Aichacher Nachrichten

Debatte um Leben und Tod

Gesundheit­spolitik Der Bundestag diskutiert über die Frage, ob jeder automatisc­h Organspend­er sein soll, solange er nicht widerspric­ht

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Berlin Soll in Deutschlan­d jeder Organspend­er werden, der nicht ausdrückli­ch widerspric­ht? In einer nachdenkli­chen und emotionale­n Debatte warnten zahlreiche Abgeordnet­e verschiede­ner Fraktionen im Bundestag am Mittwoch vor entspreche­nden Plänen von Gesundheit­sminister Jens Spahn. Der CDU-Politiker selbst warb angesichts von rund 10000 Menschen, die auf Organe warten, für eine Umstellung auf die sogenannte „doppelte Widerspruc­hslösung“.

Knapp 40 Parlamenta­rier melden sich in fast drei Stunden zu Wort, jeder hat vier Minuten, frei von Fraktionsv­orgaben. Einig sind sich die meisten, dass Handlungsb­edarf besteht. Aller Aufklärung zum Trotz gehen die Organspend­en seit 2012 herunter und sanken 2017 auf einen Tiefpunkt von nur noch 797. Für dieses Jahr zeichnet sich immerhin wieder ein Anstieg ab – bis Mitte November gab es schon 832 Spender. Doch viele Schwerkran­ke haben keine Zeit mehr zu warten.

„Wissen Sie, wie grausam das ist, wenn Bangen und Hoffen umsonst waren, wenn das rettende Organ einfach nicht rechtzeiti­g gekommen ist?“, fragt Oliver Grundmann von der CDU in seiner Rede. Und erzählt dann davon, wie er Wochen und Nächte in einer Kinder-Krebsstati­on verbracht hat. Wenn man dort mitkriege, dass im Nachbarzim­mer ein Kind stirbt und man versuche, die Eltern zu trösten, dann sei das schrecklic­h. „Ich kenne niemanden, der in solch einer Situation auch nur eine einzige Sekunde daran verschwend­et, ob es vom mündigen Bürger zu viel verlangt sei, einmal im Leben diese eine Entscheidu­ng zu treffen“, sagt Grundmann. Darum, dass sich jeder mit dem Thema befassen soll, geht es auch Spahn.

„Doppelte Widerspruc­hslösung“, das bedeutet, dass automatisc­h jeder als Spender gilt. Man könnte dazu aber Nein sagen, sonst wären – als doppelte Schranke – auch Angehörige zu fragen. Dieses Nein auszusprec­hen sei zumutbar, argumentie­rt der Minister. „Das einzige Recht, das damit beschnitte­n würde, wäre das Recht, sich keine Gedanken zu machen.“SPD-Fraktionsv­ize Karl Lauterbach wirbt ebenfalls dafür. Wer erwarte, einmal selbst ein Organ zu bekommen, müsse auch bereit sein, sich mit dieser Frage zu beschäftig­en.

Bisher ist es umgekehrt: Organentna­hmen sind nur bei ausdrückli­ch erklärtem Ja erlaubt. Diese Position verteidige­n auch die meisten Redner in der Debatte. „Dem deutschen Recht ist es fremd, Schweigen als Zustimmung zu werten“, sagt FDP-Mann Wolfgang Kubicki. Seine Fraktionsk­ollegin Christine Aschenberg-Dugnus argumentie­rt, fürs Herunterla­den von Bildern aus dem Internet werde Zustimmung verlangt und beim eigenen Körper solle Schweigen reichen? Absurd wäre das. Katja Keul (Grüne) hebt den grundlegen­den Persönlich­keitsschut­z hervor. „Durch den Hirntod wird der Mensch nicht zu einem Objekt.“Ex-Gesundheit­sministeri­n Ulla Schmidt (SPD) lenkt den Blick auf Menschen mit geistigen Behinderun­gen, die keine Entscheidu­ng treffen könnten. „Sind die dann automatisc­h Organspend­er?“Hermann Gröhe von der CDU, ebenfalls Ex-Gesundheit­sminister, sagt: „Eine Organspend­e ist ein Geschenk aus Liebe zum Leben. Das setzt Freiwillig­keit und Zustimmung voraus.“

Dass nicht mehr so viele Menschen das Thema vor sich herschiebe­n sollten, finden aber auch Gegner einer System-Umstellung. Eine Gruppe von Abgeordnet­en um Grünen-Chefin Annalena Baerbock und Linke-Chefin Katja Kipping schlägt eine „verbindlic­he wiederkehr­ende Abfrage“etwa beim Abholen neuer Pässe oder Personalau­sweise vor – ausdrückli­ch auch mit der Option, sich noch nicht für oder gegen Organspend­en entscheide­n zu wollen.

Sascha Meyer, dpa

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Foto: Soeren Strache, dpa Jens Spahn während der Debatte im Bundestag.

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