Warum Straftäter häufiger zum Messer greifen
Kriminalität Straftaten mit Stichwaffen haben in Augsburg zuletzt zugenommen. Die Polizei nennt dafür unterschiedliche Gründe, Zuwanderer spielen laut Statistik eine Rolle. In anderer Hinsicht hat sich die Lage dagegen verbessert
Es passiert an einem Samstag im Juli. Es ist eine warme Sommernacht, selbst kurz vor Mitternacht hat es noch rund 15 Grad. An der Treppe zwischen Rathausplatz und Elias-Holl-Platz, dem sogenannten Eisenberg, geht es um diese Zeit noch um einiges hitziger zu. Zwei Gruppen von jungen Männern geraten aneinander. Ein 19-jähriger Mann aus Augsburg zieht in dem Streit plötzlich ein Messer. Er sticht die Klinge einem 25-jährigen Syrer in den Oberkörper, einen 19-jährigen Syrer verletzt er am Arm. Der 25-Jährige muss schwer verletzt ins Krankenhaus, der 18-Jährige kann ambulant behandelt werden.
Die Tat könnte für den mutmaßlichen Messerstecher mit einer längeren Gefängnisstrafe enden. Er kam nach dem Vorfall in Untersuchungshaft. Zunächst wurde ihm sogar versuchter Mord vorgeworfen. Einen Prozess gab es noch nicht. Es ist nicht die einzige Messerattacke, die in den vergangenen Monaten bei den Mordermittlern der Augsburger Kriminalpolizei auf dem Tisch gelandet ist. Die Zahl der Straftaten, bei denen die Täter ein Messer benutzen, hat zuletzt deutlich zugenommen. Das sagte Polizeipräsident Michael Schwald bereits kürzlich in einem Interview mit unserer Redaktion. Ein genauer Blick auf die Zahlen des Polizeipräsidiums zeigt, dass die Zunahme tatsächlich sehr deutlich ausfällt.
Im Jahr 2012 hatten mutmaßliche Straftäter in 160 Fällen ein Messer bei sich. Fünf Jahre später, in 2017, nutzten rund 250 Tatverdächtige bei Straftaten ein Messer. Das ist immerhin eine Steigerung um rund 55 Prozent. Besonders deutlich ist der Zuwachs bei Streitereien, die irgendwann in Gewalt münden. 2012 war bei 27 Körperverletzungsdelikten ein Messer im Spiel, 2017 bereits bei 61 Fällen. Hier hat sich der Einsatz des „Tatmittels Messer“, wie es im Polizeijargon heißt, mehr als verdoppelt. Auch bei Fällen von Bedrohung und Nötigung ist heute deutlich öfter ein Messer im Spiel. Im Jahr 2012 bei 22 Fällen, 2017 bei 36 Fällen. Polizeisprecher SaschaDaniel Wieser sagt: „Messer sind grundsätzlich häufiger und leichter verfügbar als zum Beispiel Schusswaffen. Sie fallen zudem meist auch nicht unter das Waffengesetz.“Alleine deshalb greifen Straftäter deutlich öfter zum Messer als etwa zu einer Schusswaffe.
Der Anstieg der Fallzahlen lässt sich damit allerdings noch nicht erklären. Wertet man die Statistik genauer aus, so kann man zum Ergebnis kommen, dass die Zuwanderung der vergangenen Jahre eine Rolle spielt. Bei den Körperverletzungen, die mit einem Messer begangen werden, waren im Jahr 2012 rund vier Prozent der Tatverdächtigen Zuwanderer. Unter diesem Oberbegriff fasst die Polizei Asylbewerber, Bürgerkriegsflüchtlinge, Geduldete und illegal hier lebende Menschen zusammen. Bis zum Jahr 2017 ist der Anteil der tatverdächtigen Zuwanderer bei Körperverletzungen mit Messer markant gestiegen – auf knapp 38 Prozent. Über die Gründe dafür könne man nur spekulieren, sagt der Polizeisprecher, da anhand der Statistik keine Ursachenforschung betrieben werden könne.
Hinter vorgehaltener Hand werden viele Polizisten deutlicher. Ein Beamter sagt, es sei schon die Tendenz zu erkennen, dass manche Zuwanderer aus arabischen Ländern im Streit offenbar schneller mal zum Messer greifen. Er hat auch das Gefühl, dass es normaler geworden ist, ein Messer einzustecken, wenn man aus dem Haus geht. Ein anderer erfahrener Polizist sagt, bei Gewalttaten in Asylunterkünften sei in den vergangenen Jahren auffallend häufig ein Messer benutzt worden. Dass es in Asylheimen Streit gebe, sei oft bedingt durch die räumliche Enge und die vielen unterschiedlichen ethnischen Gruppen, die dort miteinander auskommen müssen.
Auch beim Blick auf die Opfer von Messerstechern sieht man, dass es in vielen Fällen Streitigkeiten unter Zuwanderern sind. Die Zahl der Verletzen durch Messerangriffe stieg zwischen 2012 und 2017 von 32 auf 62 Personen an. Gleichzeitig stieg auch der Anteil der Zuwanderer an den Verletzten massiv: von rund zwölf Prozent auf zuletzt 35 Prozent. Tote durch Messerstiche gabe es in den letzten Jahren keine.
Bei Raubüberfällen spielte das Messer schon immer eine Rolle. Hier schwanken die Fallzahlen seit Jahren zwischen dem einstelligen und dem niedrigen zweistelligen Bereich. Bei Sexualdelikten wiederum drohen die Täter eher selten mit einem Messer. Im vergangenen Jahr zählte die nordschwäbische Polizei genau einen solchen Fall, fünf Jahre zuvor waren es zwei Fälle.
Unter jugendlichen Straftätern sei der Einsatz eines Messers aktuell allerdings kein größeres Thema, sagt Erwin Schletterer. Er ist Geschäftsführer des Vereins Brücke, der sich um junge Straftäter in der Region kümmert. In den Gesprächsrunden werde das von Jugendlichen nur selten angesprochen, sagt er. Das war schon einmal ganz anders: In den 1990er-Jahren galt es bei manchen Jugendlichen als „cool“, ein Messer bei zu tragen und damit herumzuspielen. In Mode waren vor allem sogenannte Butterfly-Messer. Immer wieder sei damit auch zugestochen worden. Schletterer sagt, er hoffe, dass sich kein neuer Trend entwickelt: „Denn wenn man bewusst ein Messer einsteckt, ist die erste Hürde schon genommen, es auch zu benutzen.“