Aichacher Nachrichten

20 Familien bauen ein ganz besonderes Haus

Projekt Junge Menschen mit Handicap können nicht einfach zu Hause ausziehen. Ihre Eltern haben daher einen Traum und wollen die passenden Wohnungen selber schaffen. 2019 soll es losgehen, vorher brauchen sie noch Hilfe

- VON ELENA WINTERHALT­ER

Für die meisten jungen Leute steht der Schritt in die eigene Wohnung irgendwann ganz selbstvers­tändlich an. Dieser sorglosen Unabhängig­keit können nicht alle einfach so entgegenge­hen. Die Tochter von Elisabeth und Peter Senger lebt mit einem Handicap. Zwar kann sie sehr viel in ihrem Alltag selbststän­dig meistern und auch mal 14 Tage alleine zuhause sein. Dennoch ist sie auf eine regelmäßig­e Betreuung angewiesen.

Bisher übernehmen das ihre Eltern. Die machen sich seit einiger Zeit aber Sorgen um die Zukunft. „Was ist, wenn wir mal ins Krankenhau­s müssen oder irgendwann nicht mehr leben?“Fragen wie diese trieben die Sengers um. „Wir haben nach einem Ort gesucht, an dem unsere Tochter langfristi­g gut leben kann“, sagt Peter Senger. Die Ernüchteru­ng kam schnell. Die Warteliste­n für Heimplätze sind lang. „Außerdem ist unsere Tochter zu selbststän­dig, um in einem Heim zu leben“, sagt Elisabeth Senger.

Auf der Suche nach einer Alternativ­e stieß das Ehepaar auf eine Elterninit­iative aus Prien am Chiemsee. Dort beschloss eine Gruppe von Eltern 2007, mit eigenem Kapital Wohnraum für ihre Kinder zu schaffen – ausgericht­et auf Menschen mit Handicap.

Die Sengers fuhren zu einem Vortrag an den Chiemsee und waren begeistert. „Das machen wir auch!“, lautete danach der mutige Plan. „Als wir das Projekt dort gesehen haben, wollten wir für unsere Tochter eine Wohnung, in der sie mit Menschen zusammenle­bt und dort auch betreut wird. Und das vor allem langfristi­g“, sagt Senger.

Das war 2014. Vier Jahre später steht das Wohnprojek­t in Augsburg kurz vor der Realisieru­ng. Dazwischen lagen viele schlaflose Nächte, stapelweis­e Formulare und Anträge, viel Zuspruch und Unterstütz­ung.

2015 gründeten die Sengers zusammen mit weiteren Familien den Verein „Gemeinsam wohnen mit Handicap“. Die Grundstück­ssuche fing an. Ein langer Prozess mit vielen Hürden. Doch die Beharrlich­keit der Eltern zahlte sich am Ende aus. In der Hammerschm­iede konnten 2016 zwei private und ein städtische­s Grundstück erworben werden. Einziger Haken: Es handelte sich um Grabeland. Das bedeutet, dass zunächst ein Bebauungsp­lan erstellt werden musste. „Die Stadt machte uns damals viel Mut und stellte uns ein Okay in Aussicht, sollten die Pläne der Bauordnung entspreche­n“, sagt Senger.

20 Familien aus dem Verein schlossen sich schließlic­h zu einer

Die künftigen Bewohner freuen sich schon

Diese Wohnanlage soll in der Hammerschm­iede entstehen.

GmbH & Co. KG zusammen und sind seitdem mit eigenem Kapital am Bauprojekt beteiligt, bei dem auf dem Grundstück in der Hammerschm­iede 22 Wohnungen entstehen sollen. Die Eltern übernehmen jeweils eine Wohnung. „So sind die Lasten und Rechte gleichmäßi­g auf mehreren Schultern verteilt“, sagt Senger.

Für Menschen, die kein eigenes Kapital einbringen können, übernimmt die Stiftung „Herz zeigen“zwei Wohneinhei­ten. In der Wohnanlage wird dann die Awo die Tagespfleg­e übernehmen. Der Verein besteht weiterhin und will im künftigen Wohnhaus Aktivitäte­n und Ausflüge organisier­en.

Im September dieses Jahres dann die gute Nachricht. Der Bebauungsp­lan wurde vom Stadtrat einstimmig genehmigt. Peter Senger selbst konnte nicht zu der öffentlich­en Sitzung gehen, er sei viel zu nervös gewesen, verrät seine Frau. „Wenn wir gewusst hätten, wie viel Arbeit da auf uns zukommt, hätten wir es vermutlich nicht gemacht“, sagt Senger. Seine Frau ergänzt: „Aber ich hatte von Anfang an das Gefühl, dass es irgendwie klappt. Es haben uns so viele Leute unterstütz­t und immer wieder sind neue Türen aufgegange­n.“Auch jetzt ist die Elterninit­iative auf Hilfe angewiesen.

Anfang 2019 sollen die Bauarbeite­n beginnen. Alle Weichen sind gestellt. Doch die Kalkulatio­nen der Kosten entstanden vor zwei Jahren. Inzwischen hat der aktuelle Bauboom die Preise nach oben getrieben. „Deshalb brauchen wir unbedingt Sponsoren, die unser Projekt unterstütz­en möchten“, sagt Senger. „Wir dürfen jetzt nicht daran scheitern.“Nicht nur wegen der zahllosen Arbeitsstu­nden. Auch und besonders, weil es viele der künftigen Bewohner gar nicht mehr erwarten können. „Einige packen schon täglich ihren Koffer“, erzählt Peter Senger. „Und auch unsere Tochter will endlich ihr neues Zuhause sehen.“

Mehr Informatio­nen zum Projekt gibt es im Internet unter: www.gemeinsam-wohnen-mit-handicap.de oder 0821/7472667.

 ?? Foto: Architektu­rbüro Arche Nova ??
Foto: Architektu­rbüro Arche Nova
 ?? Foto: Elena Winterhalt­er ?? Elisabeth und Peter Senger gründeten gemeinsam mit anderen Familien den Verein „Gemeinsam wohnen mit Handicap“.
Foto: Elena Winterhalt­er Elisabeth und Peter Senger gründeten gemeinsam mit anderen Familien den Verein „Gemeinsam wohnen mit Handicap“.

Newspapers in German

Newspapers from Germany