Aichacher Nachrichten

Amerikas Feuerwehrm­ann

Porträt Obamas einstiger Stellvertr­eter Joe Biden gilt derzeit als chancenrei­chster Präsidents­chaftskand­idat der US-Demokraten. Er will Donald Trump aus dem Amt jagen. Doch manchen Parteifreu­nden ist das zu wenig

- VON KARL DOEMENS

Washington Gerade einmal 270 Kilometer voller Getreidefe­lder liegen zwischen Des Moines und Davenport im Bundesstaa­t Iowa. Auf der schnurgera­den Interstate 70 dauert die Fahrt gut zweieinhal­b Stunden. Im Mittleren Westen der USA ist das eigentlich keine Entfernung. Doch vergangene Woche trennten die Landeshaup­tstadt und das UniStädtch­en politische Welten.

Zeitgleich traten hier Präsident Donald Trump und dort sein derzeit aussichtsr­eichster Herausford­erer Joe Biden vor ihre Anhänger. Alle großen Kabelsende­r übertrugen das Fernduell bundesweit live. Und die Zuschauer wurden nicht enttäuscht. „Der Präsident ist eine existenzie­lle Bedrohung für Amerika“, schlug Biden Alarm. Trump beschimpft­e seinen Gegner als „Dummkopf“, der keine Energie mehr habe. „Auf sein Niveau werde ich mich nicht herablasse­n“, konterte dieser kühl.

Am Ende des Tages dürften beide Politiker zufrieden gewesen sein. Der Präsident braucht das Spektakel und einen sichtbaren Gegner, um seine Anhänger bei Laune zu halten. So war davon auszugehen, dass Trump auch am Dienstagab­end (Ortszeit) in Orlando publikumsw­irksam auf den Stellvertr­eter seines Vorgängers Barack Obama einprügelt, als er mit einer großen Show und dem reichlich dünnen Slogan „Keep America Great“(Lass Amerika groß bleiben!) seine erneute Kandidatur für das Weiße Haus im Jahr 2020 bekannt gab und damit offiziell den Wahlkampf eröffnete.

Doch auch dem Herausford­erer scheinen die Attacken des Amtsinhabe­rs zu helfen. Seit er Ende April ziemlich spät seine Kandidatur erklärt hat, führt Biden nicht nur das Feld der demokratis­chen Bewerber an. Durch den Konfrontat­ionskurs mit Trump hat der 76-Jährige die 22 anderen Kandidaten seiner Partei an den Spielfeldr­and gedrängt und vermittelt den Eindruck, das Rennen werde im Grunde zwischen ihm und Trump ausgetrage­n.

Doch das könnte sich als Täuschung erweisen. Bis zur Präsidents­chaftswahl im November 2020 sind es noch fast 17 Monate. Und erst im Juli des nächsten Jahres wird die Demokratis­che Partei ihren Kandidaten küren. Bis dahin kann sich noch sehr viel ändern. Auch folgt die parteiinte­rne Mehrheitss­uche ganz anderen Regeln als das anschließe­nde Duell. Während es bei den Vorwahlen darum geht, die eigene Basis zu mobilisier­en, müssen bei der Präsidents­chaftswahl vor allem die Wechselwäh­ler in swing states wie Ohio, Michigan, Pennsylvan­ia und Wisconsin gewonnen werden. Bei ihnen hat der Pragmatike­r Biden, den seine Anhänger auch „MiddleClas­s Joe“nennen, nach Einschätzu­ng der Demoskopen gute ChanOb er seine eigene Partei überzeugen kann, ist weniger sicher.

Ein Maitag in Philadelph­ia vermittelt einen guten Eindruck von den Stärken und Schwächen des Kandidaten. Es ist die offizielle Auftaktkun­dgebung für Bidens Kampagne. Die Organisato­ren haben die Bühne gegenüber des Kunstmuseu­ms aufgebaut. Im Hintergrun­d reckt sich der markante Turm der City Hall, der seit dem Kino-Drama „Philadelph­ia“mit Tom Hanks zu einem Symbol der Toleranz geworden ist, in den strahlendb­lauen Himmel. Eindrucksv­olle Fernsehbil­der sind garantiert. Aber der Zustrom der Anhänger hält sich in Grenzen. Rund 6000 sollen es nach offizielle­n Angaben am Ende sein. Nicht schlecht. Aber bei Trump sind die Arenen deutlich voller.

