So ticken die Amerikaner
Interview Karina Meitinger aus Aichach studiert seit August für ein Jahr in den USA. Sie lebt bei einer Gastfamilie in St. Cloud, Minnesota. Mit K!ar.Text spricht sie über ihre ersten Eindrücke
Aichach/Minnesota Karina Meitinger aus Aichach verbringt seit Anfang August im Rahmen des Parlamentarischen-Patenschafts-Programms ein Jahr in den USA (wir berichteten). Im Bundesstaat Minnesota lebt sie bei einer Gastfamilie. Neben ihrem Studium an der St. Cloud State University und mehreren ehrenamtlichen Tätigkeiten in verschiedenen Organisationen, half sie der Stadt St. Cloud auch während der Zwischenwahlen (siehe Artikel links). Mit K!ar.Text hat die 24-Jährige über ihre Erlebnisse und Eindrücke gesprochen.
Hallo Karina, wie waren denn die ersten Eindrücke, die bisher in Minnesota auf dich eingeprasselt sind?
Karina Meitinger: „Durch das Leben in einer amerikanischen Familie bekomme ich einen guten Einblick in deren Alltag und Kultur. Wobei ich dazu sagen muss, dass meine Gastfamilie keine typisch amerikanische Familie ist. Wir leben sehr gesund, hier wird jeden Abend etwas gekocht. Ich verbringe auch viel Zeit mit den vielen internationalen Studenten an der St. Cloud State University. Die meisten studieren entweder ein Semester oder vier Jahre an der Uni und entscheiden dann, ob sie in ihr Heimatland zurückkehren oder in Amerika leben möchten. Der Austausch mit den Studenten aus unterschiedlichen Kulturen ist sehr interessant und prägt auch das Campusleben. Hier ist fast jedes Land der Welt mit einer Studentenorganisation vertreten. Die Uni ist mit über 14 000 Studenten einer der größten öffentlichen Universitäten in Minnesota. Es gibt über 200 Kurse, denen man beitreten kann.“
Wie sieht denn dein Alltag aus? Meitinger: „Aktuell bin ich mitten im Semester, das geht noch bis kurz vor Weihnachten. Man darf sich das Unileben nicht so vorstellen wie bei uns, wo man jeden Tag in Vorlesungen sitzt und am Ende des Semesters eine Prüfung schreibt. Es ist eher vergleichbar mit dem Schulleben in Deutschland. Ich gehe von Montag bis Freitag von morgens bis nachmittags in die Uni. Danach sind Meetings mit verschiedenen Orga- bei denen ich mich am Campus engagiere. Zum Beispiel beim German Club. Dort bin ich übrigens die einzige Deutsche unter vielen Amerikanern, die sehr großes Interesse an der Sprache und an der Kultur haben. Als Native Speaker berichte ich aus erster Hand von meiner Kultur oder wir kochen zusammen typisch deutsches Essen. Nach der Uni geht’s zur Freiwilligenarbeit in verschiedenen Organisationen. Das ist Teil meines Austauschprogramms. Zudem spielt die Arbeit bei der Benotung einer meiner Kurse eine Rolle. Daheim wartet auch schon wieder mein Unileben. In jedem Kurs gibt es jede Woche verschiedene Hausarbeiten. Es gibt auch mindestens einmal im Monat schriftliche Prüfungen. An der Uni herrscht etwas Konkurrenzdenken, da hier jeder einen gut bezahlten Job haben möchte. Mit den Amerikanern, die ihr Jahr in Deutschland verbringen, erarbeite ich gemeinsame Projekte. Langweilig war mir hier jedenfalls noch nie.“
Bleibt da Zeit für Unternehmungen? Meitinger: „Kaum. Auch meine Kommilitonen haben wegen der schulischen Verpflichtungen sehr wenig Zeit. Ein paar kurze Wochenendausflüge sind bei gutem Zeitmanagement aber immer wieder mal drin. Kürzlich war ich mit ein paar internationalen Studenten in Chicago. Mit dem Bus waren das knapp zehn Stunden Fahrt über Nacht. Ich durfte auch das erste Mal Thanksgiving feiern. Ein sehr wichtiger Feiertag für die Amerikaner, der mit der Familie gefeiert wird. Etwas vergleichbar mit Weihnachten bei uns – allerdings mit gefühlt noch mehr Essen, mit Truthahn und Pumpkin Pie. Eine Nachbarin meinte, an diesem Tag gibt es Essen für 50 Personen, obwohl nur zehn anwesend sind. Es bleibt deshalb sehr viel übrig, die Tage danach werden die vielen Reste gegessen.“
