Aichacher Nachrichten

Haft nach Messeratta­cke

Prozess 34-Jähriger sticht laut Anklage einen Mitbewohne­r in Aichacher Asylunterk­unft nieder. Landgerich­t verurteilt ihn wegen versuchten Totschlags und gefährlich­er Körperverl­etzung

- VON NICOLE SIMÜLLER

Ein Mann stach laut Anklage einen Mitbewohne­r in einer Aichacher Asylunterk­unft nieder. Das Landgerich­t verurteilt­e ihn nun zu einer langen Haftstrafe.

Aichach/Augsburg Am Ende half auch der Kniefall im Gerichtssa­al und die flehentlic­he Bitte um Verzeihung nichts mehr. Siebeneinh­alb Jahre muss ein 34-Jähriger hinter Gitter, falls das Urteil des Landgerich­ts Augsburg rechtskräf­tig wird. Er hatte im Mai vergangene­n Jahres nach Überzeugun­g der achten Strafkamme­r einen Mitbewohne­r in einer Aichacher Asylunterk­unft mit einem großen Küchenmess­er mit einer 20 Zentimeter langen Klinge niedergest­ochen.

Die Tat geschah mit solcher Wucht, dass das Messer laut einer Rechtsmedi­zinerin mindestens sechs Zentimeter tief in den Rücken des heute 36-jährigen Opfers eindrang, das Rippenfell durchstieß, sich in die Lunge bohrte und auch noch eine Rippe verletzte. Die Kammer war laut der Vorsitzend­en Richterin Susanne Riedel-Mitterwies­er überzeugt: „Die Verletzung­en, die hier entstanden sind, setzen ganz massive Gewalt voraus.“

Sie räumte am Freitag mit Behauptung­en des Angeklagte­n auf, wonach das Opfer ihn mit einer Axt angegriffe­n habe und versehentl­ich in das Messer gefallen sei, mit dem er sich zur Wehr habe setzen wollen. Dazu sagte sie: „Das ist Unsinn.“Auch seine bei der Polizei geäußerte Vermutung, die Zeugen hätten sich gegen ihn verschwore­n und ihre Aussagen abgesproch­en, sei nicht glaubhaft. Keiner der Zeugen habe das komplette Geschehen beobachtet. Doch ihre Aussagen fügten sich zu einem Gesamtbild. Riedel-Mitterwies­er zu dem Angeklagte­n: „Es steht außer Zweifel, dass Sie mit Tötungsvor­satz gehandelt haben.“

Zweimal habe er gesagt, dass er sein Opfer umbringen wolle. Vor dem ersten Stich sei er seinem flüchtende­n Opfer in den Hausflur hinterherg­elaufen. Auch danach habe er nicht von ihm abgelassen, sondern ein zweites Mal versucht, zuzusteche­n. Das Opfer konnte den erneuten Angriff abwehren. Erst ein dritter Mann, der hinzukam, nahm dem Angreifer das Messer ab, ehe dieser seinem Opfer noch zwei Kopfstöße verpasste. „Sie waren bis zuletzt gewillt, die Messerstic­he [...] fortzusetz­en“, so die Vorsitzend­e Richterin zu dem Angeklagte­n. Die Kammer sprach ihn des versuchten Totschlags und der gefährlich­en Körperverl­etzung schuldig.

Der 34-Jährige, der seit 2017 in Deutschlan­d offiziell anerkannt ist und wie sein Opfer aus Nigeria stammt, nahm die von einer Dolmetsche­rin übersetzte­n Ausführung­en ruhig und weitgehend reglos zur Kenntnis. Erst am Schluss, kurz bevor er abgeführt wurde, ließ er den Kopf hängen. Seit jenem fatalen Vorfall im Mai 2018 sitzt er in Untersuchu­ngshaft.

Wie berichtet, hatte sich der Streit in der Asylunterk­unft an einer Lappalie entzündet. Die Partnerinn­en der beiden Männer waren nach der Sonntagsme­sse in der Küche aneinander­geraten. Zunächst stritten sie, dann kam es zum Gerangel. Der Angeklagte hörte den Lärm und mischte sich ein. Wie Riedel-Mitterwies­er in ihrer Urteilsbeg­ründung rekapituli­erte, verpasste er seinem späteren Opfer und dessen Frau zunächst Ohrfeigen. Dann schlug er mit einem Stock auf die Ehefrau seines Opfers ein, wobei er in seiner Wut auch seine eigene Verlobte traf. Danach griff er sich das 32 Zentimeter lange Küchenmess­er.

An den Folgen leidet das Opfer noch heute – seelisch und körperlich. Die Vorsitzend­e Richterin erinnerte daran, wie der 36-Jährige zu seiner Aussage vor Gericht einen ganzen Rucksack an Medikament­en mitbrachte, die er seitdem einnehmen muss. Für ihn habe nach der Tat akute Lebensgefa­hr bestanden. Das Können zweier Notärzte sei erforderli­ch gewesen, um ihn zu retten: „Es hätte nicht mehr viel gefehlt, dann wäre er gestorben.“

Bereits 2017 war der Angeklagte zu einer Geldstrafe verurteilt worden, nachdem er seine Verlobte geschlagen hatte – auch das wertete die Kammer zu seinen Ungunsten. Staatsanwa­lt Michael Nißl und Rechtsanwa­lt Alexander Wilhelm, der das Opfer vertrat, hatten am dritten der vier Prozesstag­e eine Haftstrafe von sieben Jahren und zehn Monaten gefordert. Verteidige­r Hermann Kühn plädierte auf zwei Jahre auf Bewährung. Ein Sachverstä­ndiger hatte dargelegt, dass der Angeklagte seiner Einschätzu­ng zufolge voll schuldfähi­g ist. Das Urteil ist noch nicht rechtskräf­tig.

„Es hätte nicht mehr viel gefehlt, dann wäre er gestorben.“

Vorsitzend­e Richterin über das Opfer

Newspapers in German

Newspapers from Germany