Haft nach Messerattacke
Prozess 34-Jähriger sticht laut Anklage einen Mitbewohner in Aichacher Asylunterkunft nieder. Landgericht verurteilt ihn wegen versuchten Totschlags und gefährlicher Körperverletzung
Ein Mann stach laut Anklage einen Mitbewohner in einer Aichacher Asylunterkunft nieder. Das Landgericht verurteilte ihn nun zu einer langen Haftstrafe.
Aichach/Augsburg Am Ende half auch der Kniefall im Gerichtssaal und die flehentliche Bitte um Verzeihung nichts mehr. Siebeneinhalb Jahre muss ein 34-Jähriger hinter Gitter, falls das Urteil des Landgerichts Augsburg rechtskräftig wird. Er hatte im Mai vergangenen Jahres nach Überzeugung der achten Strafkammer einen Mitbewohner in einer Aichacher Asylunterkunft mit einem großen Küchenmesser mit einer 20 Zentimeter langen Klinge niedergestochen.
Die Tat geschah mit solcher Wucht, dass das Messer laut einer Rechtsmedizinerin mindestens sechs Zentimeter tief in den Rücken des heute 36-jährigen Opfers eindrang, das Rippenfell durchstieß, sich in die Lunge bohrte und auch noch eine Rippe verletzte. Die Kammer war laut der Vorsitzenden Richterin Susanne Riedel-Mitterwieser überzeugt: „Die Verletzungen, die hier entstanden sind, setzen ganz massive Gewalt voraus.“
Sie räumte am Freitag mit Behauptungen des Angeklagten auf, wonach das Opfer ihn mit einer Axt angegriffen habe und versehentlich in das Messer gefallen sei, mit dem er sich zur Wehr habe setzen wollen. Dazu sagte sie: „Das ist Unsinn.“Auch seine bei der Polizei geäußerte Vermutung, die Zeugen hätten sich gegen ihn verschworen und ihre Aussagen abgesprochen, sei nicht glaubhaft. Keiner der Zeugen habe das komplette Geschehen beobachtet. Doch ihre Aussagen fügten sich zu einem Gesamtbild. Riedel-Mitterwieser zu dem Angeklagten: „Es steht außer Zweifel, dass Sie mit Tötungsvorsatz gehandelt haben.“
Zweimal habe er gesagt, dass er sein Opfer umbringen wolle. Vor dem ersten Stich sei er seinem flüchtenden Opfer in den Hausflur hinterhergelaufen. Auch danach habe er nicht von ihm abgelassen, sondern ein zweites Mal versucht, zuzustechen. Das Opfer konnte den erneuten Angriff abwehren. Erst ein dritter Mann, der hinzukam, nahm dem Angreifer das Messer ab, ehe dieser seinem Opfer noch zwei Kopfstöße verpasste. „Sie waren bis zuletzt gewillt, die Messerstiche [...] fortzusetzen“, so die Vorsitzende Richterin zu dem Angeklagten. Die Kammer sprach ihn des versuchten Totschlags und der gefährlichen Körperverletzung schuldig.
Der 34-Jährige, der seit 2017 in Deutschland offiziell anerkannt ist und wie sein Opfer aus Nigeria stammt, nahm die von einer Dolmetscherin übersetzten Ausführungen ruhig und weitgehend reglos zur Kenntnis. Erst am Schluss, kurz bevor er abgeführt wurde, ließ er den Kopf hängen. Seit jenem fatalen Vorfall im Mai 2018 sitzt er in Untersuchungshaft.
Wie berichtet, hatte sich der Streit in der Asylunterkunft an einer Lappalie entzündet. Die Partnerinnen der beiden Männer waren nach der Sonntagsmesse in der Küche aneinandergeraten. Zunächst stritten sie, dann kam es zum Gerangel. Der Angeklagte hörte den Lärm und mischte sich ein. Wie Riedel-Mitterwieser in ihrer Urteilsbegründung rekapitulierte, verpasste er seinem späteren Opfer und dessen Frau zunächst Ohrfeigen. Dann schlug er mit einem Stock auf die Ehefrau seines Opfers ein, wobei er in seiner Wut auch seine eigene Verlobte traf. Danach griff er sich das 32 Zentimeter lange Küchenmesser.
An den Folgen leidet das Opfer noch heute – seelisch und körperlich. Die Vorsitzende Richterin erinnerte daran, wie der 36-Jährige zu seiner Aussage vor Gericht einen ganzen Rucksack an Medikamenten mitbrachte, die er seitdem einnehmen muss. Für ihn habe nach der Tat akute Lebensgefahr bestanden. Das Können zweier Notärzte sei erforderlich gewesen, um ihn zu retten: „Es hätte nicht mehr viel gefehlt, dann wäre er gestorben.“
Bereits 2017 war der Angeklagte zu einer Geldstrafe verurteilt worden, nachdem er seine Verlobte geschlagen hatte – auch das wertete die Kammer zu seinen Ungunsten. Staatsanwalt Michael Nißl und Rechtsanwalt Alexander Wilhelm, der das Opfer vertrat, hatten am dritten der vier Prozesstage eine Haftstrafe von sieben Jahren und zehn Monaten gefordert. Verteidiger Hermann Kühn plädierte auf zwei Jahre auf Bewährung. Ein Sachverständiger hatte dargelegt, dass der Angeklagte seiner Einschätzung zufolge voll schuldfähig ist. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.
„Es hätte nicht mehr viel gefehlt, dann wäre er gestorben.“
Vorsitzende Richterin über das Opfer