Wie sind die Menschen in Minnesota? Meitinger: „Der Bundesstaat wird auch Minnesota Nice genannt. Die Menschen sind sehr offen, freundlich und hilfsbereit. Jede Religion wird wirklich gelebt, gefeiert und spielt eine wichtige Rolle im Leben der Amerikaner – und das jeden Tag. Religiöse Menschen in Amerika spenden übrigens dreimal so viel Geld an Wohltätigkeitsorganisationen wie religiöse Menschen anderswo auf der Welt. Religion hat nicht nur in Minnesota, sondern in ganz Amerika großen Einfluss auf Kultur und Politik. St. Cloud ist Minnesotas Mittelpunkt für Kunst, Unterhaltung, medizinische Versorgung und Bildung. Viele Bürger dort haben deutsche Wurzeln.“
Hat dich bisher etwas überrascht? Meitinger: „Amerikaner, speziell Studenten und Kinder, verbinden mit Deutschland immer den Zweiten Weltkrieg und Hitler – zumindest bei meinen Gesprächen mit ihnen. Ich musste sie teilweise erst über die deutsche Geschichte aufklären, was wirklich passiert ist, und dass die Deutschen nicht stolz auf diesen Teil ihrer Geschichte sind. Ein weiterer Punkt ist, dass Bildung hier sehr teuer ist. Viele Studenten haben einen Nebenjob, um nicht komplett von den Eltern abhängig zu sein, Studentenkredite sind ganz normal. Und ein dritter Punkt ist das Auto. Ein Leben ohne ist hier kaum vorstellbar. Das öffentliche Verkehrsnetz ist nur sehr schlecht ausgebaut. Eine Stunde Autofahrt zu einem Restaurant ist ganz normal. Des Weiteren wird hier extrem viel Plastik verbraucht. Ich bin immer die typisch Deutsche, die alle Plastiktüten ablehnt oder auch das Fahrrad statt dem Auto bei minus zehn Grad nimmt. Das ist für die Amerikaner unvorstellbar. “
Sind die Menschen denn sehr politisch? Meitinger: „An der Uni belege ich unter anderem den super interessanten Kurs American National Government. Der hilft mir, das politische System hier besser zu verstehen. In der ersten Stunde war ich überrascht, wie wenig die Amerikaner über ihr eigenes politisches System wissen. Die internationalen Studenten haben beim ersten Allgemeinwissenstest zur Politik in Amerika teils besser abgeschnitten, als die Einheimischen. Mein Gastvater meinte, das sei normal und überranisationen, sche ihn nicht. Die Amerikaner würden sich mit diesem Thema nicht auseinandersetzen – obwohl dies sehr wichtig wäre. Das trifft natürlich nicht auf alle zu. Manche Studenten an der Uni werben mit einem Stand für Demokraten oder Republikaner oder waren sogar Wahlhelfer eines Kandidaten während der Zwischenwahlen. Durch die vielen Werbefilme und -materialien wissen allerdings viele nicht, welche Wahlversprechen überzeugend sind. Und was ich dazu sagen muss: Amerikaner wählen mehr den Kandidaten als Person und nicht die Partei, wie es bei uns getan wird.“
Hat es dir Spaß gemacht, bei den Zwischenwahlen zu helfen?
Meitinger: „Ja. Ich konnte in die Runde jede Menge Fragen stellen oder auch über unser politisches System aufklären. Auch der Bürgermeister und Journalisten der regionalen Zeitungen waren mehrmals zu Besuch, um den aktuellen Stand zu erfragen. Leider konnte ich am Wahltag nicht den ganzen Tag helfen, da ich vormittags bis nachmittags Vorlesung an der Uni hatte. Ich bin danach direkt ins Rathaus geradelt. Weil ich am nächsten Tag wieder früh rausmusste, konnte ich auch nicht bis zur letzten Auszählung bleiben. Ich bin allerdings dankbar, dass mir diese Erfahrung ermöglicht wurde.“
Vermisst du etwas aus Deutschland? Meitinger: „Was ich hier neben Familie und Freunden wirklich vermisse, ist das typisch deutsche Brot, Semmeln und Brezen. Das bekommt man hier eigentlich nirgendwo. Das Tolle ist, dass ich dadurch mehr selbst ausprobiere. Meine Gastfamilie ist immer überrascht, was die Deutschen alles für Rezepte haben. Die Supermarktkette Aldi ist in Amerika teilweise weitverbreitet. Da kommen Heimatgefühle auf, wenn ich durch die Regale stöbere und die gewohnten Weihnachtsspekulatius oder gefüllte Lebkuchenherzen entdecke.“»Lies mich!
Die Fragen stellte Christoph Lotter.
»Karina hat übrigens einen Blog: www.35ppp.de/karina