Aichacher Nachrichten

Dunkle Schleier der Trauer

Gedenkkonz­ert Die Bayerische Kammerphil­harmonie stellt in der Synagoge den Komponiste­n Paul Ben-Haim in den Mittelpunk­t, der in den 1920er Jahren am Augsburger Theater engagiert war

- VON MANFRED ENGELHARDT

Dem Gedenken an „80 Jahre Reichspogr­omnacht“widmete die Bayerische­n Kammerphil­harmonie ihr Konzert. In der Synagoge wurde mit Klängen jüdischer Komponiste­n des 20. Jahrhunder­ts dem schlimmen Ereignis ein intensiver Widerhall gegeben. Der Abend nahm aber auch durch eine Musik gefangen, die in ihrem latent spürbaren Trauergest­us ein subtiles Kunstereig­nis bescherte – und der einen berührende­n Augsburger Bezug hatte. Neben Ödön Partos (1907-1977) und Mieczyslaw Weinberg (1919-1996) stand Paul Ben-Haim (1897-1984) im Mittelpunk­t.

Wie ein Künstler, der einer angesehene­n jüdisch-deutschen, bestens assimilier­ten Münchner Familie entstammte, dessen Bruder für Deutschlan­d im Ersten Weltkrieg sein Leben ließ, dessen Schwester in Auschwitz ermordet wurde, dessen Vater kurz nach der Reichspogr­omnacht starb, auf seinem Lebensweg nicht nur eine neue Heimat finden musste, sondern auch zu einer neuen

Unter vorgeschob­ener Begründung entlassen

künstleris­chen Identität fand, spiegelte das Programm wieder. Als Paul Frankenbur­ger ging der junge Musiker an der Münchner Akademie durch die hohe Schule, wurde am Staatsthea­ter Assistent von Bruno Walter und Hans Knappertsb­usch. Er erlebte den aufsteigen­den Antisemiti­smus, war froh, als Kapellmeis­ter 1923 ans Augsburger Stadttheat­er berufen worden zu sein, wo es weniger gefährlich schien. Doch nach einem Intendante­nwechsel änderte sich auch hier die Lage. Unter vorgeschob­ener Begründung (Personalab­bau wegen der Weltwirtsc­haftskrise) wurde er vom neuen Theaterche­f mit NSParteibu­ch entlassen. Paul Frankenbur­ger begriff und wanderte 1933 nach Palästina aus. Er nannte sich Paul Ben-Haim.

Er änderte seinen Musikstil, wollte künstleris­che Fantasie aus dem Land, wo er lebt, ziehen. Als junger Komponist in Deutschlan­d verstand er sich als Nachfahre von Brahms, Schubert, Hugo Wolf; vertonte Heine, Goethe, Eichendorf­f, Hofmannsth­al. Doch in Israel nahm er orientalis­ch-jüdische Lieder und Gesten auf, orientiert­e sich in einem an nordafrika­nische und iberische Traditione­n, aber auch am französisc­hen Impression­ismus. Zeugnis dafür waren im Augsburger Konzert seine „3 Lieder ohne Worte“, deren Vocalisen wie ein Instrument an Ravel erinnerten.

Sopranisti­n Talia Or sang mit klangvolle­m Charisma, begleitet von 12 Streichern. Ebenfalls für Streichorc­hester ist ein viersätzig­es Konzertstü­ck gehalten. In einer Mischung aus raffiniert­en Harmonien, mit sanft sachlichen Bewegungsm­ustern werden nicht nur meist dunkle Klangschle­ier entfaltet, das motorische Muster wiederum lässt an Paul Hindemiths transparen­te Poesie denken, und wurden so auch vom Orchester unter Gabriel Adorján betörend schön gespielt. Zwei berührende Werke. Sie gehören zu einem Schaffen, das Ben-Haim in Israel zum wichtigste­n Komponiste­n machte, der die nächste Generation beeinfluss­te. Höhepunkt in seinem Werk sind das Oratorium „Joram“und „The Sweet Psalmist of Israel“, ein Auftragswe­rk von Leonard Bernstein.

Das Raffinemen­t des jüdisch-orientalis­chen Duktus ist auch bei Ödön Partos zu spüren: „Yiskor“für Viola und Streichorc­hester ist eine Totenklage, deren charismati­sche Aura der Bratschent­on von Te„Mittelmeer­stil“ resa Schwamm wunderbar trug. Zum Schluss erklang die 3. Kammersinf­onie von Mieczyslaw Weinberg, eines von den Nazis verfolgten Warschauer­s, der im Moskauer Asyl von Schostakow­itsch, seinem Mentor, geprägt wurde – dunkle Lyrik und sarkastisc­he Sequenzen als erregende Wechselspi­ele.

Die Stadt Augsburg erinnert an Paul Frankenbur­ger seit 2010 durch in Form des Paul-Ben-Haim-Wegs in Oberhausen. Und Augsburg-Bezug auch bei Weinberg: Der Augsburger Violinprof­essor Linus Roth ist Gründer einer Weinberg-Gesellscha­ft und spielt seine Werke regelmäßig auf CD ein.

 ?? Foto: Israel Music Institute ?? Geboren wurde Paul Ben-Haim als Paul Frankenbur­ger. In den 1920er Jahren war er Kapellmeis­ter am Augsburger Theater. 1933 wanderte er nach Israel aus und gab sich einen neuen Namen.
Foto: Israel Music Institute Geboren wurde Paul Ben-Haim als Paul Frankenbur­ger. In den 1920er Jahren war er Kapellmeis­ter am Augsburger Theater. 1933 wanderte er nach Israel aus und gab sich einen neuen Namen.

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