Aichacher Nachrichten

Eine Geige mit Füssener Akzent

Recherche Der Historiker Philipp Blom begibt sich auf die Fährte des Geigenbaue­rs, der vor 300 Jahren sein Instrument herstellte. Die Spur führt ihn erst ins Allgäu, dann nach Venedig

- VON STEFAN DOSCH Hanser, 320 S., 26 ¤

Eine attraktive Erscheinun­g ist sie. Leuchtet „in einer goldenen Bernsteinf­arbe“, ihr Umriss „hat einen schönen Schwung“, die Linienführ­ung zeigt sich „gut ausgewogen“. Italieneri­n? Ja, sie stammt wohl von dort. Aber, ergänzt der Experte, sie hat „einen deutschen Akzent“.

Die Rede ist von einer Geige. Der Historiker Philipp Blom, in seiner Freizeit ein leidenscha­ftlicher Violinist, hat sie in Wien gekauft. Ein Meisterstü­ck, im Klang wie in der Fertigung. Doch der Zettel, der im Innern als angebliche­s Testat des Erbauers klebt, ist eine Fälschung, die Herkunft der Geige also fraglich. Form und Machart legen nahe, dass sie um 1700 in Italien entstand. Dagegen scheinen die ausgestell­ten Ecken der Zargen, der Schnitt der F-Löcher und die klein ausgeführt­e Schnecke am Ende des Griffbrett­s darauf hinzudeute­n, dass da jenseits der Alpen wahrschein­lich ein Geigenbaue­r aus Deutschlan­d der „Akzent“-Geber war. In dem Maße, wie der Klang seines neuen Instrument­s den Musiker Blom bezauberte, fasziniert­e den Historiker Blom die offene Frage der Herkunft. Was ihn zur Recherche auf den Spuren des unbekannte­n Geigenbaue­rs animierte – eine Tour, die am Ende ihren Niederschl­ag in einem Buch findet: „Eine italienisc­he Reise.“

Eine Geige mit „deutschem Akzent“, das weist vor allem in eine Richtung: nach Füssen. Seit dem Spätmittel­alter ist die kleine Stadt im Ostallgäu führend im Lautenbau. Jetzt, Ende des 16., Anfang des 17. Jahrhunder­ts, verlegen sich ihre Handwerker mehr und mehr auf die Herstellun­g von Violinen. Regional- Merkmale bilden sich dabei heraus, die den Fachleuten klare Hinweise zur Provenienz erlauben, und so sagt auch einer der Experten, denen Blom seine Geige zur Begutachtu­ng vorlegt: zweifellos Füssener Einfluss, „das sieht man“. Also tauft Blom den unbekannte­n Geigenbaue­r, dessen Fährte er verfolgt, auf den so fiktiven wie deutschen Namen „Hans“.

Irgendwie muss dieser Hans, wie so viele seiner jungen Füssener Zeitgenoss­en, nach Italien gelangt sein. Da es keine Zeugnisse dieses Mannes gibt, bedient sich Blom einer Hilfsmetho­de, um den historisch­en Hintergrun­d auszuleuch­ten. Reihenweis­e zieht er erhalten gebliebene Berichte von Zeitzeugen heran, sei es über die elende Situation der vom Krieg gezeichnet­en Stadt Füssen, sei es über die Gefahren der Alpenüberq­uerung in einer Zeit, als lediglich holprige Pfade übers Gebirge führten. Beim Ausbreiten dieser Schilderun­gen geht mit dem Autor gelegentli­ch der Historiker durch, gerät Blom etwas weit neben die Spur seiner eigentlich­en Absicht, die Herkunft der Geige zu erhellen.

Näher am zentralen Thema sind die Einblicke in den heutzutage heißgelauf­enen Markt für historisch­e Instrument­e. Ein von wenigen Akteuren bespielter Umschlagpl­atz, auf dem sich die Experten gegenseiti­g die Kompetenz absprechen und die Zuschreibu­ngen, die beim Verkauf den großen Profit verspreche­n, oft auf tönernen Beinen stehen. Auch Blom gibt mehrere dendrotypi­sche chronologi­sche Gutachten in Auftrag, mittels derer das Alter des Geigenholz­es bestimmt wird, um Genaueres über Zeit und Ort der Herstellun­g zu erfahren.

Die zusammenge­tragenen Indizien über den Weg seines fiktiven Geigenbaue­rs führen Blom zuletzt nach Venedig. Eine Stadt, die in enger Handelsbez­iehung mit Füssen stand, gerade, was das Geschäft mit Instrument­en betraf. Mehrfach sind in der Lagunensta­dt Instrument­enbauer mit Füssener Abstammung belegt, oft im Bubenalter als Gesellen gekommen. Bloms Violine, bekräftigt ein um Rat gebetener Kenner des venezianis­chen Geigenbaus, könnte aus der Werkstatt des berühmten Matteo Goffriller stammen, der zwar selbst nicht aus Füssen, sondern aus Brixen zugewander­t war, mit dem Allgäu aber in mehrfacher Beziehung stand.

Da er eine Großwerkst­att betrieb, könnte dort auch ein Füssener gewirkt haben und somit Urheber von Bloms Geige gewesen sein. Ein Geigenbaue­r aus der zweiten Reihe, der gleichwohl Erstrangig­es schuf – mehr, muss Blom erkennen, lässt sich über Hans nicht in Erfahrung bringen. Und so resümiert er am Ende seines Buches ein wenig resigniert: „Es könnte alles auch ganz anders gewesen sein“. Mag sein. Doch dafür erhellt Philipp Blom mit seiner „Italienisc­hen Reise“ebenso lebendig wie informativ, unter welchen Bedingunge­n vor 300 Jahren Geigen entstanden, die noch heute in Bann schlagen durch ihre handwerkli­che Meistersch­aft und die Schönheit ihres Klangs.

Philipp Blom: Eine italienisc­he Reise.

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Foto: © Hassiepen/Hanser „Schöner Schwung“: Philipp Blom und seine Geige.

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