Dynamisch springt Biden mit getönter Pilotenbri­lle aufs Podium, zieht sein Sakko aus und krempelt die Hemdsärmel hoch. Er wirkt erkennbar älter, als man ihn an der Seite von Obama in Erinnerung hat. „Die Politik ist so gemein, so kleinkarie­rt, so wütend geworden“, ruft er. Das verstärkt unbewusst einen merkwürdig nostalgisc­hen Eindruck. Entschloss­en im Auftreten und scharf in der Analyse stellt sich Biden einer Politik entgegen, die auf Hass und Spaltung basiert. Der Unfalltod seiner ersten Frau und ihrer gemeinsame­n Tochter sowie der spätere Krebstod seines Sohnes haben das Leben dieses Mannes gezeichnet. Die Bewältigun­g dieser Schicksals­schläge verleiht ihm nun Glaubwürdi­gkeit, wenn er sich als Anwalt des anständige­n Amerikas präsentier­t. „Die Nation muss wieder zusammenko­mmen“, fordert er. Dazu müsse Trump weg. Seine konkreten politische­n Vorhaben bleiben derweil eher vage.

Tatsächlic­h liegt Biden in bundesweit­en Umfragen, die wegen des komplizier­ten Wahlrechts in den USA nur eine begrenzte Aussagekra­ft haben, derzeit vor Trump. Selbst nach den internen Erhebungen des Weißen Hauses würde der Herausford­erer den Amtsinhabe­r momentan schlagen, was den Präsidente­n so wütend gemacht haben soll, dass er drei seiner fünf Meinungsfo­rschern kündigte. Die Wähler schätzen Bidens Integrität, seine Erfahrung, Führungsst­ärke und die Fähigkeit zum parteiüber­greifenden Kompromiss. Regelmäßig erklärt eine klare Mehrheit, dass ihr bei der Entscheidu­ng für einen demokratic­en. Kandidaten dessen Siegchance­n wichtiger sind als die inhaltlich­e Übereinsti­mmung in allen Punkten.

Natürlich kommt dem ehemaligen Vizepräsid­enten sein hoher Bekannthei­tsgrad zugute. Doch die vier Jahrzehnte lange Vorgeschic­hte in der Politik birgt auch Risiken. So hat Biden 1994 unter dem Eindruck wachsender Gewalt eine Justizrefo­rm mit deutlich härteren Strafen unterstütz­t, die zu Massenverh­aftungen von Schwarzen führte. Auch lehnte der bekennende Katholik lange die staatliche Finanzieru­ng von Abtreibung­skliniken ab. Erst angesichts massiver parteiinte­rner Proteste änderte er in der vergangene­n Woche plötzlich seine Position. In der Umweltpoli­tik war Biden anfangs ziemlich blank. Mit heißer Nadel musste er zuletzt einen Klimaplan schreiben lassen, wurde aber prompt dabei erwischt, dass einige Passagen abgekupfer­t waren.

Zu einem Problem könnte auch Bidens körperbeto­nter Umgang mit anderen Menschen werden. Der joviale Politiker nimmt Vertraute in den Arm, streicht ihnen über die Schulter und gibt ihnen schon mal einen Kuss auf den Hinterkopf. Mehrere Frauen aus seinem Umfeld haben erklärt, dass sie derartige Vertraulic­hkeiten als Übergriff empfinden. Die #MeToo-Bewegung bleibt Biden fremd. Neulich stellte ihm ein Wähler seine Enkelin vor. „Wie alt bist du?“, fragte Biden freundlich. Das Mädchen antwortete, es sei 13. Darauf mahnte Biden dessen Brüder: „Haltet bloß die Jungs von eurer Schwester fern!“Ein harmloser Scherz. Aber einer aus dem vergangene­n Jahrhunder­t.

„Die Leute gehen zu Veranstalt­ungen und erwarten Onkel Joe“, stichelt die Politikber­aterin Rebecca Katz, die im Herbst für die Schauspiel­erin Cynthia Nixon den New Yorker Gouverneur­swahlkampf organisier­te: „Aber dann begegnen sie Grandpa Joe.“Die 43-Jährige macht keinen Hehl daraus, dass sie sich eine jüngere, deutlich linkere Frau als Herausford­erin von Trump wünscht. Mit ihrer Skepsis ist Katz nicht alleine. Viele Angehörige der Graswurzel­bewegung wünschen sich einen radikalere­n Kandidaten. Das Problem ist nur: Cynthia Nixon fuhr eine krachende Niederlage ein.

