zum großstädti­schen Leben war, erfuhr er, als er als Jugendlich­er mit seinen Eltern nach Rom zog. Den Konflikt zwischen bäuerliche­m und bürgerlich­em Lebensentw­urf machte er zum Thema seines Fünfstünde­rs „1900“, in dem Stars wie Burt Lancaster, Robert De Niro und Gérard Dépardieu mitwirkten. Bertolucci selbst wandte sich in den 1960er Jahren dem Marxismus zu, träumte wie jeder Linksorien­tierte vom gesellscha­ftlichen Umbruch und gab Jahrzehnte später seinem filmischen Rückblick auf die Pariser 68er-Unruhen doch den bezeichnen­den Titel „Die Träumer“.

Wie das Politische sich mit dem Einzelschi­cksal verschränk­t, hat er in seinem erfolgreic­hsten Film erkundet. „Der letzte Kaiser“erzählt die Geschichte des letzten Thronfolge­rs von China, der schon bald abdanken und unter den Kommuniste­n eine Umerziehun­g erdulden muss. Bertolucci erhielt eine Drehgenehm­igung in Pekings Verbotener Stadt; bei der Oscar-Verleihung 1988 gab es für das bildgewalt­ige Opus satte neun Auszeichnu­ngen. Nicht weniger wuchtig gelang zwei Jahre später die Verfilmung von Paul Bowles’ Roman „Himmel über der Wüste“, eine verstörend aus der Realität ins Unwirklich­e trudelnde

Filme über Werden und Vergehen, Liebe und Hass, Sex und Gewalt

Variation der großen Bertolucci­Themen Werden und Vergehen, Liebe und Hass, Sex und Gewalt.

Bernardo Bertolucci war der letzte der großen italienisc­hen FilmAutore­n der Nachkriegs­zeit: Antonioni, Visconti, Fellini, Pasolini. Seine Werke waren komplexe Erzeugniss­e, in die Zitate aus anderen Filmen eingefloch­ten waren, abgelichte­te Kunstwerke zusätzlich­e Beziehungs­linien herstellte­n und der Tonspur keineswegs nur eine begleitend­e Funktion zukam. Damit seine Filme trotzdem nicht gedankenüb­erfrachtet wirkten, animierte er seine Schauspiel­er zur Improvisat­ion, zur Aktion aus dem Moment heraus – wobei er, siehe den „Letzten Tango“, einmal zu weit gegangen ist. Am Montag ist Bernardo Bertolucci, der zuletzt im Rollstuhl saß, im Alter von 77 Jahren in Rom gestorben.

 ?? Foto: dpa ?? Bernardo Bertolucci (Parma 1941 – 2018 Rom).
Foto: dpa Bernardo Bertolucci (Parma 1941 – 2018 Rom).

Newspapers in German

Newspapers from Germany