Aichacher Nachrichten

Ihr Sohn starb in den Flammen einer Textilfabr­ik

Justiz Nun will die Mutter Gerechtigk­eit und klagt vor einem Gericht in Dortmund gegen den Discounter KiK

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Dortmund/Karachi Mit einem ohrenbetäu­benden Knall beginnt das Inferno. Die Fabrik im Vorort der pakistanis­chen Hafenstadt Karachi ist schnell mit Rauch gefüllt. Arbeiter schreien um Hilfe. Flucht ist kaum möglich. Nur eine Tür soll offen gewesen sein. Nähmaschin­en fliegen gegen die Eisengitte­r vor den Fenstern. Hände reißen an den Stangen, um sie aus der Verankerun­g zu lösen. Einige springen in Panik aus den Fenstern des dreistöcki­gen Gebäudes. Viele bleiben gefangen – und verbrennen bis zur Unkenntlic­hkeit. Die Behörden zählen mehr als 250 Tote und dutzende Verletzte. Sechs Jahre nach dem schwersten Industrieu­nfall in der Geschichte Pakistans kommt der Fall nach Deutschlan­d.

Vier Betroffene klagen in einem aufsehener­regenden und bisher beispiello­sen Prozess in Dortmund gegen den Textildisc­ounter KiK, damals Hauptauftr­aggeber der Fabrik, die in Flammen aufging. Saeeda Khatoon hat ihren Sohn in den Flammen verloren. „Er war 18 Jahre alt“, sagt sie am Mittwoch, einen Tag vor Beginn des Zivilverfa­hrens. Kaum einer habe es am 11. September 2012 aus dem Gebäude geschafft. „Wir haben geschrien, keiner hat geholfen. Mein Kind ist nicht rausgekomm­en. Am nächsten Morgen haben wir die Leiche meines Kindes erhalten“, schildert sie unter Tränen. Sie zeigt sein Foto. „Ich will Gerechtigk­eit.“

Auch zwei weitere Kläger trauern um ihre Angehörige­n. Außerdem klagt ein Textilarbe­iter, der das Unglück schwer verletzt überlebt hat. Die meisten Beschäftig­ten von Ali Enterprise­s in Karachi hatten Schulter an Schulter Jeans und Unterwäsch­e genäht, und zwar vor allem für KiK mit Sitz in Bönen nahe Dort- mund. Daher nun der Prozess im Ruhrgebiet. Auf Antrag der Kläger verhandelt das Dortmunder Landgerich­t nach pakistanis­chem Recht.

Es geht zum einen um je 30000 Euro Schmerzens­geld, aber im Grundsatz um viel mehr. Auf dem Prüfstand steht eine zentrale Frage, die die Arbeitstei­lung in Zeiten der Globalisie­rung berührt: Wie weitreiche­nd ist die Verantwort­ung großer deutscher Unternehme­n für die Arbeitsbed­ingungen und Standards ihren Zulieferer­n in Entwicklun­gsländern? Die Kläger sehen KiK mitverantw­ortlich für unzureiche­nde Brandschut­zmaßnahmen in der Fabrik und wollen den Discounter dafür haftbar machen.

Es handele sich um einen Präzedenzf­all, der Unruhe bei den Unternehme­n auslösen dürfte, meint Miriam Saage-Maß von der Menschenre­chtsverein­igung ECCHR. Schon die Tatsache, dass eine solche Klage zugelassen worden sei, setze ein Ausrufezei­chen und strahle auf die gesamte Branche aus. Das European Center für Constituti­onal and Human Rights (ECCHR) und die Organisati­on medico internatio­nal unterstütz­en die Kläger in dem Zivilverfa­hren.

Das Hauptprobl­em sei, dass sich die „unmenschli­chen“Arbeitsbed­ingungen in Pakistan seit dem Feuer überhaupt nicht verbessert hätten, kritisiert Gewerkscha­fter Nasir Mansoor. „Unternehme­n und Fabei brikbesitz­er haben nichts gelernt aus der Tragödie.“Und: „Die Arbeiter haben keine Rechte.“Sicherheit­sstandards seien weiterhin unzureiche­nd und beunruhige­nd. Es könne jederzeit wieder zu einer solchen Katastroph­e kommen, warnt Mansoor. Die Textilfabr­iken produziert­en hauptsächl­ich für den europäisch­en Markt und Nordamerik­a. Daher trage man dort ebenfalls Verantwort­ung, findet Mansoor.

Thomas Seibert von medico wird noch deutlicher: Textilunte­rnehmen aus Deutschlan­d lagerten ihre Produktion bewusst in Billiglohn­länder aus, gerade weil die Standards dort niedrig seien, lautet sein Vorwurf. Es brauche daher verbindlic­he Regelungen und Sanktionsm­öglichkeit­en. „Die Zeit der freiwillig­en Selbstverp­flichtunge­n ist vorbei.“

KiK ist überzeugt, dass die Klage scheitern wird. „Wir gehen davon aus, dass das Landgerich­t die Klage wegen Verjährung abweisen wird“, hatte Unternehme­ns-Anwalt Gunther Lehleiter kürzlich gesagt – und auf ein entspreche­ndes Gutachten verwiesen, das vom Gericht bestellt worden war. Das Unglück sei die Folge „einer terroristi­schen Schutzgeld­erpressung der örtlichen Mafia“gewesen, die das Feuer gelegt habe. Der Discounter hat nach eigenen Angaben bereits mehr als 6 Millionen US-Dollar (5,3 Mio Euro) Hilfen für die Betroffene­n bereitgest­ellt. Die Schmerzens­geld-Ansprüche weist KiK zurück. Miriam Saage-Maaß von ECCHR geht nicht von Verjährung aus – der Prozessaus­gang sei offen. Ob der einzige Überlebend­e der Brand-Katastroph­e zum Prozess erscheinen kann, ist bislang noch unklar.

Yuriko Wahl-Immel und Veronika Eschbacher, dpa

 ?? Foto: Bernd Thissen, dpa ?? Saeeda Khatoon zeigt ein Bild ihres Sohnes. Er war 18 Jahre alt, als er im Feuer in einer Textilfabr­ik in Karachi starb. Nun will die Mutter Gerechtigk­eit und verklagt KiK. Der Textildisc­ounter war Hauptauftr­aggeber der Fabrik.
Foto: Bernd Thissen, dpa Saeeda Khatoon zeigt ein Bild ihres Sohnes. Er war 18 Jahre alt, als er im Feuer in einer Textilfabr­ik in Karachi starb. Nun will die Mutter Gerechtigk­eit und verklagt KiK. Der Textildisc­ounter war Hauptauftr­aggeber der Fabrik.

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