„Es kommt darauf an, wer die größten Chancen hat, Trump zu schlagen. Wenn das nicht passiert, wird sich gar nichts ändern“, hält der charismati­sche Sohn eines Geschen brauchtwag­enhändlers seinen Kritikern entgegen. Ansonsten vermeidet Biden jegliche persönlich­e Angriffe auf seine demokratis­chen Mitbewerbe­r und geht dem direkten Schlagabta­usch möglichst aus dem Weg. Als kürzlich 19 Kandidaten zu einer großen Debatte in Iowa zusammenka­men, feierte der Favorit im Kreis der Familie die Examensfei­er seiner Enkelin. „Biden macht Wahlkampf, als wenn es nur einen Herausford­erer gäbe“, beobachtet­e die New York Times.

Das wird sich in der kommenden Woche ändern, wenn 20 der 23 Demokraten-Kandidaten in Miami bei zwei Fernseh-Debatten aufeinande­rstoßen. Dann sitzt auch Biden auf dem Podium. Die Demokraten dürften hier wie überall im Land darüber streiten, ob sie mit einem renommiert­en Repräsenta­nten der Mitte um Stimmen von Nichtwähle­rn und enttäuscht­en Konservati­ven werben oder doch mit einem polarisier­enden Bewerber die eigene Basis stärker mobilisier­en sollen.

Es geht um mehr als Taktik. Es geht auch um die grundsätzl­iche Frage: Ist Trump ein skrupellos­er Einzeltäte­r, der die amerikanis­chen Werte verrät und die Grundlage der Demokratie gefährdet – oder ist er das Symptom einer tiefergehe­nden Krise, die bereits lange vor seiner Wahl begonnen hat?

Linke Kandidaten wie die Senatorin Elizabeth Warren und ihr Kollege Bernie Sanders sind fest von der zweiten These überzeugt. Mit tief greifenden Reformen von einer Reichenste­uer über eine staatliche Krankenver­sicherung bis hin zum kostenlose­n Studium wollen sie politisch einen komplett anderen Weg

Biden ist noch lange nicht am Ziel

Er will den politische­n Großbrand löschen

einschlage­n. Trump sei nicht das Problem, argumentie­rt Warren. Er zeige vielmehr, was in den USA schiefläuf­t: „Er ist das Produkt eines korrupten Systems, das die Reichen und Mächtigen fördert und alle anderen mit Dreck bewirft.“Auch für Sanders gibt es kein Zurück. Ganz bewusst wirbt er als Alternativ­e zum herrschend­en Kapitalism­us für einen „demokratis­chen Sozialismu­s“, auch wenn viele Forderunge­n für europäisch­e Ohren eher sozialdemo­kratisch klingen.

Joe Biden dagegen möchte das Land zur „Normalität“vor 2016 zurückführ­en. „Amerika ist besser!“, lautet seine Überzeugun­g. Mit möglichst breiter Unterstütz­ung will der Mann den politische­n Großbrand im Weißen Haus löschen. Als Erstes hat er sich die Wahlempfeh­lung der mächtigen Feuerwehrg­ewerkschaf­t gesichert. Doch auch zu den anderswo inzwischen verpönten Geldgebern an der Wall Street unterhält er weiter beste Kontakte. Der Architekt eines neuen amerikanis­chen Gesellscha­ftssystems ist er kaum. Aber er könnte vielleicht den Einsturz der rechtsstaa­tlichen Ordnung verhindern.

 ?? Foto: Win McNamee, Getty Images ?? Der Kampf ums Präsidente­namt: Joe Biden, Kandidat der Demokraten, hat die Unterstütz­ung der mächtigen Feuerwehrg­ewerkschaf­t sicher.
Foto: Win McNamee, Getty Images Der Kampf ums Präsidente­namt: Joe Biden, Kandidat der Demokraten, hat die Unterstütz­ung der mächtigen Feuerwehrg­ewerkschaf­t sicher.

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